Die Wahrheit: Schmähen verstehen
Aus der Geschichte der Beleidigungen: Eine dringend notwendige und abschließende Übersicht der wichtigsten historischen Schimpfdichtungen.
Geschmäht, verspottet, unvergessen – das ist König Nabonid, der letzte, verhasste und offenbar wahnsinnige Herrscher des Neubabylonischen Reiches, dem ein besonders kleines Glied nachgesagt wurde. Dass der prahlerische babylonische König heute noch auch dafür bekannt ist, verdankt er den Archäologen, die eine zerbrochene Tontafel fanden. Sidney Smith übersetzte die Keilschrift 1924 und musste entsetzt feststellen, dass es sich um die erste Schmähschrift der Geschichte handelte.
Nabonid konnte nicht schreiben und noch nicht einmal das Schmähgedicht über sich selbst lesen. Ein peinlicher Prinz, der die Händler in ihrer Arbeit behinderte und den Bauern ihren Besitz nahm, weil sie das Alalu-Lied sangen! Das berichtet der Text der Schrifttafel. Gegen die alten Götter verfiel der freche Frevler in Sünde und führte die Götzenbilder des Möchtegerngotts Sin in Babylonien ein.
Der wahnsin(n)ige König nannte den Tempel für den neuen Götzen Ehulhul. Schon der Name – eine Zumutung! Die gute alten Priester und die klugen Schmähdichter waren natürlich bedient. „Ich werde Sin an die Hand nehmen und zu seinem heiligen Sitz führen“, prahlte Nabonid. Dabei hätte er seinen Günstlingsgott besser zur beliebten Neujahrsprozession mitgenommen, aber stattdessen erklärte der lustfeindliche Potentat diese ein für allemal für beendet. Das verdross das Volk sehr.
Der tumbe Lästerer Nabonid schnappte inzwischen völlig über. „Ich bin weise und sah alles Verborgene. Auch wenn ich nicht weiß, wie man es mit dem Stift niederschreibt, so habe ich doch Geheimnisvolles gesehen. Nun bin ich weiser als Adapa.“ Dabei hatte Adapa den multi-funktionellen Palmwedeladapter erfunden, aber was interessierte das schon seinen verrückten Herrscher?
Lustfeindlicher Potentat
Er wurde anschließend endgültig verrückt, seine Heiligtümer und Schriften wurden verbrannt. Alles von und über ihn wurde vernichtet. Alles bis auf das Schmähgedicht. Das geschah Nabonid recht!
Nicht nur die Babylonier, sondern auch die Griechen und Römer waren große Schmäher. Archilochus lebte seinen Hass auf seinen bekloppten Namen besonders extensiv aus und schreckte vor keinem Tiervergleich zurück. Im alten Rom schmähte Catull Caesar heftig unter der Gürtellinie. Der schlaue Caesar lud seinen Schmäher ein und machte ihn zu seinem Gefolgsmann. So geht’s doch auch!
Das Schmähdichten war allerdings schon damals sehr gefährlich: Der Dichter Baschahar Ibn Burd („Die Bürde der Gebashten“) wurde zu Tode geprügelt, weil er den Kalifen als Storch geschmäht hatte. In Skandinavien hingegen sollten die „Scheltdichter“ zu großer Form auflaufen. Die Skalden waren seinerzeit die führenden Pöbeldichter in Europa.
Die berühmtesten Schmäher aber kommen nicht aus der rappenden Bronx oder den französischen Vorstädten, sondern aus Irland. Dort wird der alte Brauch des Glám dícenn (Heftig dissen) seit altersher gepflegt. Die rituelle Verwünschung schädigt die beschimpfte Person geistig und körperlich. Wirksames Schmähen überlässt man dabei am besten den Druiden, die sich erst mal durch Hungern Wut anfasten. Wichtig ist der Körpereinsatz beim Schmähen. So hüpfte der Schmäher Lugh bei der Schlacht von Mag Tuired auf einem Bein um das feindliche Heer und verbarg dabei eine Hand und kniff ein Auge zu. Solcherart geschmäht, verloren seine Gegner die Schlacht deutlich und fielen auf einen Abstiegsplatz zurück.
Faules Dichterpack
Solch ein körperlicher Einsatz wie der vom hüpfenden Lugh wird leider kaum noch praktiziert. Heutzutage schmähen die Herren Dichter die Potentaten gemütlich im Sitzen. Also faules Dichterpack beherzigt gefälligst die goldene Regel: Schmähen nur im Stehen! Und bitte keine Versmaßlosigkeiten!
Beleidigen ist natürlich das Mindeste beim Schmähgedicht, üble Nachrede ist schon besser, und die veritable Verleumdung gilt als hohe Schule des Schmähens. Strafbares Schmähen kann sich sogar durch Tatsachen inadäquate Herabwürdigung ergeben. Und wie? Das führen Alpmann und Schmidt in ihren juristischen Lehrgängen aus: Bei einer Hochzeitsfeier führt der Redner detailliert das frühere Sexualleben der Braut aus. Das wäre eine gelungene Schmähung nach § 185. So eine Schmähung nennt der Jurist passend „Injurie“ (Ehrverletzung, Beleidigung, Beschimpfung). Als ob die ihm selbst so fernläge.
Man kann sogar Unmündige und Wahnsinnige justiziabel beleidigen. Wahnsinnige Potentaten wie Nabonid sind also durch den zusätzlichen Majestätsbeleidigungsparagrafen vom verrückten Gesetzgeber doppelt geschützt! Das müsste man mal hüpfend in einem scharfen Schmähgedicht geißeln!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen