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Die Sache mit der MeinungsbildungBesser werden wollen

Obwohl wir wissen, dass Perfektion eine Falle ist, wollen wir gut sein und gemocht werden. Natürlich sind nicht erst die sozialen Medien schuld.

Gutheit ist über so ein Menschenleben nie konstant verteilt Foto: Tuchon/Imaginechina/imago

L ike, like, like – wow, wie schön sie ist – like, like – die sagt so kluge Sachen – like – er hat so ein tolles Leben – Feueremoji – so inspirierend – like – gehöre ich dazu, wenn ich das teile? – like, like – bin ich unsolidarisch, wenn ich das nicht teile?

Seit einer Weile fällt mir Meinungsbildung schwer und das hat auch mit mögen und gemocht werden wollen zu tun. Natürlich sind nicht erst die sozialen Medien schuld. Vor Instagram habe ich Fotos in Zeitschriften angeguckt, um zu glauben, dass die dort abgebildeten Leute perfekt sind. Außen und innen. Mit krassen Beinen und krassen Talenten. Jetzt geht es häufiger auch um Gedanken, um das Streben nach dem vermeintlich perfekten Charakter, der richtigsten Meinung. Like?

Ist ja nichts Neues, dass die Sache mit der Perfektion eine Falle ist. Ehrlich gesagt mag ich auch Leute, deren Meinungen ich nicht teile. Nicht wegen ihrer Aussagen, sondern trotzdem. Andersherum gibt es Menschen, deren Ansichten ich ganz gut finde, deren Auftreten aber unerträglich. Schlechte Sympathen und gute Unsympathen, oder so. Beides ist irgendwie unangenehm. Wie soll man da noch Herzchen verteilen?

Ich denke, wie immer fing alles am Anfang an. Wir gucken nach oben und finden Idole, weil Papa Fahrrad fahren kann und die Cousine in einer Band spielt. Im Märchen gibt es gut und böse und auch sonst lässt sich die Welt unterteilen in richtig und falsch. Dafür muss man selten das Gehirn bewegen, Antworten gibt es oft geschenkt.

Audi, SPD und Borussia Dortmund? Like!

Audi: Like, weil mein Vater einen alten Audi fuhr. SPD: Like, weil man das am Sonntagsesstisch eben so fand. Mein erster Freund war Borussia-Dortmund-Fan, also finde ich Dortmund bis heute sympathisch, obwohl ich kein einziges Bundesligaspiel gesehen habe. Ich verlasse mich auf das Urteil von jemandem, den ich mal gut fand und von dem ich gut gefunden werden wollte. Wird schon stimmen, wenn der:­die das sagt.

Die Sache mit der SPD habe ich überwunden, aber 15 Jahre später ertappe ich mich dabei, dass ich immer noch gut gefunden werden will von Leuten, die ich mag. Das ist okay, komplizierter wird es, wenn ich mich darauf verlassen will, dass diese Leute auch immer gute Dinge sagen und tun. Das „ich mag dich und deshalb mag ich auch deine Meinung“, dieses Copy-Paste-Verhalten: Es klappt nicht. Schon gar nicht bei komplexen Themen wie dem Nahostkonflikt, da muss ei­ne:r schon selber ran. Und trotzdem hab ich immer noch etwas Sehnsucht nach einer Person, die immer Richtiges sagt und gut ist.

Aber wir sind ja jetzt erwachsen. Wir haben gelernt: Alle sind unzulänglich, außen und innen. Einmal Herzchen, einmal nicht. Gutheit ist über so ein Menschenleben nie konstant verteilt und wenig schmerzt mehr als der Verlust von Held:innen.

Das Ziel ist ja nicht, dass deshalb alle Arschlöcher sein sollen. Nur weil Idole Quatsch sind, muss man nicht aufhören, sich Mühe zu geben. Die meisten Menschen wollen gut sein, vor sich selbst und vor anderen – sie wollen es nur nicht werden. Besser werden ist unbezahlte Arbeit und ein Eingeständnis der eigenen Noch-nicht-so-Gutheit. Aber wer nicht werden will, muss bleiben und das ist im aktuellen Zustand der Welt keine Option. Bleibt Resignation, könnte ich jetzt sagen. Aber wir könnten auch einfach versuchen, besser zu werden. Ich finde das gut genug. Like?

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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6 Kommentare

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  • Frau Hierse - als Antidot gegen den deprimierenden Pessimismus - schauen Sie in die Arbeiten von Steven Pinker und Matt Ridley.

    Der vorherrschende Verelendungsdiskurs verfehlt die wirkliche, sehr deutliche (lang- und mittelfrist) positive Entwicklung der Welt!

    Steven Pinker: "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit."

    Der englische Titel ist aussagekräftiger:



    "The Better Angels of Our Nature. Why Violence Has Declined"

    Steven Pinker: "Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung"

    Matt Ridley: "The Rational Optimist: How Prosperity Evolves"

    Bjorn Lomborg has presented similar data.

  • Erstmal und klar: nicht WIR. Da gehts nämlich schon mal los.

    Dass es heute den Drang gibt, alles im Leben ständig zu bewerten, überall kund zu tun was einem gefällt oder nicht, sich zu jedem Thema -egal ob und wie tief man sich überhaupt damit beschäftigt hat- eine feste Meinung zu haben und dafür auf jeden like/dislike, Freund/Feind Button zu klicken, der nicht schnell genug auf dem Baum ist, werd ich nie begreifen.

    Wirklich immer überall gut und korrekt zu sein, ja nirgends anzuecken, so woke und perfekt wie möglich zu erscheinen, wirkt auf mich oft aufgesetzt und gezwungen.

    Eine Fassade, um ja nicht angreifbar zu sein, in einer oberflächlichen Selbstoptimierer-Gesellschaft, die Fehler nicht mehr verzeiht, die eben ständig bewertet und im Falle "dislike" mit Stempel, Schublade und Shitstorm reagiert.

    Ich mag "echte" Menschen. Individuen mit Charakter, mit allen Ecken und Kanten, mit Fehlern und Unzulänglichkeiten, ganz ohne gestelltes Instagramm-Selfie mit veganem Superfood Menu im Photoshop-optimierten Sonnenuntergang.

  • Wir brauchen alle Sympathie und Unterstützung, aber sollten auch die innere Kraft und Autonomie entwickeln, nicht zu stark davon abhängig zu werden. Ich teile z.b. manche Meinungen alter Freund*e, die für eine gemeinsame Sache große Opfer auf sich genommen haben, nicht, aber ein innerer Funke verbindet uns. Einigkeit ist eine Dystopie.



    Unabhängigkeit und Verbindlichkeit gleichzeitig entwickeln sich nur in der Auseinandersetzung. Neulich erfuhr ich unerwartet offene Kritik an einem Buch, das ich verfasst habe, von einer älteren Frau mit großer Erfahrung. Ich war verblüfft, aber wir haben das durchdiskutiert und dabei sogar Spaß gehabt. Das hat unsere Beziehung vertieft. Der Grundrespekt war von Anfang an da.



    Politische Debatten werden durch likes nicht besser: Bin dankbar, dass die TAZ da nicht mitmacht. Auf solchen Foren erhalten knappe, rasant formulierte Meinungen oft die meisten "likes". Sicher, sie helfen dem einen oder anderen, schwierige Themen besser zu verdauen und einzuordnen. Der produktiver Zorn als Ausdruck eines Bedürfnis nach Gerechtigkeit wird verstärkt (im besten Fall).



    Die wohlüberlegten, differenzierten Beiträge erhalten hingegen kaum "likes", sind aber für die Bestimmung von Handlungsoptionen viel wichtiger.



    Gute Erkenntnisse entwickeln sich oft aus einem Streitgespräch heraus, zu dem aber auf Kommentarspalten meist die Zeit fehlt, dafür bleibt man nicht stundenlang am Gerät hängen.



    Möglicherweise hängt das Verhalten bei likes damit zusammen, dass viele das Gefühl haben, keinen Einfluss zu haben, also gar nicht an eigenen Handlungsoptionen, sondern zuerst an Meinungen und Haltungen interessiert sind. Trotzdem sind wir nicht machtlos, denn genau dieses weite Feld von Meinungen und Emotionen prägt die Atmosphäre, in der Andere ihre Entscheidungen treffen (siehe Söder und sein "Asyltourismus"). "Besser zu werden", würde bedeuten, zu einem umfassenden, faktenbasierten Verständnis eines Themas zu kommen.

  • Danke für diesen Kolumnentext.



    Viele interessante Gedanken zu einem komplexen Thema.



    Ich finde auch, man sollte ab und zu an seinem Charakter "arbeiten".



    Auch, wenn es wahrscheinlich unbezahlte Arbeit ist, wie Sie schreiben.

  • "Andersherum gibt es Menschen, deren Ansichten ich ganz gut finde, deren Auftreten aber unerträglich.“

    Das Verhalten von Menschen in der polischen Auseinandersetzung könnte Aufschluß darüber geben, wie sie sich verhalten werden, wenn sie die Macht haben.

    “Die meisten Menschen wollen gut sein, vor sich selbst und vor anderen”

    Das ‘principle of charity’ - zunächst die besten Absichten zu unterstellen – ist eine humane Haltung, die das Fenster zum Dialog nicht von vornherein verschließt.

    Dann sollten wir jedoch vorwärts denken und nicht vergessen, daß in der menschlichen Geschichte der Weg zur Hölle mit guten An- und Absichten gepflastert war.

    “Besser werden ist unbezahlte Arbeit und ein Eingeständnis der eigenen Noch-nicht-so-Gutheit. Aber wer nicht werden will, muss bleiben und das ist im aktuellen Zustand der Welt keine Option.”

    Die Umgestaltung der Welt durch unerfahrene, unreife ‘Noch-Nicht-Gewordene’ droht eine ‘nicht-so-gute’ Welt hervorzubringen.

    “Bleibt Resignation, könnte ich jetzt sagen.“

    Nicht so pessimistisch, Frau Hierse. Die aktuelle Welt ist keineswegs so schlecht, wie der mediale Verelendungsdiskurs sie konstruiert.

    In den letzten Jahrunderten, in den letzten Jahrzehnten hat sich unendlich viel für die Menschheit verbessert - auf fast allen Fronten.

    Das Problem ist: die meisten dieser Fortschritte kommen sukzessive und bleiben deshalb unter dem Radar sensationsorientierter Medien – im Unterschied zu katastrophalen Ereignissen: ‘Flugzeug fliegt in Hochhaus’.

    So lesen wir nicht:

    ‘HEUTE WIEDER HUNDERTSECHSTTAUSEND!) MENSCHEN AUS DER ABSOLUTEN ARMUT ERLÖST’

    - das ‘passiert’ die letzten Jahrzehnte täglich. Daß selbst im ärmsten Teil der Welt, in Subsahara-Afrika die Ernährungslage in den letzten Jahrzehnten sich drastisch gebessert hat. Daß der Weltwaldbestand wiederwächst, gerade auch in China u.v.m.

    Nichts-tun ist besser als Tun, das das Erreichte zu verspielen droht.

  • Ach ja - die nie - auch hier nicht verlassene Kindchenperspektive.

    “ Im Märchen gibt es gut und böse und auch sonst lässt sich die Welt unterteilen in richtig und falsch. Dafür muss man selten das Gehirn bewegen,



    (Eben) - Antworten gibt es oft geschenkt.“

    Liggers. Dazu (noch)mal genauer lesen! Gelle.



    Märchen sind Volkers 👄 - Tun Wahrheit.



    & Däh! im Märchen regelmäßig => =>



    Der Jüngste ist immer der kleine Dummkopf! Klaro. But.



    Er! Kriegt immer die Prinzessin! Ooch wieder klar.



    & sodele



    “Tja - Kinder sind nun mal - wennste sie läßt!



    Immer klüger als ihre Eltern!“



    Hören sich bei ~ sojet „Klagen“ meine Großen an.



    Schmunzelnd nickend.

    kurz - “Die Großen sind groß. Weil die anderen sich klein machen!“



    (Joseph Roth ?) & servíce Gern&Dannichfür - 🥳 -