Die Wahrheit: Jeder fällt für sich allein
In der Debatte um den Angriff auf den AfD-Politiker lohnt es sich, einmal die Perspektive der besorgten Mit- und Wutbürger einzunehmen.
E in AfD-Politiker ist in Bremen durch einen körperlichen Angriff zu Fall gebracht worden, dabei wurde er schwer verletzt. Wie konnte es dazu kommen? Unabhängig vom Stand der juristischen Ermittlungen tobt bereits eine engagierte Deutungsdebatte. Dabei sollten wir nach Meinung so vieler mit Rechten reden wollender Schöngeister doch lernen, die Welt auch mal durch die Augen der anderen Seite zu sehen und so weiter – also, wohlan denn!
Nehmen wir einmal an, die Täter von Bremen sind gefasst und geben an, den Mann aus politischen Gründen angegriffen zu haben. Dann gäbe es eine ganze Reihe von Vorlagen, aus denen wir die Perspektive unserer besorgten Mitbürger herleiten können: der Bottroper Silvesterfahrer, der Reker-Attentäter, Anders Breivik – immer sind es psychisch gestörte Täter, deren Handeln niemals etwas mit politischer Hetze zu tun hat. Dass die sich vor, bei und nach ihren Taten ausländerfeindlich und politisch geäußert haben, unterstreicht nur, wie irre sie sind und dass ihre Taten keinesfalls mit ihrer ausländerfeindlichen und politischen Weltanschauung zu tun haben. Die Antifa könnte also beruhigt aufatmen, wenn die Bremer Angreifer sich zu ihr bekennen sollten, sie wäre damit sicher aus dem Schneider.
Ein weiteres wichtiges Erklärungsmuster, wann immer volksdeutsche Kameraden allgemein eher nicht als schicklich geltende Dinge tun wie Flüchtlingsheime anzünden, mit Hitlergruß durch die Stadt marodieren oder ausländisch aussehende Menschen ein wenig aufscheuchen, lautet: Die machen das nur, weil sie überfordert davon sind, dass plötzlich überall im Stadtbild Leute mit ganz anderer Kultur und fremdem Aussehen herumlaufen.
Im Fall Bremen kann man guten Gewissens festhalten, dass der in feinen Zwirn gekleidete AfDler in der linken Hochburg als kulturfremd gelten kann. Man muss die Einheimischen auch ein wenig verstehen, dass sie auf den ungewohnten Anblick überzogen reagieren. Wenn so eine Gestalt bei mir über die Straße ginge, ich fühlte mich auch fremd im eigenen Kiez. Und hat der Mann sich nicht etwa provozierend bewegt? Aufreizend mit dem Po gewackelt? Lebt er nicht auf Staatskosten und liegt damit uns steuerzahlenden, hart arbeitenden Bürgern auf der Tasche, während er sich auf Empfängen mit Häppchen und Prosecco durchschmarotzt? Wahrscheinlich hat er sogar ein Smartphone! Ist es da nicht verständlich, dass Leute, die ihren Lebensunterhalt vielleicht, nur mal angenommen, mühsam verdienen müssen mit dem Ausfüllen von Bafög-Formularen oder dem Verkauf von Hasch zu höchst unerfreulichen Arbeitszeiten, auch mal die Nerven verlieren?
Klingt alles nicht gut? Vielleicht sollten wir uns schlicht darauf einigen: Es ist generell nicht okay, Menschen anzugreifen. Und es ist generell nicht okay, die Welt aus AfD-Perspektive zu betrachten. Schon ginge es überall friedlicher und freundlicher zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Misshandlungen in Augsburger Gefängnis
Schon länger Indizien für Folter
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?