piwik no script img

Die WahrheitMit erhobener Linker

In Erinnerung an den Schimpansen Petermann, der einst ein Star im Kölner Karneval war und nach seiner Flucht von der Polizei erschossen wurde.

„Petermann, geh du voran!“ war einstmals ein beliebter Spruch in der Kölner Anarchoszene. Bild: imago/zuma/keystone

Unangefochtener Star des Kölner Karnevals war einst ein kleiner Schimpanse, der 1949, zusammen mit seiner Mutter, irgendwo in Afrika eingefangen und nach Europa verschifft worden war. Während die Mutter noch vor der Ankunft starb, wurde der Kleine, zunächst Pittermännchen und später Petermann genannt, im Kölner Zoo vom damaligen Direktor Werner Zahn „von Hand“ aufgezogen. Bald schon musste er andressierte Kunststücke vorführen oder stundenlang im Kassenhäuschen sitzen und Eintrittskarten ausgeben. Im Jahr 1952 trat er, ausstaffiert mit Frack und Zylinder, erstmalig im Fernsehen auf.

Über Jahre hinweg steckte man ihn zur Karnevalszeit in eine bunte Gardeuniform und reichte ihn von einer Prunksitzung zur nächsten; gelegentlich musste er zum Gaudium der Jecken auch eine Livree oder ein rosa Tutu tragen. Wie er den Trubel, die Blitzlichter, das Herumgezerre an ihm verkraftete, kümmerte niemanden.

Als er im Alter von etwa zehn Jahren immer aggressiver und unkontrollierbarer wurde, mussten seine öffentlichen Auftritte im Jahr 1958 eingestellt werden. Er wurde in einen zehn Quadratmeter großen, rundum verfliesten Einzelkäfig gesperrt, wo er in tiefe Depression verfiel, unterbrochen nur von wiederkehrenden Tobsuchtsanfällen. Das Eisengitter vor seinem Käfig wurde durch eine Panzerglasscheibe ersetzt, da er Besucher bespuckte und mit Exkrementen bewarf. Mit einer ihm zeitweise zugesellten Schimpansin namens Susi wusste er nichts anzufangen.

Die folgenden 27 Jahre vegetierte Petermann in seinem winzigen Fliesenbunker vor sich hin, ohne Beschäftigung, ohne Sozialkontakt, ohne Möglichkeit, sich wenigstens zeitweise in einem Außengehege aufzuhalten, da solches für ihn nicht vorgesehen war. Am 10. Oktober 1985 machte er zum letzten Mal Schlagzeilen. Er schaffte es, die Tür seines Käfigs zu öffnen, und flüchtete zusammen mit Susi. Zunächst schlug er einen Wärter nieder, dann fiel er über den zufällig des Weges kommenden Zoodirektor Gunther Nogge her, dem er lebensgefährliche Verletzungen im Gesicht zufügte und ihm obendrein ein Ohr und zwei Finger abbiss. Die Polizei rückte mit Scharfschützen an und erschoss Petermann noch auf dem Zoogelände; vor den tödlichen Schüssen soll er kämpferisch die linke Faust in den Kölner Abendhimmel gereckt haben. Susi wurde in der Innenstadt gestellt und ebenfalls erschossen. Nogge überlebte nur dank einer Notoperation.

Nach seinem Tod wurde Petermann zur Symbolfigur der anarchistischen und linksalternativen Szene Kölns, sein Angriff auf Nogge wurde zum „Kampf der geknechteten Kreatur gegen Unterdrückung und Ausbeutung“ stilisiert. An Hauswänden fand man Graffitis wie „Petermann lebt!“ oder „Petermann, geh du voran!“, eine Fußballmannschaft der „Bunten Liga“ wurde mit und in seinem Namen „Deutscher Alternativmeister“. Selbst in bürgerlichen Kreisen erinnert man sich bis heute mit einiger Schadenfreude an Petermanns Attacke, zumal Gunther Nogge wegen seiner autoritären Amtsführung noch nie sonderlich beliebt war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Und es hat sich bis ins 21. Jahrhundert nichts geändert! Menschenaffen werden nach wie vor zur Schau gestellt, müssen sich weiterhin für die ignorante Menschheit mit dummen Tricks erniedrigen lassen und leben bis an ihr Lebensende ohne Hoffnung hinter Gittern. Was für ein tragisches Leben!

  • Die Wahrheit? Mag schon stimmen, aber doch über fünfzig Jahre her. Das so ein Artikel hier von Colin Goldner verkauft wird kann ich nicht nachvollziehen. Reicht der Hinweis auf die angebliche "Anarchoszene" dafür aus?