Die Wahrheit: Der Vollholzjesus
Wenn die Gastgeberin einer Party schwerchristlich ist, kann es schon mal zu peinlichen Schäden am Gemüt und an der Einrichtung kommen.
I ch hatte Jesus den Arm gebrochen. Mit der rechten Hand umfasste ich das etwa bierflaschengroße Kreuz, an dem der nun einarmige Messias hing. Vor mir auf dem Boden lag sein linker Arm. „Seid ihr denn total bescheuert?“, schimpfte die Freundin des Freundes, der es zu verantworten hatte, dass ich Teil dieser WG-Party war: „Die ist so christlich, die bringt uns um!“ Lippenschürzend verteidigte mich besagter Freund in der weinerlichen Manier eines Fünfjährigen: „Aber … aber wir haben doch nur ein wenig mit ihm gespielt!“ Wie war es so weit gekommen?
Im Laufe des Abends hatte sich jemand, der möglicherweise ich war, Zugang zur Playlist verschafft. Wie zufällig spielte Spotify irgendwann den Song „Jesus is a friend of mine“ meiner Lieblingsband Sonseed. Wenig später erklang Jello Biafras „Are you drinking with me Jesus?“. Hatte man sich zuvor noch ausgelassen zu den zusammengestellten Klängen unterhalten, spürte ich mit jedem weiteren Titel, in dem der Name des Herrn auftauchte, expandierendes Unbehagen im Raum, das ich zur Stunde noch nicht zu deuten wusste.
Ob ich das bitte sofort wegmachen könne, heischte mich ein Mensch im AC/DC-Shirt an, als Wigald Boning und Olli Dittrich alias „Die Doofen“ gerade „Jeeesus, Jeeesus, du warst echt okay!“ trällerten. Er erklärte mir, dass seine Mitbewohnerin „relativ religiös“ sei und mit dem hässlichen Gedanken spiele, mich sofort rauszuwerfen. Von humorlosen Allah-Anhängern hatte ich schon mal in den einschlägigen Medien gelesen, aber warum hatte mich ungläubigen Tobias keiner informiert, dass es auch fundamentalistische Christen gibt?
Zur Beruhigung aller Anwesenden und Wiederaufnahme der Feierlichkeiten wurden ich und meine Entourage vorerst in ein anderes Zimmer geschoben – unbedachterweise in ihr Zimmer. Dort hielt ich plötzlich wie durch ein Wunder das zuvor an der Wand befindliche hölzerne Kruzifix in Händen. Der Heiland war mitten unter uns, wir hatten uns ja auch gewissermaßen in seinem Namen versammelt.
Bei näherer Betrachtung kamen wir zum Fehlschluss, es handele sich bei der Christusnachschnitzung um eine Figur aus Vollholz, was ihr schnell einen eigenen Jingle einbrachte: „Er fuhr in den Himmel auf, doch ist da, wenn du ihn brauchst – ja das ist Vollholzjesus!“ Unser Superheld war allerdings zerbrechlicher, als er aussah. „Besser arm dran als Arm ab“, sagte irgendwer, ehe er erkannte, dass der ohnehin ätzende Spruch hier überhaupt keinen Sinn ergab.
Eine noch fahrtüchtige Mitstreiterin musste schleunigst beauftragt werden, heimlich ein wenig Sekundenkleber heranzuschaffen. An Sekundenkleber glaubte dieser Haushalt nicht. Die Reparatur verlief dann fast reibungslos. Leider ging ein Tropfen Kleber aufs Kreuz, genau an die Stelle, wohin unglücklicherweise auch noch ein Erdnussflip fiel. Der hängt dort nun verborgen unter den heiligen Waden. Die Wege des Herrn sind unergründlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?