piwik no script img

Die WahrheitDeutschland, einig Opferland

Alle leiden, werden gedemütigt und an den Rand gedrängt. Der weinerlich-aggressive Opfertonfall ist der Sound unserer Zeit.

Illustration: Burkhard Fritsche

Sie leiden, sie werden gedemütigt, sie werden an den Rand gedrängt. Die Mehrheitsgesellschaft möchte nichts mit ihnen zu tun haben oder übersieht sie gleich ganz: Opfer. Höchste Zeit also, denen wieder eine Stimme zu geben, die nicht mehr für sich selbst sprechen können.

Dabei ist es gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der es wagt, sich zu zeigen. Zu groß ist die Scham über die Stigmatisierung, die Sorge vor neuen Verletzungen. Daher wenden wir uns zuerst an eine Opfer-Selbsthilfegruppe, deren Mitglieder versuchen, gemeinsam mit der Schande zu leben. Ein erster Ortstermin führt zum FC Bayern München. „Wir sind nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland“, gesteht man uns dort unter Tränen, und tatsächlich: Zweimal in jüngster Zeit mussten die Fußballer mit einem demütigenden Unentschieden nach Hause gehen, in der Bundesliga steht man nur noch auf einem jämmerlichen zweiten Platz, ihre Gegner verhöhnen sie öffentlich: „Die Bayern sind auch nur Menschen“ (Karim Rekik von Hertha).

Auch bei am Boden liegenden Opfern wird gern nachgetreten. Doch der Fisch leidet vom Kopf her: Schon Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist schlimmes Unrecht widerfahren, weil er seine vom Munde abgesparten Notgroschen nicht ganz pünktlich bei der Steuer gemeldet hatte. „Ich bin der einzige Deutsche, der Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war. Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. Aber in diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren“, klagte er noch kürzlich. Kein Einzelfall, leider.

Wieder die Stimme eines Opfers zum Schweigen gebracht

Klar gegen die Medien verloren hat auch Publizist Henryk M. Broder. Seit Jahren wird seine Minderheitenmeinung marginalisiert, wie die so vieler kritischer Stimmen. Ganz egal, wozu er sich äußert, dauernd werden ihm Leute mit anderer Meinung vor die Nase gesetzt. Oft sogar solche, die sich mit dem Thema auskennen! Es ist so demütigend. Seine Positionen fänden beim Mainstream kein Gehör, beklagte Broder sich im Spiegel, in der Bild, bei der ARD, in Fisch & Fang und der Deutschen Briefmarken-Revue, bevor sie ihn schließlich hinter der Bezahlschranke von Welt-online weggesperrt haben. Und wieder wurde die Stimme eines Opfers zum Schweigen gebracht.

Noch schlimmer erging es Günter Grass. Kaum wagte er es, unbequem zu werden und Israel zu kritisieren, was hierzulande bekanntlich streng verboten ist und nie geschieht, wurde er „mundtot“ gemacht, wie er selbst in jede Fernsehkamera klagte. Anschließend wurde er wie so viele deutsche Opfer in die Waffen-SS gesteckt und starb vor Gram, weil er das Mobbing nicht mehr ertragen konnte, in der Blüte seiner Jahre mit nur 87 Jahren.

Quer durch alle Schichten und politischen Lager kann jeder zum Opfer werden!

Aber lassen wir uns von den wenigen prominenten Fällen nicht den Blick verstellen auf das wahre Ausmaß des Problems, denn wir finden es quer durch alle Schichten und politische Lager. Jeder kann zum Opfer werden! Die Rechten sowieso: Sie werden totgeschwiegen von den Medien, es gab sogar mehrere Talkshows im vergangenen Jahr (möglicherweise mehr als zehn!), in denen sie nicht vertreten waren, und wird doch einmal über sie berichtet, dann immer nur, wenn sie mal einen Meineid abgeben, wegen Hooligan-Angriffen verurteilt werden oder mit der Maus verrutschen.

Verleumdet, verarmt, verspottet

Bei den Linken genauso: Sie werden totgeschwiegen von den Medien, es gab sogar mehrere Talkshows im vergangenen Jahr, in denen sie nicht vertreten waren (möglicherweise mehr als zwölf!), und dann kommen noch all diese Menschen aus irgendwelchen Südländern und rauben ihrer ohnehin am Hungertuch nagenden Klientel die letzten Pfründen.

Symptomatisch: Sahra Wagenknecht, das deutsche Opfer schlechthin. Von der rechten Hetzpresse verleumdet (taz!), in ärmlichen Verhältnissen lebend (Saarland!), verspottet, obwohl sie sich ehrenamtlich vollständig der Altenpflege verschrieben hat (Lafontaine!), gedisst von der eigenen Parteispitze …

So könnte man endlos weitermachen – überall kann man die Klagen hören, wenn man die Ohren nicht absichtlich verschließt: ehrbare Westdeutsche in Einfamilienhäusern, die nicht mehr wollen als einen bescheidenen Zweitwagen neben dem SUV und zwei bis drei Urlaube im Jahr („Wir leben von der Hand in den Mund“); Ostdeutsche in grundsanierten Städtchen, die im Fernsehen dunkelhäutige Menschen im eigenen Land sehen müssen („Erst haben sie uns die DDR genommen, dann die Frauen und jetzt auch noch unser Deutschland!“); junge Eltern, die wegen des ganzen Stress schon mehrfach ihren Yoga-Kurs verpasst haben („Kinder gelten ja nichts mehr in diesem Land!“); vor allem aber: ganz normale Deutsche, die am Ende immer die Zeche bezahlen müssen, weil die da oben ja doch machen, was sie wollen, wogegen man aber nichts machen kann, denn wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie ja längst verboten.

Und dann kommen die anderen

Und dann kommen auch noch ganz frech irgendwelche Jammerlappen daher und spielen sich selbst als Opfer auf. Frauen etwa, die unter diesem neumodischen Kritzelzeichen darüber wehklagen, dass ihnen mal Komplimente gemacht worden sind oder dass Mann ihnen freundschaftlich an die Pussy gefasst hat, als wäre das nicht blanke Anerkennung, also genau das, was ihm, dem deutschen Opfermann, immer verwehrt blieb.

Muslime, die einfach so hier leben dürfen und sich dann beschweren, dass sie dauernd von der Polizei kon­trol­liert werden, mit ihren ja ohnehin völlig unverständlichen Namen keine Wohnung bekommen und gelegentlich wegen ihrer Hautfarbe erschlagen werden – was sollen da erst die Opferdeutschen sagen?

Die deutschen Opfer verzichten

Haben diese Islamer noch nie davon gehört, wie wir auf Mallorca diskriminiert werden? Oder Juden, die uns permanent diese paar Jahre vor ewiger Zeit vorhalten, nur damit wir immer schön weiterbezahlen, und das, obwohl die doch sowieso überall die Fäden ziehen, sich selbst gegenüber den Palästinensern genauso verhalten und auch nicht fragen, wie es uns damit geht, dass wir diese Kriege verloren haben, in die wir gegen unseren ausdrücklichen Willen hineingezogen worden sind! Kein Wunder also, dass die deutschen Opfer da ausgesprochen empfindlich reagieren und demütig darauf verzichten, ihr Elend in die Welt zu twittern unter: #wetoo.

So sitzen sie übellaunig an den Stammtischen ihrer Wirtshäuser und Tafeln ihrer Familienfeiern und grummeln ihr Leid bei fünf, sechs Schnäpsen vor sich hin. Und dann kommt auch noch die Oma daher und sagt: „Nun hört doch mal auf mit dem Gejammer, uns geht’s doch gut!“ Da schauen sie dann verständnislos und schütteln still leidend den Kopf. Was weiß die Alte denn schon von ihren Sorgen und Nöten. Aber dazu dürfen sie mal wieder nichts sagen. Nicht mehr. Heutzutage. In. Diesem. Land. In diesem Deutschland, einig Opferland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Perfide Strategie

    Da gibt es in D Millionen Menschen, denen es tatsächlich schlecht geht. Armutslöhne, 21% armutsgefährdete Kinder, schlechte Versorgung und Überlastung in Pflegeheimen und Krankenhäusern, Armutsrentner. Schikane und Sanktionen durch Behörden.

     

    Dem Autor fällt dazu nichts Besseres ein, als diese belegbaren Tatsachen einfach in eine Befindlichkeit oder ein Gefühl umzudefinieren. Für ihre Gefühle und Befindlichkeiten ist ja jeder selber zuständig.

    Als Trick sucht er sich Beispiele aus, denen es eigentlich ganz gut geht, um jegliche Zustimmung schon im Keim zu ersticken. Wen interessiert es, ob Bayern München deprimiert ist?

     

    Auf diese Weise werden die berechtigten Anliegen einer großen Anzahl von tatsächlich benachteiligten diskreditiert, und als weinerlich-aggressive Opfertonfall gebrandmarkt..

    Natürlich kann einem die tatsächlich problematische Situation die Weihnachtsfreuden verderben, aber so ein Artikel hat in einer taz, die sich darüber aufregt, wenn die LINKE feststellt, dass nicht jeder, der an die Tür klopft auch langfristig ohne Prüfung auf Bedürftigkeit aufgenommen werden sollte, und dabei Worte wie Rassismus gebraucht nichts zu suchen.

  • Sieht aus, als hätte der Autor nichts gegen Rumgeopfer, solange es um "seine" In-Groups geht.

  • Na, lass mal die "Opfer" Opfer sein. Das kann nicht irritieren. Ganz nach dem Grundsatz des Rettungssanitäters: Der am lautesten schreit, wird zuletzt versorgt. Denen es wirklich schlecht geht, die sind ganz still. Ich habe selten einen Obdachlosen jammern hören.

  • Tatsächlich ist das Jammern über alles und jeden zur Nationalbeschäftigung Nr. 1 geworden. Geschürt aber in großem Umfang durch die Medien.

    Immer wieder wird darauf hingewiesen, wo es einen noch besseren Grund zum Jammern gibt, es lohnt sich nicht diese Gründe, die ja bereits im Artikel erwähnt wurden zu wiederholen, aber jeder der sich einmal wirklich um die existenziellen Gründe zu Jammern bedanken macht, dem sollte auffallen, dass es mehrere Millionen Menschen in Deutschland gibt, die geflissentlich Jammern dürfen, den sie leben am untersten Rand der gesellschaftlichen Existenz und haben keine Lobby.

    Es gibt Fälle, bei denen man tatsächlich von staatlich gesteuerter Willkür reden kann, da werden Menschen regelrecht behindert sich zu verbessern, um aus dem Jammertal zu kommen!!!

  • Auch wenn sich die Wahrheit auf diejenigen fokussiert, die wir nicht als Opfer sehen (wollen), so hat doch diese Opfermentalität bei uns doch insgesamt Konjunktur. Einen Blick in Spiegel Online und auch in die taz zeigt, dass wir uns kaum noch für wirkliches Leid interessieren. Vielmehr fokussieren wir auf die Metaebene. Wer hat zu welchem Unrecht geschwiegen oder nicht ausreichend reagiert und sich dadurch mitschuldig gemacht? Wer hat einen Ausdruck verwendet der als X-ismus interpretiert werden kann? Wem wird nachgesagt, dass er oder sie Stereotype befördere, die es in Wirklichkeit so schon lange nicht mehr gibt? Wer hat etwas gesagt, was nicht politisch korrekt war und weswegen sich jetzt irgendwer geschädigt fühlt?

    Haben wir denn keine wirklichen Probleme? Deutschland führt mit Krieg in Syrien, bei dem täglich Menschen sterben. Auf der Flucht aus Syrien sterben täglich Menschen. Wir ermöglichen den Reichen und Superreichen keine Steuern zu bezahlen und haben Leute bei uns, die trotz Vollzeitarbeit sich keine Wohnung leisten können. Wir haben Väter, die ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen aber Unterhalt zahlen müssen, dass ihnen nicht einmal der Mindestsatz von Hartz IV bleibt. Wir ruinieren gerade das Weltklima, spielen mit Atombomben und sanktionieren Millionen von Menschen zu Tode.

    Doch das Jammern über die Metaebene sticht all dies aus - aus einem Grund: Wenn wir uns über andere echauffieren, dann können wir uns richtig gut fühlen. Dieses Gefühl gibt uns unsere Presse gerne. Die Kolumne die Wahrheit verteidigt nun dieses Gefühl gegen die anderen, die Bösen. Die sollen am Gefühl der Selbstgerechtigkeit doch bitte nicht partizipieren dürfen. Dieses tolle Gefühl ist nur für uns da!

    • @Velofisch:

      Richtig. Der Artikel verunglimpft die Benachteiligten in schwerer Situation durch Verschiebung von tatsächlich bestehenden Problemen auf rein gefühlten Probleme.

      Es wird ein weinerlich-aggressive Opfertonfall unterstellt.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Velofisch:

      Ohne kritische Reflektion wird die geistige Entwurzlung allerdings vollends. (Wie unterscheiden Sie Kritik von "Jammern"? Bewegen Sie sich nicht selbst gerade auf der "Metaebene" (oder machen wir dialektische Metaphysikkritik daraus)? "Jammern" Sie selbst gerade auch in einem Opferdasein? Wie unterscheiden Sie ihr "Sich-Echauffieren" vom "Sich-Echauffieren" anderer?)