piwik no script img

Die SPD und die BürgergeldreformEine Giftpille für die Sozialdemokratie

Stefan Reinecke

Kommentar von

Stefan Reinecke

Dass die SPD so tut, als wäre das Bürgergeld ein Irrtum, ist unredlich. Genau so nährt sie den Verdacht, eine opportunistische Staatspartei zu sein.

Montagsdemo am 9. August 2004 in Magdeburg: Hartz IV ruinierte das Image der SPD, Schutzmacht der kleinen Leute zu sein Foto: Hans Peter Stiebing

D ie Abschaffung des Bürgergelds soll laut Friedrich Merz Milliarden sparen, die bisher sinnlos an Arbeitsscheue verjubelt wurden. Anstatt die Fleißigen zu belohnen, die brav ihre Steuern zahlen, verschenkte die Ampel haufenweise Geld an Nichtsnutze, so die Botschaft.Daran stimmt nichts. Es gibt ungefähr 14.000 sogenannte Verweigerer, die sich den Jobcentern entziehen. Das sind 0,25 Prozent aller Bürgergeldempfänger.

Schwarz-Rot schurigelt die Ärmeren, so hart es nur geht. Wer künftig aus dem Arbeitslosengeld fällt und noch Geld auf dem Konto hat, soll das abgeben. Ende der Schonzeit. Aber dabei springen keine Milliarden heraus, sondern laut Arbeitsministerium im nächsten Jahr 86 Millionen. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 kostet mehr als hundertmal so viel.

Schwarz-Rot scheint bei der Bürgergeld-Reform, die Niagarafälle zu nutzen, um ein Papierschiffchen anzutreiben. Zu alledem fürchten viele Kommunen, dass die energisch forcierte neue Grundsicherung ihnen einen Wust an Bürokratie, Formularen und Prozessen vor Arbeitsgerichten bescheren wird.

Die Union agiert ideologiegetrieben. Fakten sind da störende Details. Die SPD weiß es besser, aber scheint in einem endlosen Albtraum gefangen zu sein. Hartz IV ruinierte vor mehr als 20 Jahren ihr Image, Schutzmacht der kleinen Leute zu sein. Nach eineinhalb Jahrzehnten rang sich die Sozialdemokratie zum Bürgergeld durch, das Sanktionen durch Anreize ersetzen sollte.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Eine späte Rebellion an der Basis

Das Bürgergeld war nie ein sozialdemokratisches Herzensanliegen, aber zusammen mit dem Mindestlohn von 12 Euro der Versuch, zu verhindern, dass Arme gegen Ärmere ausgespielt werden. Dieser Versuch ist gescheitert. AfD und Union, Unternehmerverbände und Leitmedien orchestrierten eine Antibürgergeldkampagne, gegen die kein Kraut gewachsen war. Die SPD streckte schon vor zwei Jahren die Segel. Bärbel Bas exekutiert jetzt, was die SPD schon damals akzeptiert hatte.

Wenn das Pferd tot ist, steigt man besser ab. So ist eben Realpolitik. Aber das kann auch feige sein. Es ist unredlich, wenn die SPD so tut, als wäre das Bürgergeld ein Irrtum gewesen, den man schweigend entsorgt. Genau das nährt den Verdacht, eine opportunistische Staatspartei zu sein. Dieses Bild ist Gift für die SPD.

Ein paar linke SPD-Basisaktivisten wollen nun, ziemlich spät, das Ja zur Abschaffung des Bürgergelds per Mitgliederentscheid kippen. Es wäre ein Wunder, wenn sie damit Erfolg hätten. Die SPD-Basis ist in Sachen Bürgergeld gespalten, und dass sie die eigene Spitze aus der Regierung katapultiert, ist so wahrscheinlich wie eine absolute Mehrheit für die SPD.

Die meisten Medien halten diese Basisinitiative für eine Bedrohung der Koalition. Das Gegenteil ist der Fall. Die Initiative versucht die intellektuelle Redlichkeit der Partei zu retten und den Schaden, den das ängstliche Wegducken der SPD-Spitze beim Bürgergeld angerichtet hat, zu begrenzen. Lars Klingbeil kann sich bei seinen linken Genossen eigentlich bedanken.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

0 Kommentare