Die Wahrheit: Tanz ums goldene Steak
Die letzte Metzgerei Deutschlands schließt. Ein von Fett und Tränen triefender Report über eine denkwürdige Trauerfeier in Tötensen.
Es ist ruhig in der kleinen Gemeinde Tötensen, die Straßen liegen wie ausgestorben da. Lediglich vollgeparkte Gehwege zeugen davon, dass irgendetwas im Ort vor sich geht. Der Himmel vergießt ein paar Tränen, als sich vor der alteingesessenen Metzgerei Fleischeslust ein Meer aus Menschen in tiefschwarzen Anzügen und Kleidern offenbart. Man könnte meinen, hier würde ein beliebter deutscher Star zu Grabe getragen werden. Doch die Situation ist schlimmer, als Dieter Bohlens Tod es je sein könnte. Es geht um die Wurst.
Einige Jahre sind ins Land gezogen, seit die Fleischsteuer satte zwölf Prozentpunkte Aufschlag auf Fleisch- und Wurstwaren brachte. Zwölf Punkte, die den Braten so richtig fett machten – und eine preisbedingte Hochzeit des Vegetarismus einläuteten. Denn wenn es eins gibt, das den Deutschen heiliger ist als ihr Schnitzel, dann ist es ihr Geld. Das Resultat des Ernährungswandels: Heute schließt die letzte Metzgerei des Landes ihre Pforten.
Eng wie Tiere im Mastbetrieb stehen die Trauernden, dicht gedrängt erzählen sie sich Anekdoten von fetttriefenden Grillfesten und trocknen ihre Tränen mit hauchdünn geschnittenem Prosciutto di Parma. Einige nagen an Kauknochen, gestikulieren mit Hähnchenteilen aus quietschendem Normfleisch. Stark zerzauste Hardcore-Meater proklamieren – bekleidet lediglich mit Pappschildern – das nahende Ende der Welt.
Ein Blick in die Metzgerstube offenbart eine Theke, die einem prunkvollen Altar in Nichts nachsteht. Aufgebahrt als heilige Reliquien liegen dort verschiedenste Fleischleckereien: eine dunkelrot leuchtende Pastrami oder ein Wacholderschinken, dessen hehrer Duft bis in die letzte Reihe steigt. Feierlich erhebt sich hinter den Köstlichkeiten „Slaughterhorst“, wie er sich selbst nennt, der Metzgermeister von Tötensen, der eine Art blau-weiß karierte Priesterrobe trägt, sein Haupt ziert ein Kringel rheinische Fleischwurst. „Die moderne Dornenkrone“, wie er später behaupten wird.
Letzter Tanz der Hähnchen
Hinter ihm scheinen die Hähnchen ihren letzten Tanz an der Stange zu geben, räkeln und schmeißen sich in Posen für ihre Zuschauer. Die Fleischeslust ist einigen Gästen anzusehen, als die Messe beginnt und „Slaughterhorst“ seine Arme zum Segen ausbreitet: „Liebe Trauergemeinde, wir haben uns heute versammelt, um Abschied von …“ Weiter kommt er nicht, weil ein ekstatischer Besucher die Theke erstürmt, um sie genüsslich abzuschlecken.
Nachdem der Erregte zusammengebrochen und fortgetragen wurde, setzt der stämmige Metzger noch einmal an: „Ich möchte gar nicht lang rumsülzen. Bringen wir es auf den Punkt: Alea frikadella est. Die Bouletten sind gefallen.“ Mit Verve wirft er einige Fleischkügelchen ins Publikum, worauf eine mittelschwere Torschlusspanik ausbricht, die ersten Klageweiber geißeln sich mit silbernen Fleischhakenketten.
Vorneweg brüllt ein vermummter Kämpfer der RAF („Rohes Aldi-Fleisch“) jedem, der es nicht hören will, sein Credo ins Ohr: „Fleisch ist Menschenwürde. Wo kommen wir denn dahin, wenn ich morgens keine fünf Kilo Maurermarmelade für meine Baustelle besorgen kann? Mett ist Menschenrecht!“ Mit seiner Untergrundorganisation zündet er Cabanossi-Bomben in vegetarischen Restaurants und feiert ausgiebige Kanalisations-Barbecues, bei denen gegrillt wird, was nicht bei drei zum Baum wird. Die RAF hält es für ihren Verdienst, dass zumindest noch rudimentär-zivilisierte Zustände in Deutschland herrschen.
Star an den Wurstbuden
In der Metzgerei versucht „Slaughterhorst“ derweil, die Massen zu beruhigen. Unterstützung bekommt er dabei vom eingefleischten Steak-Aficionado Franck Ribéry. Früher Star an den Wurstbuden der Allianz Arena, führt er nun ein artistisches Tänzchen um das vergoldete Steak auf. Die Trauergemeinde jubelt zustimmend, Ribéry preist und rühmt Entrecote und Escalopes. Dann teilt er wie Moses das goldene Steak und bietet es den Jüngern als Leibspeise dar. Das Getränk dazu: reines Schweineblut. Die Menge drückt nach vorn, die Eucharistie-Feier ertrinkt im Blutrausch.
Dann herrscht Stille, Wehmut breitet ihre feuchten Schwingen über die kleine weiße Metzgerei. Eine junge Mutter zieht ihr Kind zu den Auslagen, um ihm ein letztes Mal ein echtes Stück Fleisch zu zeigen. Der Auszug der Gemeinde erfolgt zu den besinnlichen Klängen von „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, intoniert auf einem aus Kuhmägen gefertigtem Dudelsack. Dazu werden fünfzehn Salamis zum Salut abgefeuert. Ein letztes Mal stößt die aufgelöste Trauergemeinde mit einem kräftigen Rinderfonds an.
Dann schließt „Slaughterhorst“ die Fleischeslust ab – und trägt das letzte goldene Kalb zu Grabe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja