Die Wahrheit: Beelzebub auf Rädern
Unterwegs im Golden State mit einem Auto. Ach was, kein Auto! Ein Ungetüm! Ein Monster! Ein brennender Dornbusch in Kraftfahrzeuggestalt!
K alifornien ist ein Traum, aber vor allen Dingen ein Traum auf vier Rädern. Beim Mietwagenhändler hatten wir clever vorab einen Mittelklassewagen geordert. Da sich unsere Reisegruppe aber um zwei vergrößerte, stockten wir auf: „Upper Middle Class? No problem!“ Als dann sogar ein fünfter Kumpan den Flug gebucht hatte, musste ein weiteres Upgrade her.
Beim Anflug auf Los Angeles erspähten wir das Auto schon aus dem Flugzeug, aber man konnte dieses Ungetüm gewiss auch aus dem Weltraum sehen: Es war ein Jeep. Ach was: Es war der Jeep. Die Mutter aller Jeeps. Der Ur-Jeep. Strahlend weiß. Eine Erscheinung, eine Epiphanie, ein brennender Dornbusch in Kraftfahrzeuggestalt.
Einsteigen konnte man mithilfe einer Leiter. Aus dem Beifahrerfenster sah ich auf die anderen wie Miniaturen wirkenden Leihkarren und Menschlein hinab: „Vomit Smell“, schrieb einer der Angestellten auf die Scheibe eines Fords, dessen temporäre Besitzer ihn offenbar nach der Übergabe nicht optimal gereinigt hatten. Dann donnerte unser Sternenzerstörer los.
Wenn Los Angeles die Stadt der Engel war, hatten wir den Beelzebub auf Rädern. Dass es hier gelegentlich zu Erdbeben kam, musste an diesem mobilen Zwölffamilienhaus liegen. Es handelte sich um einen alles vertilgenden Ausnahmegiganten so gewaltiger Exorbitanz, dass man sich beim Einladen des Gepäcks, also beim Hinabsteigen in den Kofferraum, ein Seil um den Bauch binden musste. Dieser Benzinbarbar war so breit und vor allem lang, dass wir beim Überfahren von nur einer roten Ampel gleich dreimal geblitzt wurden. Bei einem Abstecher nach Arizona fotografierten Touristen nicht den überschaubaren Grand Canyon, sondern unseren Jeep.
Lächerlich, dass wir später in San Diego ein Apartment mit Garage bezogen: Der Monstermoloch passte hinten und vorne nicht hinein, weswegen er bei Nacht wachend vor der Haustür prangte. Doch auch am Tag gereichte uns seine Mächtigkeit zum Vorteil, korrigierte dieser blasphemisch voluminöse Goliath unseren vom Jetlag durchpulsten Tag-Nacht-Rhythmus, indem er die Sonne verdunkelte und einen Schatten auf das gesamte Viertel warf.
Eine Zeit lang dachte ich darüber nach, den grobschlächtigen Mörderhöllenhund mit nach Deutschland zu bringen. Doch in Berlin hätte man ihn nur auf dem BER-Flughafengelände parken können; in Hamburg hätten sich Autonome daran die Zähne ausgebissen und den Kampf gegen den Kapitalismus aufgegeben; in Stuttgart wären sämtliche Daimler-Fahrer vor Ehrfurcht aufs Rad umgestiegen.
Nach dem schmerzvollen Abschied sah ich noch, dass auch unser omnipotenter Jeep beschriftet wurde: „Smoke Smell“ stand auf der Fahrerscheibe, „Weed Smell“ auf der des Beifahrers, „Beer Smell“ auf der Heckscheibe. Der Wagen war eben ein Genussmittel hoch drei.
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