Die Wahrheit: Söder in Not
Bayerns Finanzminister wird verwirrt in Berlin aufgegriffen und bekommt Asyl in einer barmherzigen Wohngemeinschaft.
Er rannte in einem dunklen Mantel aufgeregt über das Trottoir, und er fiel auf. Gut gekleidete Männer sieht man im Berliner Bötzowviertel öfter. Aber dieser Mann trug keinen Bart, er konnte also nicht von hier sein. Sein Mund schnappte auf und wieder zu, und dann hatte er diesen irrlichternden Blick und diese schräg stehenden grünen Augen, die nervös flackerten, bevor sie einen fixierten.
„Herr Söder?“, fragte ich vorsichtig und machte einen Schritt auf ihn zu. Er schien dankbar für die Ansprache, wirkte aber unschlüssig, als wisse er nicht, was als nächstes zu tun sei. Was machte er bloß an diesem Abend mitten in Prenzlauer Berg? Wurde nicht soeben in Bayern das neue Kompetenzteam seiner Partei gekürt, wobei es auch darum ging, wer den Horst Seehofer beerben würde?
Plötzlich rannte Söder auf die Straße, auf der gerade ein Taxi mit hoher Geschwindigkeit entlangraste. Ich packte ihn noch am Ärmel, diesen schweren, stämmigen Mann. „Sie sind ja total von Sinnen!“, brach es aus mir heraus, und dann sah ich Markus Söder aus der Nähe. Er war allein und offensichtlich völlig orientierungslos.
Mir fiel ein, dass er in meinem Alter war, wir haben fast gleichzeitig Geburtstag, er und ich. Und da war sofort klar, dass ich ihn erst einmal mitnehme nach Hause. Er folgte auch ganz willig und setzte sich auf das Sofa in der Küche. Und dann war er da, der Söder. Ich erwartete ein paar Gäste, was sollte ich sagen? Das ist der Markus Söder, den habe ich auf der Straße aufgegabelt? Und wenn sie ihn bedrängen würden, gar ausfragen?
Mit den Nerven am Ende
Genau so kam es. „Was macht der Markus Söder bei dir?“, fragte mich ein Freund nach einem kurzen Blick auf das Sofa. Er befürchtete einen Trick. Der Söder, der habe doch einst den Defekt seines Dienstwagens vorgetäuscht und sich in die Serie „Dahoam is Dahoam“ eingeschlichen. Und dann habe er eine Darstellerin vollgeschwafelt, welche Segnungen der Freistaat seiner Partei zu verdanken habe. „Der Söder ist gewitzt“, meinte der Gast, „der macht das so unauffällig, dass es nicht mal dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks auffällt. Und jetzt denkt der Söder, er könne bei uns landen.“
Dagegen sprach nur dessen verwirrter Blick, wie er da so auf dem Sofa saß und am Wasser nippte. Nein, würgte ich die Spekulationen ab, der Söder braucht unsere Hilfe, er ist hier Gast und fertig. Ich hatte Mitleid. Wie konnte der Seehofer den Söder aus dem Kompetenzteam schmeißen und stattdessen den Guttenberg vorziehen, diesen Lackaffen? Kein Wunder, dass der Mann mit den Nerven am Ende war. Eine Freundin setzte sich neben den Söder und strich ihm über die Wange.
„Was für einen Kampf er hinter sich haben muss“, sagte sie mitfühlend. Stimmt. Unsere Generation hat ja so ihre Erfahrungen, ich sage nur: „Stoppt Strauß.“ Mit diesem Anstecker wurde man im Westdeutschland der achtziger Jahre schon mal der Schule verwiesen. Wie das damals wohl erst in der fränkischen Provinz war? Da wird der Markus vom Vater nicht hineingelassen ins Haus, weil der Bub einen Willy-Brandt-Sticker am Revers trägt. Was danach geschieht, will man sich nicht ausmalen, nämlich was der Vater, ein großer Fan vom Franz Josef Strauß, mit dem Markus gemacht haben muss, dass der dann mit 16 in die richtige Partei und dann gleich noch in die Junge Union eingetreten ist.
Jedenfalls war der Söder dann auf Linie, und wie: Kruzifix ins Klassenzimmer, aber hinaus mit dem Kopftuch! Und jeden Morgen die Nationalhymne singen! Urlaub für Hartz-IV-Empfänger? Sind wir denn bei den Hottentotten? Und wie schwierig das wurde, als der Wind sich drehte. Als der Söder nach Fukushima plötzlich zum Atomkraftgegner wurde. Wie er die Griechen sofort aus dem Euro schmeißen wollte. Und jetzt das Grundrecht auf Asyl infrage stellt. Wie anstrengend das sein musste, immer noch radikaler sein zu müssen als der Horst! Und das alles nur, um Kalif anstelle des Kalifen zu werden.
Endlich entspannte Gesichtszüge
„Das ist doch reinstes Mittelalter!“, entfuhr es einem meiner Gäste, und er erntete dafür einen strafenden Blick. Wollte da jemand den ersten Stein werfen? War der Kollege, ein Journalist, nicht selbst auch schon Versuchungen erlegen, hatte den Klimawandel aus wohlfeilen Erwägungen allzu drastisch dargestellt oder den Hang der heimischen Polizei zu Übergriffen übertrieben? Der Vergleich irritierte meine Gäste. Ich wurde der Befangenheit bezichtigt, und, schlimmer, ich sei Sympathisant und dabei nicht einmal Bayer.
Der Söder auf dem Sofa blickte dankbar auf. Tja, das war eben unser Berliner Bötzowviertel, wo er so freundlich aufgenommen wurde. Deutschland: ein schönes Land, selbst wenn Bayern untergeht. Seine Gesichtszüge entspannten sich. Hier war er sicher, fern von den Ränkespielen im Bayernlande.
Der Söder wohnt jetzt bei mir. Er kocht jeden Abend Schweinsbraten, dazu gibt es ein zünftiges Helles. Manchmal hört er Blasmusik, aber dann schließe ich einfach die Tür zu seinem Zimmer.
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