Die Wahrheit: Geschichte lernen mit Gunter Gabriel
In der Weltstadt Barsinghausen bei Hannover tritt der große Barde der Country-Musik auf und verkündet seine sehr eigene Sicht der Weltereignisse.
I st es so, dass der Zweck die Mittel heiligt oder doch eher der Zwerg die Kittel reinigt? Muss man sich für eine gute Sache alles gefallen lassen, sogar Gunter Gabriel? Anscheinend ja. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass ich im Konzert „Rock for Refugees“ in der Weltstadt Barsinghausen bei Hannover in der ersten Reihe stehe und begeistert mit dem Fuß wippe, während Gunter „The Voice“ Gabriel für den guten Zweck Johnny Cashs „Ring of Fire“ ins Mikrofon röhrt.
Der Mann hat immer noch Stimme, sieht aber aus wie etwas, dass man im Fundus der „Muppet-Show“ vergessen und dann rasch entstaubt und wieder aufgebügelt hat. Na ja, er ist schließlich nicht mehr der Jüngste. „Dass ich mit 75 hier noch stehe, ist doch toll!“, ruft er begeistert. Nach Aktenlage ist er übrigens erst 73. Wir im Publikum sind trotzdem bereit, das ganz toll zu finden.
Dann erzählt er von seinen jungen Jahren, von Auftritten mit Rex Gildo, Roy Black und Drafi Deutscher: „Und die sind alle längst tot, und ich stehe hier!“ Wohlwollender Applaus brandet auf, fürs nackte Überleben. Die Musiker der Band dagegen schauen betroffen drein. Werden sie die nächsten sein, die Gunter ins Grab singt?
Er bemüht sich um ein paar Worte zum Anlass, Krieg, ja, er sei ein Kriegskind. Krieg sei Scheiße, der Hitler damals, der habe 60 Millionen Leute auf dem Gewissen, aber der sei es ja nicht allein gewesen. Der Geschichtslehrer neben mir und ich nicken müde zustimmend, das kann man wohl so sagen.
Doch Gunter verblüfft uns: „Die Briten, die Amerikaner, die Franzosen – die haben alle Schuld daran.“ Nähere Erläuterung? „Ist genau wie mit dem Winterkorn bei VW. Auf dem hacken jetzt auch alle rum. Dabei war der das gar nicht.“ Aha. Der Geschichtslehrer und ich einigen uns darauf, dass man heutzutage ungestraft jeden Quark behaupten kann; Hauptsache, die Amerikaner sind irgendwie schuld.
„Und jetzt kommt ein Lied für die wichtigsten Männer in unserem Land, ohne die nichts laufen würde.“ VW-Arbeiter? Profi-Fußballer? Martin Winterkorn und Adolf Hitler? Nein, die Trucker natürlich. Die Trucker und Albert Schweitzer, den er verehrt, und die Liebe sei das Wichtigste, aber unerträglich. Ja, sehe ich auch so. Wie? Ach so, ohne Liebe sei das Leben unerträglich. Na dann. „Ich habe Respekt vor jedem Leben.“ Ein Zwischenrufer aus dem Publikum krakeelt irgendwas. „Halt’s Maul, du Arschloch! Ich habe Respekt vor jedem Leben“, kontert Gunter. Übrigens habe er die Gabe, Unglück in Glück zu verwandeln. Fragt sich nur, für wen.
Johnny Cash, schwafelt der Künstler weiter, habe ihn auf dem Totenbett beauftragt, seine Songs ins Deutsche zu übertragen. Den hat er also auch auf dem Gewissen. Jetzt singt er was vom „Ring aus Feuer“, das sich dann auf „Abenteuer“ reimt. Ich denke an meine Dorfjungs, die das Lied vor Jahren schon eingedeutscht haben. Auf niedersächsisch lautet der Refrain „Voll in die Eier“, was ich bisher immer doof fand. Aber plötzlich gefällt er mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!