Die Wahrheit: Die geplatzte Segelblase

Neues aus Neuseeland: Eine ganze Nation hängt morgens früh am Fernseher und kaut Nägel vor Spannung. Es geht um Segeln. America's Cup.

Ich bin eine elende Sportbanausin. Die doppelte Staatsbürgerschaft habe ich daher eigentlich nicht verdient. So war ich wohl die Letzte, die mitbekam, wie wir als Nation durch die Hölle gingen. Ich wunderte mich letzte Woche nur, warum schon morgens bei uns der Fernseher lief, warum der Handwerker ständig einen Radioübertragungsknopf im Ohr hatte und es um neun Uhr draußen so leer war. Erst als die über Nacht ergrauten Haare, tiefen Gesichtsfurchen und abgebissenen Fingernägel um mich herum unübersehbar waren, da kapierte ich: Es war grausam. Es war Segeln.

Im Hafen vor San Francisco tobte in den letzten Wochen ein Kampf zwischen David und Goliath: der America’s Cup. Im Finale Team New Zealand (besser: Emirates) und Team USA (oder Oracle). Dabei waren auch Nespresso, Camper, Tag Heuer – eine Schlacht der Logos und Multimillionäre, ein Aufgebot von Nasa-verdächtigem Hightech und ein Sport, der auf dem Bildschirm nur dank Computergrafik nachvollziehbar ist. Eine halbe Milliarde Dollar hatte der Oracle-Boss in das Rennen der Superreichen gepumpt. Unser Premierminister hielt mit 36 Millionen aus der Staatskasse dagegen. Was in spritzender Gischt vor der Kulisse von Alcatraz geboten wurde, kam ungefähr dem Zerreißen von Geldscheinen unter einer eiskalten Dusche gleich, nur mit höherer Adrenalinausschüttung.

Eigentlich war alles fast schon entschieden. Der Sieg stand uns mit 8:1 praktisch ins Haus, und der Patriotismus der Kommentatoren überschlug sich. Egal, ob man wie ich bisher höchstens mal ein Schlauchboot navigiert hatte und nicht wusste, was ein „jibe“ oder „tack“ ist: Wir saßen jetzt alle mit im Boot. Der Becher war so greifbar, ein einziges Rennen noch! Bis dahin stand das Leben still. Im kleinen Kaff Kerikeri kam es zum Verkehrsstau, weil alle Fernsehgucker gleichzeitig nach einer nervenzerreibenden Übertragung ihre Häuser verließen. Im Yachtclub in Lyttelton veranstalteten sie Tag für Tag ein Siegerfrühstück, immer wieder Eier braten um sechs Uhr früh – umsonst, der Feind holte stetig auf. Sänger Dave Dobbyn, der einst die Hymne für den America’s Cup schrieb, wartete in Auckland mit gezückter Gitarre auf seinen Einsatz, aber musste wieder abziehen. O, es war erbärmlich. Dagegen verblasst die deutsche Bundestagswahl.

Der vorige Donnerstag wird jetzt totgeschwiegen. Da zerplatzte die Nationalstolzblase endgültig. All der Hype, und dann so elend geschlagen. Mein Sohn brachte das Bild eines Katamarans nach Hause. Auf der Waldorfschule malen sie sonst nur Trolle und Bäume. Es war ein Aufschrei der Seele, in Pastellfarben, den ich nicht länger ignorieren konnte. Ich knickte ein. Doch wie ihn trösten? Dass wir verloren haben, lag ja nur am Geld. Aber es gibt eine Hoffnung fürs nächste Mal. Kim Dotcom hat getweetet: „I say #Mega will become a Team NZ sponsor“. Der dicke Deutsche wird das Ruder rumreißen! Oder der Wal, der im Hafenbecken von San Francisco kreiste. Wenn der keine ferngesteuerte Attrappe der Amerikaner war. Das kommt sicher bald ans Licht.

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Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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