Die Wahrheit: Tief in Tiflis
Die Georgien-Woche der Wahrheit: In Berlin gibt es ja nichts, was es nicht gibt. Da kann schon mal eine Georgierin belgische Biere unters Volk bringen.
S ie trug Tennissocken und sprach einen leichten Akzent. Eine Belgierin!, vermuteten wir und begannen gleich mit dem Smalltalk. Belgische Biere! Eben noch in Gent gewesen. Schöne Stadt, voller Studenten. Und in Brügge waren wir auch. Und in Oostende. Oostende ist übrigens großartig, ein El Dorado der Nachkriegsarchitektur. Brutalismus, bis an den Strand gebaut. „Ich muss euch enttäuschen“, sagte sie da, „ich komme gar nicht aus Belgien. Ich komme aus Georgien!“
„Oh!“, machten wir. Und verstummten. Wer rechnet schon mit einer Georgierin hinter der Theke einer Neuköllner Bar, die belgisches Bier ausschenkt? Na ja, dit is Berlin, wa! Und sie hatte sie alle: Chimay, Leffe, Jupiler, sogar Orval! Trappistenbiere, Kirschbiere, köstliche Rotbiere! Biere mit überhöhtem Alkoholgehalt, Biere mit süßlichem Fruchtgeschmack, Biere weit jenseits des Deutschen Reinheitsgebots. Wir bestellten eifrig nach. Wir mussten ja unbedingt dranbleiben.
Wie aber weiter im Text? Von dem seltsamen Film erzählen, den ich mal in der Volksbühne gesehen habe, ein georgischer Kunstfilm, der in einem U-Boot spielte, das in ein Zeitloch getaucht war? Hm, zu merkwürdig. Wie einfach wäre es hingegen gewesen, von Brügge im Film („Brügge sehen und sterben“) im Vergleich zu Brügge in der Realität (wie im Film, nur mit mehr Touristen) zu erzählen. Und wie hieß der georgische Film noch gleich? Der mit dem U-Boot im Dritten Weltkrieg? „Tiflis sehen und sterben“? „Viel zu tief in Tiflis“? Und fällt irgendjemandem eine andere Stadt in Georgien ein, außer eben der Hauptstadt?
Ich hatte also leider keine Verbindung zu Georgien. Nichts Tiefergehendes zu Tiflis. Unter Georgien stellte ich mir ein Land mit zipfeligen Bergen vor, bevölkert von Männern mit dunklen Gesichtern und Frauen, die wadenlange Röcke trugen. Ein Land, in dem das Geld verschwindet wie Wasser in einem Abfluss; ein Land mit einer Küstenlinie – das Schwarze Meer! – voller Katzengold und Kieselsteinen; ein Land, in dem das Böse schläft, aber nie aufwacht, es sei denn, die Russen kommen. Die Bedienung, deren Namen wir nicht wussten, verschwand in den hinteren Tiefen der Bar, ihre Tennissocken strahlten phosphoriszierend im Schwarzlicht. Das Chimay ging runter wie Öl.
„Batumi!“, sagte ich, „Das könnte eine zweite georgische Stadt sein! Oder war das ein Handyspiel von Nokia?“ Ich war mir nicht sicher, und die Bar lag in einem Funkloch.
„In Prenzlauer Berg, im Norden unserer Stadt, da gibt es ein georgisches Restaurant“, fiel meinem Begleiter ein. Da sei er letztens gewesen. Die Küche sei sehr gut, gar nicht so fleischlastig, wie man meinen könnte, aber was jetzt das Besondere an der georgischen Küche sei, das wisse er auch nicht. Viel Hähnchen gab es auf der Karte, knusprige Teigtaschen, sogenannte Chachapuris, wie er sagte, und unwiderstehliche Spieße. Aha, machte ich. Und wie hieß das Restaurant? „Tbilisi“, sagte er. „Zu Deutsch: Tiflis.“
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