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Die WahrheitKrumme Gedanken geradeheraus

Kolumne
von Fabian Lichter

Der Deutsche verwechselt Kindererziehung noch immer mit Folter und Abrichtung. Davon künden zahlreiche Ratschläge, die Eltern ungefragt erhalten.

D eutschland ist ein Schlachtfeld mit Telekom-Hotspots“, brachte meine Freundin unlängst den hiesigen Status quo auf den Punkt. Wer wissen möchte, warum das so ist, der kann sich natürlich die Mühe machen und Sozialwissenschaften oder Geschichte studieren. Wem das zu anstrengend ist, der kann aber auch zu Hause bleiben und ein Kind zeugen (Achtung: wird hinterher ebenfalls anstrengend).

Als Elternteil eines neuen Menschen hat man nach wenigen Monaten genug Erkenntnisse gesammelt, die eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Verkommenheit des speziell deutschen Sozialcharakters obsolet machen. Wer ein Kind hat in diesem Land, wird nämlich nur zu gerne von seinen Mitmenschen angehalten, es doch um Himmels Willen nicht so zu verwöhnen und erhält allerhand praktische Ratschläge: Regelmäßig hört man aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis auch in vermeintlich fortschrittlichen Milieus etwa die Aufforderung, man solle das Kind nicht zu oft in den Arm nehmen, es werde sonst krumm. Und wer es aufhebt, wenn es in der Wiege schreit, kennt den Vorwurf, von seinem Kind kontrolliert zu werden.

Ein Klassiker ist auch das Ammenmärchen, Babys müssten sich bisweilen richtig ausschreien, respektive: Schreien stärkt die Lungen. Erziehungsmethoden, wie sie von den Nazis propagiert wurden und heute noch nachgebetet werden. Doch selbst das Pädagogikmodell der Aufklärung gerierte sich dereinst kühl. Kinder waren demnach letztlich Tiere, die es zuerst einmal abzurichten galt, auf dass eines Tages ein wunderschöner Schmetterling – quatsch! – ein stocksteifer Bürger aus ihnen wurde.

Der Deutsche verwechselt Erziehung also gerne mit Folter und misstraut selbst denen, die er lieben möchte. Sogar wenn sie kaum größer sind als sein Unterarm und ihn mit süßen Glubschaugen ansehen. Wer sein Kind nicht mitfoltern will, der schadet dieser Auffassung nach natürlich vor allem dem Kind. Weil dieses im Hacken und Stechen unter Gleichaltrigen später nicht richtig mitfoltern kann oder gar weniger anfällig für solcherlei Blödsinn ist, der unter Erwachsenen ja auch nicht urplötzlich zu existieren aufhört.

Vielleicht mache ich den größten Fehler meines Lebens, wenn ich unsere Tochter nicht taktischem Leid aussetze

Als Menschen, denen Marter und Strenge eher lästig sind, haben wir uns in Sachen Erziehung (in Absprache mit dem Kinderarzt, ich bitte von wütenden Zuschriften abzulassen) für die Weichspülvariante namens Zuneigung entschieden. Vielleicht mache ich den größten Fehler meines Lebens, wenn ich unsere Tochter nicht taktischem Leid aussetze. Vielleicht falle ich auf genusssüchtige Verschlagenheit herein, wenn sie mich mit einem süßen Brabbeln wieder einmal dazu bringt, sie in den Arm zu nehmen. Vielleicht werde ich unsere verwöhnte Tochter auch noch mit 30 im Fliegergriff auf die Arbeit tragen müssen.

In diesem Fall bin ich gerne bereit zu glauben, dass das Resultat ein krummer Rücken ist. Dann aber wohl bei mir.

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2 Kommentare

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  • Diese Kritik an der brutalen und verdummenden Gewalttradition der Erziehung und deren oft verhängnisvollen Folgen gehört in die Hauptschlagzeilen. Jede Woche sterben in Deutschland 2-3 Kinder an den Folgen von Misshandlungen. Die Hunderttausende, welche jahrelange Misshandlung überleben, werden kaum beachtet. Eine Absage an die Zurichtungsideologie hat nichts mit Verwöhnen, aber sehr viel mit Verwirklichung von Zivilisation zu tun.

  • Wer ein Kind hat in diesem Land, wird in verrückten Einzelfällen nicht nur von seinen Mitmenschen angehalten, es doch um Himmels Willen nicht so zu verwöhnen. Er bekommt sogar von seinem heranwachsenden Kind allerhand praktische Ratschläge wie diesen: "Zwing mich doch endlich!"

    In einer idealen Welt bekäme man seinen krummen Rücken völlig verdient, wenn man seine verwöhnte Tochter auch noch mit 30 im Fliegergriff auf die Arbeit tragen müsste. In der realen Welt kann das ein wenig anders sein. Da kann man manchmal gar nichts dafür, wenn das Kreuz schmerzt. Denn man erzieht ja schließlich nicht alleine. Die sogenannte Gesellschaft erzieht immer mit.

    Über die Schule, über die (mehr oder weniger asozialen) Medien, über die Jobs und auch sonst überall propagiert die sogenannte Gesellschaft die Vorzüge der völligen Unselbständigkeit. Man darf sich um so "größer" und "erwachsener" fühlen, je mehr man von anderen gepampert wird.

    Nein, mit echter Zuneigung hat diese Art des Verwöhnens nichts zu tun. Aber wo soll das ein Kind her wissen, wenn es sich nie für philosophische Fragen interessiert hat, weil die angeblich irre langweilig und viel zu schwer zu beantworten sind, sondern immer nur für Mode, Schminktips und Karriereleitern - und für das Lob von Leuten, die das für die korrekte weil natürliche Orientierung junger Frauen halten?

    In diesem Fall bin ich gerne bereit zu glauben, dass das Resultat ein krummer Rücken ist. Dann aber wohl bei mir.