Die Wahrheit: „Jürgen, Jürgen, schalala, schalalala“
Autohasser und Klingelmonster unter sich: Zu Besuch bei militanten Kampfradlern in Hamburg, denen der gefakte, saubere Diesel sauer aufstößt.
Jahrhundertelang sorgte das dieselbetriebene Kraftfahrzeug, kurz Kfz, für schlechte Luft in den deutschen Städten. Jetzt sorgen die Dieselfahrverbote für schlechte Stimmung bei den deutschen „Dieseldeppen“, wie sich manch einer mittlerweile selbst nennt. Richtig gut dagegen ist die Stimmung bei den deutschen „Autohassern“, wie sich die Wahrheit jetzt überzeugen konnte. Anlass war ein Exklusiv-Besuch bei den „Klingelmonstern“, einem losen Verbund von Kampfradlern in Hamburg.
Begrüßt werden wir von Lars Poschardt, dem ersten Vorsitzenden, einem zackig agilen Liegendradler. Erstmals seit Anbeginn des „kleinpimmelgesteuerten Kfz-Wahns“, so der 51-jährige Autohasser, könne man sich „wegen der nun massenhaft aussortierten Dreckskarren einen Dauerständer freuen“. Mitleid mit den Fahrzeugeignern? „Nicht die Bohne“, meint Ulf Weisbrod (43), ein mit signalgelber Starkregenhose und Super-Lenkerkamera ausgestatteter Mithasser Poschardts. Im Gegenteil: „Deren Gejammere ist Musik in meinen Ohren“, jubiliert Weisbrod – und lacht, bis sein Fahrradhelm („den setz ich praktisch nie ab“) wackelt.
Ihr größtes Vergnügen aber ziehen die beiden Hater aus der Verzweiflung. „Aus der Verzweiflung, mit der jetzt das KfZchweine-System samt seiner Büttelschaft aus Politik, Wissenschaft und Presse die an sich unumkehrbare Entwicklung zurückzufahren versucht“, erklärt Poschardt.
Tatsächlich gibt es derzeit zahlreiche publizistische Vorstöße, die unter Aufbietung „allerley Expertenthums“ (Weisbrod) den Nachweis führen vom eher sauberen, wenn nicht sogar luftreinigenden Diesel. Die verbreitete Annahme, dessen Verbrennung schädige die Lungen, resultiere, so behaupten jene Medienschaffenden, aus einer grundfalschen, weil bloß öko-ideologisch verzerrten Messmethodik. „Ja, genau!“, kommentiert Poschardt solche Versuche. „Und die Erde, die ist eine Scheibe.“
Als besonders witzige Recherchenummer auf diesem Gebiet gilt den hanseatischen Hatern die Fernsehreportage „Das Dieseldesaster“ von NDR-Reporterlegende Thomas Berbner, die bis Januar 2020 in der ARD-Mediathek lagert. Obwohl erst kürzlich ausgestrahlt, genießt der Halbstünder jetzt schon Kultstatus in der Szene. Die trifft sich regelmäßig in einer autonomen Hamburger Fahrradwerkstatt. „Hier“, so Weisbrod, „schauen wir den Film in fröhlicher Hater-Runde gemeinsam an und stützten uns notfalls gegenseitig, wenn jemand vor Lachen aus dem Fahrradsattel zu kippen droht.“
Stuttgarter Dieselwürstchen
Beim Wahrheit-Besuch dort sind es an die 100 Kampfradler, die sich vor der aus ollen Regenpellerinen zusammengeflickten Leinwand drängen. Sie warten darauf, dass die dynamogetriebene Vorführtechnik endlich funktioniert. Viele der Zuschauer tragen nach dem Vorbild zweier im Film von Berbner auftretender Lungenfachärzte weiße Arztkittel. Andere wiederum versuchen mittels eines beigen Anoraks so auszusehen wie „der Sachse“. So haben die Hater einen weiteren von Reporter Berbner aufgebotenen Experten seines sächselnden Idioms wegen getauft.
Endlich ist Strom da. Schon die ersten Schrotthaldenbilder intakter Dieselautos lösen beim Publikum einen begeisterten Fahrradklingelsturm aus. Das „arme Stuttgarter Dieselwürstchen“ (Weisbrod), das anschließend den Fehlkauf seines Diesels beklagt, wird mit höhnischen „Mimimi“- und „Fahr-doch-Rad“-Rufen belegt. Vereinzelt werden Rotzfahnen geworfen.
Schlagartig aber ändert sich die Stimmung, als Jürgen Resch ins Bild kommt. Der Chef der Deutschen Umwelthilfe wird hier wie kein Zweiter verehrt. „Resch! Resch! Resch!“, skandieren die Hater in Stakkato, besingen ihren Helden des Dieselfahrverbots mit „Jürgen, Jürgen, schalalala, schalalala“. Doch das ist nur die Ouvertüre. Denn nun legt auch Berbners Film so richtig los: mit einer ganzen Parade von Expertisen – dargeboten von aufgeweckt wirkenden Spezialisten und Spezialistinnen aus einigen der höchst beleumundeten Institute Deutschlands. Diese Spitzenkräfte, sie sollen allesamt nur eines: dem Dieselfahrverbot den Garaus machen. Leider sind ihre Ausführungen bei dem Getöse im Saal aber kaum zu verstehen.
Gestenreiche Hater
Denn wann immer im Film das Wort „Diesel“ fällt, wird unter Johlen Wasser verspritzt, beim Wort „Feinstaub“ Mehl verstreut und bei „Stickstoffdioxyd“ laut „Huch“ gerufen. Bei besonders humoristischen Filmsequenzen, wie der eines Spots der Umwelthilfe, spielen die Hater die Handlung gestenreich mit. Fangen die Protagonisten plötzlich zu husten an, wird hingebungsvoll mitgehustet. Beim Auftritt eines der Lungenfachärzte ist indes schlagartig Ruhe – aber nur bis zu dessen Aussage: „Feinstaubalarm ist eine einzige Volksverdummung“. Sie wird im Chor laut mit gebrüllt. Der Rest geht im Fahrradklingelsturm unter.
Kaum weniger Hohn wird in der Fahrradwerkstatt dem anderen Lungenspezialisten zuteil. Schon der Erstauftritt jenes Professors, der ihn mobil telefonierend vor seinem Spitalportal zelebriert, wird frenetisch veralbert. Alle halten sich wichtigtuerisch ihr Handy ans Ohr. Als der Experte anschließend – vor der Röntgenaufnahme eines Lungenflügels malerisch in Position gebracht – erklärt, dass das Dieselfahrverbot schon deshalb überzogen sei, weil ja selbst ein starker Raucher auch nicht gleich tot umfalle nach jeder Inhalation, geraten die Hater in einen regelrechten Heiterkeitstaumel. Unter Gefeixe tun sie so, als gäben sie sich gegenseitig Feuer.
Die gröbsten Lacher aber heimst „der Sachse“ ein: Es ist Professor Matthias Klingner vom Fraunhofer-Institut für irgendwas mit Verkehr. Er räumt lachermäßig ab, weil er versucht, mittels putzig anmutenden Mess-Equipments die offiziellen Stuttgarter Schadstoffmessungen als besonders „tricky“ zu entlarven. Messen Sie doch Kfz-Abgase genau dort, wo sie anfallen, statt, wie Klingner vorschlägt, möglichst weit weg.
Noch hellere Begeisterung kommt auf, als der Professor dann in der Küche einer Studenten-WG die Zubereitung von Spaghetti mit Tomatensauce auf zwei Gasflammen misst. Die Studenten sind von dem hohen Schadstoffausstoß ganz geschockt: „Ich werde auf jeden Fall in Zukunft darauf achten, dass ich nach dem Kochen immer gleich die Balkontür aufmache, damit schnell frische Luft rein kommt,“ sagt ein Student und öffnet die Tür zum Balkon über einer sechsspurig befahrenen Stadtautobahn.
Hier bricht die Vorführung bei den Hamburger „Klingelmonstern“ ab, weil die beiden Hater, die den Dynamo bestrampeln, vor Lachen nicht mehr können. „Da kann man mal sehen!“, wiehert Präsident Lars Poschardt. „Nur die überzeugendste Messmethode, die scheut selbst dieser Professor: Per Diesel in die Garage, Tor zu, und dann ohne Aussteigen den Motor ordentlich dieseln lassen. Bei geöffneten Seitenfenstern, versteht sich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste