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Die WahrheitEine Konferenz mit Freund Birnbaum

Kolumne
von Jan Ullrich

Dienstliche Zusammenkünfte haben stets ihre eigenen Rituale und Gesetze. Das gilt vor allem im Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten.

M ein Freund Birnbaum und ich arbeiten im „Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten“, und heute halten wir eine Konferenz ab.

„Was passiert als nächstes?“, fragt Amtsrat Mulmig gleich zu Beginn der Konferenz. „Wie immer: das Unvereinbare“, erläutert Kopierwart Kugel. Dann raunen wir uns etwas zusammen. Erst ein heftiges Rau-Raunen, dann ein vergebliches Sanft-Raunen, schließlich ein forderndes Wenn-wir-so-weiter-machen-können-wir-so-nicht-weitermachen-Raunen. Dann ist schon mal Kaffeepause. „Hmpfta“, machen Freund Birnbaum und ich.

„Überall Konstellationen!“, stöhnt Ministerialrat Ventzke anschließend in seinem Kurzreferat zur Gesamtlage. „Mehr als Bedingung geht nicht“, erwidert da Amtsrat Mulmig, der einen Weltbewältigerkurs gemacht hat. „Schon erstaunlich, zu welchen Überraschungen der Determinismus fähig ist“, ergänzt Dezernent Schmeling nachdenklich, weil er noch keinen Weltbewältigerkurs gemacht hat.

„Ein Gegenstand wird erst zum Gegenstand im Kontext seiner Substanz“, erläutert Amtsrat Mulmig jetzt. „Und woher weiß das der Gegenstand?“, fragt Herr Riegel aus der Registratur, der das Protokoll führen muss und alles genau wissen will. „Vieles verstehen wir, ohne es zu begreifen“, erläutert Mulmig mit Überzeugung. „Sich selbst kann man nur verstehen, wenn man der Welt abhanden gekommen ist“, sagt Kassenprüfer Lehmann, ohne dass ihm jemand zuhört.

„Wir haben noch Möbel zu Hause“, gibt Dezernent Schmeling als nächstes zu bedenken: „Ist es eine Ehre, ein Pferd zu häkeln?“ Darauf sehen wir eine Ton-Dia-Schau zum Thema „Das Weltwissen der Weltfremden“. „Überall ist Platz für das Nichts. Hat Farbe eine Wahrheit?“, eröffnet Kopierwart Kugel die Diskussion. „Deshalb fordere ich schon seit Jahren ein Trainingsgelände für Hörgeräte“, betont nun Oberamtsrat Bruch. „Das ist immer noch besser als eine Taschenlampe als Zwischenergebnis zu präsentieren.“ – „Wenn die Tage vor sich hinbaden, bleibt das Leben verschwommen!“, beendet Dezernent Schmeling die Diskussion anschließend sofort wieder.

„Jede Bedeutung verliert sich gleich in Bedeutungslosigkeit. Es passiert einfach zu viel“, gibt sich Bürovorstand Nicklich nun nachdenklich. „Die Gewissheit vollkommener Bedeutungslosigkeit und das Scheitern in der Vorstellung von vollkommener Bedeutung ist das Wesen des Menschlichen“, holt Kopierwart Kugel jetzt weit aus.

„Mein Arm erinnert mich an einen anderen Arm. Einen Arm, den ich früher mal hatte“, erwidert Freund Birnbaum. „Ich muss mich immer sehr konzentrieren, um mir den Anschein von Wirklichkeit zu geben“, ergänzt Kassenprüfer Lehmann. „Ich brauche keine Welt, ich brauche einen Raum“, sagt Oberamtsrat Bruch abschließend. „Das Einzige, was mich in meinem Leben wirklich interessiert hat, sind meine Worte.“

„Dahumpf“, machen Freund Birnbaum und ich.

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