Die Wahrheit: In den Würgekrallen der Macht
Die aktuellste Verschwörungstheorie kommt hier, frisch aus der Hauptstadt der Vögel – dem heimlich unterjochten Berlin.
Verschwörungstheorien haben Konjunktur, je absurder, desto beliebter. Im Vatikan steht eine Zeitmaschine, mit der der Papst zwischen dem Mittelalter und heute hin und hercruist. Die Mondlandung hat nicht stattgefunden, sondern ist von Stanley Kubrick inszeniert worden. Die Erde ist hohl und in ihrem Inneren existiert eine von der Oberfläche getrennte Zivilisation.
Oder die deutsche Krimiserie „Tatort“ ist gute und spannende Unterhaltung. Jetzt kursiert in den Bars, Clubs und Kneipen Berlins eine neue Theorie. Nicht die Menschen, sondern die Vögel sind die eigentlichen Herrscher der Hauptstadt. Diese Theorie hat gegenüber allen anderen einen gewaltigen Vorteil: Sie stimmt!
So ist völlig klar, dass sich unsere gefiederten Freunde die Stadt bereits unter sich aufgeteilt haben. Die Lachmöwen beispielsweise beherrschen recht große Teile des Bezirks Friedrichshain, wie die dortige Karl-Marx-Allee und den Strausberger Platz. Die Tauben – sehr viele Türkentauben unter ihnen – haben sich Kreuzberg unter den Nagel gerissen.
Die Spatzen regieren den Ku’damm und überhaupt ganz Charlottenburg, im Prenzlauer Berg tun sich schwarze Amseln mit vergoldeten Schnäbeln dicke. Mitte ist in der Hand von befrackten Elstern, im Tiergarten hausen darüber hinaus Käuze und Neukölln wird von Schluckspechten terrorisiert.
Ganz oben in der Hierarchie aller Vogelarten aber stehen die schwarz-grau gefiederten Aas- oder Nebelkrähen. Das sieht man schon daran, wie sie sich aufführen. Arrogant bis zum Gehtnichtmehr stolzieren sie durch Berlins Straßen; die Verachtung für die Menschen steht ihnen ins Gesicht geschrieben. „Die können ja noch nicht einmal fliegen“, denken sie, und erheben sich demonstrativ in die Lüfte.
Traumjob Vogelpfarrer
Die Nebelkrähen schlichten auch die Revierstreitigkeiten unter den anderen Arten, verteilen Nester und die richtig guten Jobs (wie etwa den des Vogelpfarrers, den in aller Regel die Dohlen oder Raben bekommen, wegen ihres schwarzen Talars). Sie stecken auch dahinter, dass bereits gut zwanzig Prozent aller Berliner Straßen Vogelnamen tragen wie Am Eulenhorst, Schwarzspechtweg, Milanstraße, An der Krähenheide oder Steinkauzgasse. Auch die mit fast zwölf Kilometern längste Straße der Hauptstadt, das Adlergestell, wurde selbstverständlich nach einem gefiederten Spießgesellen benannt.
Offenbar hat die Vogelbande schon etwas länger Berlin in den Würgekrallen. Wie sonst ist es zu erklären, dass auf der Siegessäule ein vergoldeter weiblicher Vogelmensch steht, der demonstrativ auf die Stadt hinab sieht? Ebenso verhält es sich mit dem Brandenburger Tor, wo die Vogelfrau zum Zeichen des Triumphs einen Adler in die Luft reckt. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir langsam aufwachen.
Denn jetzt planen die „verdammten Birds“ (Peter Fox), die Stadt komplett zu übernehmen. Dazu treffen sie sich in ihren Restaurants, Cafes und Kneipen, in „Mirco’s Zwitscherstube“, dem „Taubenschlag“, der „Möve im Felsenkeller“ oder dem „Hühnerhaus 36“. Dort planen sie Sabotageakte, die die Menschen in der Stadt in Unruhe und Panik versetzen sollen, die das Zutrauen in die menschliche Verwaltung erschüttern. Sie klauen Fahrräder, picken Löcher in die Straßen, lassen Drogen über Schulhöfen fallen und legen Brände sowie laufend die S- und U-Bahn lahm.
Vögel haben durch Straftaten Geld wie Heu
Wenn Sie das nächste Mal das Wort „Schienenersatzverkehr“ hören, wissen Sie wer dahintersteckt. Da die Vögel durch ihre Straftaten Geld wie Heu haben, ziehen sie in eine gentrifizierte Wohnung nach der anderen ein. Der Nachbar mit dem komischen Gang, der immer nur spätnachts nach Hause kommt, dürfte ein Stein- oder Waldkauz sein. Oder eine Schleiereule!
Aber vielleicht sind die Vögel auch schon weiter als gedacht: Im Abgeordnetenhaus hat sich bereits 2011 eine Katrin Vogel aus Treptow-Köpenick ins gemachte Nest gesetzt. Und dürfte nicht der regierende Bürgermeister Müller in Wirklichkeit ein Storch sein? Man muss den Vogel doch einfach klappern hören, wenn ihm einer ein Mikrofon vor den Schnabel hält!
Auch im Rest der Republik mehren sich die Zeichen, dass die Vögel dabei sind, die Macht an sich zu reißen. In Hamburg-Finkenwerder bauen sie eigene Transportmittel (sogenannte Airbusse), auf dem Mainzer Lerchenberg betreiben sie mit dem Zweiten Deutschen Fogelfernsehen einen seltsamen Sender. Und in der Rüdesheimer Drosselgasse sollen sie bereits seit Jahrhunderten Menschen mit sorgfältig zusammentirilierter Plörre außer Gefecht setzen.
Wenn Sie in Ihrer Stadt Ähnliches beobachtet haben, teilen Sie das doch bitte mit. Schreiben Sie heute noch an die oberste Bundeseule! Hier die Adresse: Dr. Angela Meise. Bundeskanzlerhorst, Berlin. Zuschriften aus Eulenberg (Rheinland-Pfalz), Falkensee (Brandenburg) und Spatzenhausen (Oberbayern) werden bevorzugt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja