Die Jagdsaison ist eröffnet: Der Haselhuhn-Orgasmus

Wildschweine schießen und schützen. Junge Jäger, die „Urinstinkte“ schulen. Frauen, die das Jagen entdecken. Das Intelligenzfeuilleton jubelt.

Ein Hirsch im Tiergarten von Hannover

Total wild: Ein Hirsch im Tiergarten von Hannover Foto: dpa

In Berlin wurden in der vergangenen Saison allein 1.000 Wildschweine geschossen – von insgesamt 6.000, die angeblich in der Stadt lebten. In Brandenburg töteten die Jäger „rein statistisch gesehen täglich jeweils 195 Wildschweine und Rehe“, wie der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) meldete. Die Presse stellte ansonsten das Waidwerk heuer eher ins Allgemeine.

Inzwischen haben die Naturschützer eine stabile Konkurrenz zu den Jägern geschaffen, indem sie hier Wölfe ansiedelten, die ganzjährig geschützt und von „Wolfmanagement-Plänen“ flankiert werden. Bei den Wölfen, so argumentieren sie, handelt es sich um eine Art „Gesundheitspolizei“: Sie schützen mithin die Natur.

Hinzu kommt die von den Grünen geplante „Agrarwende“, die die „Jäger um die Vorherrschaft im deutschen Wald fürchten“ lässt, wie Die Welt schreibt. Das hat bei etlichen dazu geführt, dass sie sich selbst nun allen Ernstes zu „Umweltschützern“ deklarieren.

Darüber hinaus haben die jagdlichen Recherchen der Intelligenzpresse ergeben: Es gibt unter den deutschen Jägern einen Generationenwechsel und mit diesem immer mehr Frauen in den Jagdgesellschaften. „Nie war die Jagd weiblicher, nie war sie jünger,“ jubelt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung . Der ehemalige Jagd-Redakteur der FAZ, Eckhard Fuhr, der jetzt für die Welt-Gruppe bloggt, machte kürzlich seinen Frieden mit der Jagdkonkurrenz – in einem Buch über die „Rückkehr der Wölfe“, die er begrüßt.

Lieblingsthema „Frauen und Wölfe“

Er kommt dabei noch einmal auf sein Lieblingsthema „Frauen und Wölfe“ zurück: „Früher musste man, um als richtiger Mann zu gelten, einen Wolf erlegt oder wenigstens eine Gams gewildert haben ... Ganz anders bei den Frauen. Sie erlegen den Wolf nicht, Sie lassen sich von ihm küssen.“

Zum Beweis führt Fuhr eine Reihe mehr oder weniger berühmter Frauen an, die über dieses einschneidende Erlebnis ein Buch veröffentlichten. „Der Wolfskuss, so Fuhr, „ist der Stern, der ihnen auf dem Weg zur Selbstfindung leuchtet.“ Aber sie waren nur die Pioniere – inzwischen kann man sogar sagen: „Die Frau scheint zu lernen, den Wolf als Ressource weiblichen Selbstbewusstseins zu nutzen.“

Dies gilt nicht nur für die Frauen, die den Wolf an sich heranließen, und auch nicht für die auf Distanz bleibenden weiblichen Wolfsforscher und -schützer, die er interviewte, sondern auch für jene wachsende Zahl von Frauen, die sich auf die andere Seite schlagen – und in Konkurrenz zum Wolf treten, indem sie sich eine mehrjährige teure Jägerausbildung leisten: das „grüne Abitur, das laut Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) „angeblich schwerer als die Hochschulreife“ ist und etwa 12.000 Euro kostet.

Dass diese „Investition“ für Frauen immer attraktiver wird, auch garderobenmäßig, hat nicht zuletzt mit der Ökonomie zu tun: Bis zur Finanzkrise leisteten sich Großkonzerne wie Siemens, Thyssen-Krupp und die dann „untergegangene“ Landesbank WestLB eigene Jagden – bis hin nach Afrika. Dieser Luxus wurde beziehungsweise wird gerade abgeschafft. Mit anderen Worten: „Es ist“, laut FAS, „Bewegung im Markt, das eröffnet Chancen für Einsteiger.“ Und die werden heute schon früh herangeführt.

Die Jagdschule Emsland zum Beispiel verhilft bereits Jugendlichen zum Jagdschein. Was da geschult wird, nennt der Biologe und Jäger Roman Wüst „Urinstinkt“. In der Süddeutschen Zeitung führte er dazu aus, dass das Erschießen von Tieren eine ganz „ursprüngliche Leidenschaft“ und „Grenzerfahrung“ ist, die Jagd jedoch immer „nur so gut wie der Mensch“ sei, „der hinter dem Gewehr steht“. In Afrika könne durch die Großwildjagd sogar „Artenschutz betrieben“ werden. Im Übrigen jage man nicht, „um zu töten, sondern, umgekehrt, man tötet, um gejagt zu haben“.

Ähnlich kann der Autor Luzius Theler nach dem tödlichen Schuss auf eine Gams in der Neuen Zürcher Zeitung sagen: „Ich bin glücklich, ich habe gejagt.“ Für ihn hat die Jagd wenig mit Naturschutz zu tun: „Das ist eine Mär, die von wohlmeinenden Verbandsleuten und deren Kommunikationsberatern in die Welt gesetzt wurde. Jagd, das ist eine Leidenschaft, eine Sucht gar, die uns beglückt, die uns beherrscht und die uns quält. Und ähnlich wie bei den Verlockungen einer ‚Femme fatale‘ können wir nicht davon lassen.“

Haselhuhn-Orgasmus

„Die Leidenschaft des Jägers“, das hat, wenn der Betreffende selbst davon redet, immer etwas von einem Geständnis, einer Beichte. So auch in dem gleichnamigen Buch von Paul Parin, einem leidenschaftlichen Jäger und Angler, der bereits als 13-Jähriger bei seinem ersten tödlichen Schuss auf ein Haselhuhn einen Orgasmus bekam: „Seither gehören für mich Jagd und Sex zusammen:“ Dieser Doppelschuss, wenn man so sagen darf, machte ihn zu einem „Mann: glücklich und gierig“.

Der linke Psychoanalytiker Parin weiß, ein „aufgeklärter Mensch jagt nicht“, und auch ein „Jude jagt nicht“ – das sind „gleichermaßen Gesetze abendländischer Ethik. Ich muss mich zu den Ausnahmen zählen.“ Aber er hat von sich selbst und vielen anderen erfahren: „Wenn mein Vater nicht seine Jagd gehabt hätte, wären wir Kinder in der strengen und sterilen Familienatmosphäre erstickt.“ Deswegen kann er rückblickend eher genuss- als reuevoll zum Beispiel seine Jagd auf eine Gazelle in der Sahara und das Forellenfischen in Alaska – als Sucht – beschreiben. In einem Nachwort rühmt Christa Wolf Paul Parins „Lebenskunst“.

Nun gibt es aber noch eine erregendere Tätigkeit als die des Jägers: die des Wilderers, „der gleichzeitig Jäger und Gejagter ist“, wie der Sozialforscher Norbert Schindler in seiner wunderbaren Studie über das Salzburger Land: „Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution“ hervorhebt.

Und es gibt die Jagdunfälle: nicht nur dass sich, wie in diesem Jahr wieder geschehen, Jäger gegenseitig erschießen, auch dass eine angeschossene Wildsau oder ein wütender Hirsch einen Jäger tötet. Grundsätzlich gilt jedoch wohl: Tiere sind nicht in der Lage, sich zu einem (Sklaven-)Aufstand gegen die Menschen zusammenzutun. Eine Revolution ist mit Tieren nicht zu machen, weswegen der Harvard-Neurologe Marc Hauser ihnen in seinem Buch „Wild Minds“ mangelnde Moral attestiert: „Kein Tier hat je eine Koalition mit Verbündeten gebildet, um das System aus den Angeln zu heben.“

Einzelne Problemwölfe

Der deutsche Jäger Eckard Fuhr empfindet die hier eingewanderten und heimisch gewordenen Wölfe zwar als eine Bereicherung, aber mit einzelnen „Problemwölfen“ würde er dennoch kurzen Prozess machen. Es dürfe nicht so weit kommen, dass sie die „Spielregeln“ bestimmen: „Von allen denkbaren Begründungen für die Wolfsjagd wäre das immerhin diejenige, die am meisten einleuchtet.“

Nun muss man aber den Jäger Fuhr in dieser Sache nicht allzu ernst nehmen. Unter anderem der Tierpsychologe Heini Hediger versichert uns, dass die Jäger nur wenig zum Wissen über die Tiere beigetragen haben und beitragen: „Ein Schuss, selbst ein Meisterschuss, ist eben niemals Beginn, sondern stets das Ende einer allzu kurzen und meist nicht sehr vielsagenden Beobachtung.“

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