Die Wahrheit: Integrationsprobleme andersherum
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung – verglichen mit dem Homo sapiens sind andere Primaten Sozialprofis (Teil 5).
![Ein Mädchen sitzt auf einem Roller mit einer Maske aufgesetzt Ein Mädchen sitzt auf einem Roller mit einer Maske aufgesetzt](https://taz.de/picture/1184639/14/Wahr_AufMoAffe.jpeg)
Die US-Pavianforscherin Barbara Smuts schrieb über „ihre“ Tiere (in „Sex and Friendship in Baboons“), die sie jahrelang beobachtete: „Zu Beginn waren die Paviane und ich in keiner Weise einer Meinung.“ Sie musste zuvörderst die Paviankommunikation annähernd beherrschen: „Erst durch ein gegenseitiges Kennenlernen konnten sowohl Paviane als auch Mensch ihrer Arbeit nachgehen.“ Dabei interessierte Smuts jedoch nicht mehr: „Sind Paviane soziale Wesen?“, sondern sie fragte sich selbst: „Ist dieses menschliche Wesen sozial?“
Als sie das schließlich im Hinblick auf „ihre“ 123-köpfige Affenhorde einigermaßen positiv beantworten konnte, kam sie zu dem Schluss, dass die nicht-sprachliche Kommunikation, bei der sich die Körper über Blicke und Grüßen „eng austauschen“, der sprachlichen Verständigung in puncto Ehrlichkeit und Wahrheit überlegen ist.
Demnach scheint in der Kommunikation/beim Kontakt eine auf die Beteiligten unmittelbar bezogene Gegenseitigkeit der Gesten und Laute stabilere Kollektive/Gemeinschaften zu schaffen. Dem gegenüber steht der Austausch von Äquivalenten, auf die unsere Warensprache abhebt. Der Affe favorisiert also soziale Erfindungen, der moderne Mensch technische? Schon der Meeresbiologe Adolf Remane begann sein Buch über den Stand der Soziobiologie damit, dass „das soziale Zusammenleben den Menschen große Schwierigkeiten bereitet“. Dies war bereits Aristoteles aufgefallen. Als Beweis hatte er unter anderem die vielen „Reisegruppen“ erwähnt, in denen man sich wegen jeder Kleinigkeit streitet.
Paviane machen es sich nett
Dem gegenüber kam die US-Primatenforscherin Shirley Strum bei ihrer 42 Jahre langen Beobachtung von Pavianen in Kenia zu dem Ergebnis, dass in diesen Horden schier permanent versucht werde, das soziale Zusammenleben erträglich zu gestalten. Und weil die Paviane dazu weitaus weniger Hilfsmittel haben als wir (Statussymbole, Sprache, Kleidung, Werkzeug etc.), sind sie quasi Sozial-Profis im Vergleich zu uns Menschen und machen das „wirklich nett“, so Strum.
Nicht zuletzt deswegen, „weil im Unterschied zu den Menschen keiner von ihnen über die Fähigkeit verfügt, die wichtigsten Lebensgrundlagen zu kontrollieren. Jeder Pavian hatte sein eigenes Futter, sein eigenes Wasser, seinen eigenen Platz im Schatten und sorgte selbst für die Abdeckung seiner grundlegenden Lebensbedürfnisse.
Aggression als gefesselter Tiger
Aggression konnte zwar als Druckmittel eingesetzt werden, stellte jedoch einen gefesselten Tiger dar. Grooming, Einander-Nahesein, gesellschaftlicher guter Wille und Kooperation waren die einzigen Vermögenswerte, die man gegenüber einem anderen Pavian als Tausch- und Druckmittel einsetzen konnte. All das waren Aspekte der Nettigkeit'. Was ich entdeckt hatte, war ein revolutionäres neues Bild der Pavian-Gesellschaft.“
Der Anarchist und Ethnopsychoanalytiker Paul Parin hat ebenfalls etwas in einer Pavian-Gesellschaft entdeckt: Er besuchte einmal den Schweizer Pavianforscher Hans Kummer im äthiopischen Hochland. Gemeinsam schauten sie abends dem Treiben auf dem Affenfelsen zu.
In seiner Geschichte „Kurzer Besuch bei nahen Verwandten“ schrieb Parin: „Es war uns vergönnt, dabei zu sein, wie sich eine Vermutung der Forscher erstmals bestätigte. Zwei ältliche Junggesellen – ihre Namen müsste ich verschweigen, wenn ich sie nicht vergessen hätte – lebten seit langem zusammen und schliefen eng aneinander in einer Felsspalte. An jenem Abend jedoch, in der Stunde der Geselligkeit, näherte sich ein schlanker Jüngling dem einen der gesetzten Herrn, kraulte ihm verstohlen das Fell und bot ihm, wenn der Freund des Alten nicht hinsah, sein hellrotes Hinterteil. Der Strichjunge, wie wir ihn nannten, hatte Erfolg. Dem Freund des Verführten waren die Zärtlichkeiten der beiden nicht entgangen. Jetzt war es zu spät. Aus den Augenwinkeln schielte er hinüber, wie sich sein Freund mit dem Gespielen einließ. Verlegen blickte er zu Boden. Traurig – das sah man seinen müden Bewegungen an – turnte er schließlich den Felsen hinauf und fand einen Platz für seine einsame Nacht. Als es dunkelte, hatte auch das ungleiche Paar genug vom sinnlichen Spiel. Die beiden setzten hinauf zum gewohnten Schlafplatz der Freunde.“
Mir hat an dieser Geschichte besonders der Satz gefallen: „Zwei ältliche Junggesellen – ihre Namen müsste ich verschweigen, wenn ich sie nicht vergessen hätte“: So weit sind wir schon, dass wir die Affen nicht nur benamen, sondern ihnen ihr „Coming-out“ als Schwule auch selbst überlassen, wenn sie nicht gerade Personen von öffentlichem Interesse sind.
Der Wissenssoziologe Bruno Latour meint: „Ökologie wird nur dann gelingen, wenn sie nicht in einem Wiedereintritt in die Natur – diesem Sammelsurium eng definierter Begriffe – besteht, sondern wenn sie aus ihr herausgelangt.“ Wie das zu verstehen ist, dazu hat sich der Delphinsprachforscher John C. Lilly geäußert, als er seiner Assistentin Alexandra Morton riet, die Tiere bloß nicht zu „zoologisieren“. Sie hat sich dann auch daran gehalten, wie überhaupt die meisten Verhaltensforscherinnen nicht zum Zoologisieren neigen.
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