Die Wahrheit: Rennen mit Umleitung
Wer Gutes tun will, kann schnell vom Wege abkommen. Und dann ist es Essig mit der „Win-win-Situation“.
E ndlich sind Schulferien, und man hat Ruhe vor den Quälgeistern. Da die irischen Wohltätigkeitsverbände ständig Geld benötigen, um die Löcher zu stopfen, die durch die Austeritätspolitik entstanden sind, lassen sie sich gerne von Schulkindern helfen. Die ziehen von Haus zu Haus und betteln darum, sie für Leistungen zu sponsern, die sie demnächst bei irgendeinem Wettkampf erbringen würden.
Das Sponsorengeld ist aber sofort fällig. Man hat keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Kleinen wirklich an dem Wettkampf teilnehmen. Man weiß nicht einmal, ob das Geld womöglich in die nächste Eisdiele umgeleitet wird.
In England leiten sie Wettkämpfer hingegen nach nirgendwo um. Neulich gab es in Bournemouth ein Wohltätigkeitslauf für die British Heart Foundation, die Forschungen über Herzkrankheiten finanziert. 1.200 Läuferinnen und Läufer hatten 70.000 Pfund an Sponsorengeldern eingetrieben und sollten dafür 10 Kilometer um die Wette rennen. Das Feld teilte sich schnell, etwa 300 Läufer hatten sich nach 5 Kilometern abgesetzt. Umso überraschter waren sie, als sie feststellen mussten, dass sie die Letzten waren, nachdem sie endlich im Ziel eingetrudelt waren.
Auf halber Strecke sollten die Teilnehmer nämlich in eine Haarnadelkurve geschickt werden und denselben Weg zurück zum Start rennen, der auch das Ziel war. Doch der Ordner, der ihnen den Weg weisen sollte, musste auf die Toilette. Als er zurückkam, war der Tross bereits auf dem Weg zur Autobahn. Nach 2 Kilometern wurden die Leute misstrauisch, weil sie an eine Straßengabelung kamen und nicht wussten, welche Gabel sie nehmen sollten.
Läufer brachen in Tränen aus
Sie berieten sich und kehrten vorsichtshalber um. Plötzlich kam ihnen eine ältere Autofahrerin entgegen, die wütend hupte und sie von der Straße scheuchen wollte. Sie war während eines weiteren Toilettenbesuchs des Ordners durch die Absperrung geschlüpft. Einige der Läuferinnen und Läufer brachen in Tränen aus, als ihnen im Ziel klar wurde, dass sie mehrere Kilometer zu viel gerannt waren, während die langsameren Läuferinnen und Läufer längst an der Strandbar saßen.
Einer von denen, Lokalmatador Karl Welch, war ziemlich erstaunt, als er die Ziellinie überschritten hatte und von der Menge als Sieger bejubelt wurde. Ob sich die anderen 300 Teilnehmer vor ihm verlaufen hätten, fragte er. Der Cheforganisator nickte kleinlaut und sagte die Siegerehrung ab.
So etwas kann unserem Nachbarsjungen nicht passieren. Er hatte mir 5 Euro für ein Kinderheim abgeluchst und versprochen, dafür an einem Radrennen teilzunehmen. Wann das stattfinde, wollte ich wissen. Er sah mich verblüfft an. Ob ich etwa zuschauen wolle, fragte er entsetzt. Dann erklärte er, dass es um ganz andere Dinge gehe: Er habe mir das Gefühl vermittelt, etwas Gutes zu tun, und das Kinderheim profitiere davon – „eine Win-win-Situation“, meinte er, und es klang plausibel. Der Junge ist 13. Er wird später Politiker. Auf das gute Gefühl warte ich immer noch.
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