Die Wahrheit: Waidgerechter Fangschuss
Die Jagdsaison hat begonnen. Um den Bestand gesundzuhalten, steht besonders mutiertes Schwarzwild auf der Abschussliste.
„Horrido joho prääp.“ So ungefähr klingt das stolze Signal der Jäger, wenn sie Wildschweine mit besonderen Verhaltensauffälligkeiten erlegt haben: zwei paarungsbereite, nackte Schweine auf einer Wolldecke im Maisfeld; einen Keiler im Pullunder, der seine Angelausrüstung im offenen Kofferraum verstaut hatte, oder eine Bache mit Frischlingen, die Pilzkörbchen durch den Mischwald trugen und dabei Kinderlieder sangen. Natürlich ist es unabdingbar, den Genpool von solchen offenkundigen Mutationen zu reinigen, um den Schwarzwildbestand gesund zu halten. Kein Wunder also, dass das Jagdhorn nach erfolgreicher Hegemaßnahme hörbare Erleichterung verströmt.
Doch leider streut die Lügenpresse auch in der soeben frisch begonnenen Jagdsaison mal wieder hässliche Gerüchte: Menschen seien es zum Teil, und keine Wildschweine, die da einer völlig ungeeigneten Jägerschaft zum Opfer fielen. Um den Anschuldigungen auf den Grund zu gehen, haben wir einen erfahrenen Jäger auf die Jagd begleitet.
Treueherzen oder Jagdschein?
Der 52-jährige Armin Schütze sitzt im Vorstand des Deutschen Jagdverbands (DJV). Während wir zusammen mit Lonsdale-Terrier Siegfried durchs Unterholz von Schützes Revier streifen, räumt der Waidmann gnadenlos mit der Behauptung auf, Lizenzen würden zu leichtfertig und inflationär vergeben. „Klar, gab es bei Edeka eine Zeit lang die Option ‚Treueherzen oder Jagdschein?‘, was aber keinesfalls heißt, dass der Jagdschein nachgeschmissen wurde: Immerhin war dafür ein Mindestwareneinkauf von zehn Euro nachzuweisen. Und warum soll man, wie jetzt wieder gefordert wird, Fehlsichtige diskriminieren?“
Schütze redet sich in Rage: „Was soll denn schon passieren? Bei einer Sehschwäche ab – 8,0 Dioptrien sind automatisch größere Kaliber vorgeschrieben. Außerdem sind die Jagdkameraden dazu angehalten, den Gehandicapten ungefähr in die Richtung zu drehen, in der sich das Wild befinden könnte. Ich kenne ohnehin kaum blinde Jäger. Viel häufiger sind manische Depressionen, Psychosen, Angststörungen, schwere Epilepsien und galoppierender Schwachsinn.“ Zur Bekräftigung seiner Worte gibt er ein paar scheinbar wahllose Schüsse ins Gebüsch ab. „Bitte nicht“, schallt es da aus einem der Büsche zurück. Ein junger Mann in Laufkleidung tritt mit erhobenen Händen hervor. „Nicht schießen!“ Er zittert am ganzen Leib.
Sprachvermögen und Intelligenz
„Ah.“ Schütze freut sich. „Der ist mir gestern entkommen. Die mit den Jogginghosen sieht man meistens am frühen Morgen. Die sind bereits derart geübt, nur auf den Hinterbeinen zu rennen, dass sie dabei ein ganz schönes Tempo erreichen können. Das glaubt man gar nicht.“ Mit einem kurzen Wink seines Gewehrlaufs bedeutet er dem Zweibeiner niederzuknien und die Hände hinter dem Nacken zu verschränken.
Beeinflusst von überkommenen Denkschablonen werfen wir ein, dass es sich bei dem aufgestöberten Wild doch offenbar um einen Menschen handelt. Schon allein das Sprachvermögen und die Intelligenz …
Mit nur mühsam bezähmter Ungeduld schneidet uns der Jagdfunktionär das Wort ab: „Das hat doch mit Intelligenz nichts zu tun. Jeder Papagei kann ein paar Worte nachplappern. Ganz davon abgesehen gibt es auch superdoofe Menschen und superschlaue Schweine. Wenn ich bloß an diesen kapitalen Keiler denke. Vom Hochsitz aus hab ich dem mal ein Ohr abgeschossen. Er hat sich einmal geschüttelt und ist zurück in den Wald. Am nächsten Tag kam er wieder. Da hab ich ihm das andere Ohr weggeschossen. Am dritten Tag den Rüssel. Am vierten Tag den Schwanz. Er ist trotzdem immer wieder gekommen, weil er gemerkt hat, dass ich nicht sehr genau schieße und ihm keine Lebensgefahr von mir droht. Ein unheimlich pfiffiges Tier. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll: Mit der Zeit wirst du da fast so was wie Freunde.“
Möglichkeiten für ungeduldige Schweine
Eine feine Anekdote. Das Schwein in der Turnhose wird dennoch ungeduldig: „Was passiert denn jetzt mit mir?“ Man kann seine Angst fast riechen. „Das haben wir doch im Wesentlichen schon gestern besprochen.“ Der Jäger spannt den Hahn seiner doppelläufigen Flinte und seufzt. „Na gut, dann eben noch mal. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine: längeres Sperrfeuer mit diversen nicht tödlichen Treffern, danach tagelange vergebliche Suche mit Schweißhunden und schließlich einsames Verbluten irgendwo im Dickicht.“ – „Und die andere?“
Es knallt. Von dem am Hinterkopf aufgesetzten Treffer dürfte der mutierte Keiler kaum etwas gespürt haben. Armin Schütze erläutert: „Der Fangschuss muss sauber und waidgerecht sein. Die quälen sich doch sonst nur. Der Laie weiß ja oft gar nicht, wie untrennbar Tierschutzgedanke und Jagd miteinander verwoben sind.“
Sein charismatisches Sendungsbewusstsein verscheucht die letzten Zweifel. Längst müssen wir über uns selber schmunzeln. Zwar sieht der in einer Blutlache liegende Schwarzkittel einem Jogger nach wie vor täuschend ähnlich, aber ein Mensch hätte sich natürlich gewehrt. Und wir hätten um ein Haar die Polizei gerufen, nur weil hier jemand Artenschutz betreibt.
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