piwik no script img

Die SPD nach der VorsitzendenwahlViereckiger Kreis

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Von der neuen SPD-Spitze wird eine Revolution erwartet. Aber zugleich muss sie die Partei mit sich selbst versöhnen.

Getrennte Schirme, getrennte Wege – oder zusammen? Das ist die große Groko-Frage Foto: Stefan Sauer/ZB/dpa

D ie Sozialdemokratie und die kommentierende Klasse, das wäre eigentlich einmal eine Geschichte für sich: Da wird seit Jahren eine Stimmung verstärkt, dass die Große Koalition das Letzte und die Sozialdemokraten fad und konturlos in ihr gefangen seien. Dann brechen sie einmal spektakulär aus dem „Weiter so“ aus – und dann ist es auch nicht recht. Jetzt heißt es eben: unerfahrene, uninspirierte Anti-Parteiestablishment-Rebellen gewählt, die die Partei an die Wand fahren werden. Kurzum: Was immer die SPD tut, es ist falsch.

Nun liegt das gewiss nicht allein an Böswilligkeit des Kommentariats, sondern schon an der SPD selbst. Das muss man ja erst einmal hinbekommen. Eine Vorsitzende so zermürben, dass sie alles hinwirft, ohne dass man eine Alternative zu ihr in der Tasche hätte. Dann ein Verfahren wählen, das dazu führt, dass die zweitgrößte Regierungspartei ein halbes Jahr führungslos trudelt. Eine absurde Urwahl herbeiführen, bei der sich Pärchen aufstellen lassen müssen.

Es hinbekommen, dass sich eigentlich keine zwingenden Kandidaten finden lassen, aber das Prozedere so wählen, dass man mit knapp 10 Prozent Mitgliederzuspruch in die Stichwahl kommt. Am Ende dieses zermürbenden Prozesses zwei Alternativpärchen haben, bei denen es wohl vielen Parteimitgliedern schwerfiel, für sich zu entscheiden, welches sie für weniger schlecht halten. Und schlussendlich zwar eine Entscheidung haben, aber auch eine noch zerrissenere Partei.

Eines ist sicher positiv: Die Parteimitglieder haben für einen radikalen Wandel gestimmt. Nicht länger das System verwaltende Staatspartei sein, sondern in Opposition zu den Verhältnissen. Wieder irgendwie Veränderungspartei und mit Leuten vorne, die vielleicht glaubwürdig verkörpern können, dass sie authentische Fürsprecher der einfachen Leute sind und nicht ein Leben in den Politzirkeln der Machteliten hinter sich haben.

Dass für diese Linie nur ein Kandi­dat*in­nen­pärchen zur Verfügung stand, das den Eindruck erweckte, sich eher irrtümlich auf die nationale Hauptbühne verirrt zu haben, ist der Wermutstropfen dieser Operation. Parteianführer in der Mediendemokratie müssen doch auch Star-Talente haben, sie sollten mitreißende Redner sein, irgendetwas ausstrahlen, was eine Zukunftshoffnung weckt. Charaktermerkmale, über die der siegreiche Mann und die siegreiche Frau bisher jedenfalls nur in homöopathischen Dosen verfügen.

Mehr Sicherheit für die Verwundbarsten

Eines ist sicher nicht die zentrale Frage für die Zukunft der SPD: wie welche Person jetzt zur Frage der Groko steht. Sondern: Gelingt es, wieder eine gewinnende Identität der Sozialdemokraten zu entwickeln, sodass man als Vertretung der normalen Leute angesehen wird und in der Lage ist, Wahlen zu gewinnen? Dazu gehören sicherlich eine Reihe von Inhalten: Bekämpfung des Billiglohnsektors, Reparatur der Hartz-Agenda, Investition in die Infrastruktur und Abkehr vom Dogma der schwarzen Null, Unterstützung von Gemeinden, so dass ins Leben der verwundbarsten Teile der Bevölkerung wieder etwas mehr Sicherheit zurückkehrt, und vieles mehr. Aber in der Politik kommt es nicht nur darauf an, was man tut, sondern auch darauf, was man ausstrahlt. Davon wird etwa abhängen, ob man als „Kleine-Leute-SPD“ glaubwürdig wahrgenommen wird.

Aber damit wäre es auch noch lange nicht getan. Die Mitte-links-Parteien haben immer nur dann gewinnen können, wenn sie auch Optimismus ausstrahlen, eine Zukunftszuversicht, und wenn sie für die progressiven urbanen Mittelschichten wählbar sind. Dafür braucht es Optimismus und Schwung und Leute, die nicht nur Worthülsen von sich geben. Und sich auch etwas trauen und Hoffnung nähren. Natürlich kann all das eine SPD unter der Führung von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken schaffen. Aber die Betonung liegt auf dem „kann“. Das Experiment hat erst begonnen.

Auch die, die jetzt unterlegen sind, dürfen nicht als Geschlagene und Gedemütigte vom Platz gehen

Für alle Beteiligten beginnt jetzt eine heikle Reise. Die Wahl des „Rebellenpärchens“ hat einen tiefen Riss in der Partei sichtbar gemacht. Da wurde voller Abscheu über das „Partei-Establishment“ gesprochen. Es gibt eine große Entfremdung zwischen den normalen Parteimitgliedern und jenen, die als die „Berufspolitiker“ in Berlin, in Ministerien, aber auch Bundestag und Willy-Brandt-Haus wahrgenommen werden. Von der neuen Parteiführung wird eine Revolution erwartet. Aber zugleich muss sie die Partei auch versöhnen. Walter-Borjans und Esken müssen mit dem Apparat der Partei arbeiten, der besteht ja auch aus großartigen, anständigen Leuten und nicht in erster Linie aus düsteren Rasputins.

Langfristigen Zwist vermeiden

Aber wie kriegt man eine zaghafte Revolution hin, markant und doch mit Fingerspitzengefühl? Zugleich müssen die beiden Neo-Vorsitzenden auch die bisherigen Granden in der Partei auf ihre Seite ziehen, und zwar nicht nur, weil diese den zwei Novizen sonst eine Falle nach der anderen stellen würden. Sondern auch, weil eine Partei langfristigen Zwist nicht brauchen kann.

Auch die, die jetzt unterlegen sind, dürfen nicht als Geschlagene und Gedemütigte vom Platz ­gehen. Zumal das Ergebnis ja kein Erdrutsch war – es ging ja mehr oder weniger 50:50 aus. Auch Olaf Scholz wird, wenn er seinen Kater ausgeschlafen hat, ­sehen: Das Ergebnis ist ein Mandat für die Gewinner, die Partei zu führen, aber auch ein Mandat für ihn, an Bord zu bleiben.

Es wird vom Führungsgeschick der beiden neuen SPD-Vorsitzenden abhängen, ob eine Operation gelingen kann, die dem Zeichnen eines viereckigen Kreises nahe kommt. Die neue Spitze darf ja auch die Hoffnungen auf eine radikale Revolution nicht verraten, kann zugleich aber die Partei nicht gegen die Mehrheit der bisherigen Funktionsträger führen.

All das wird nicht einfach. Aber die Parteien der Arbeiterbewegung wurden vor 150 Jahren auch nicht gegründet, um es einfach zu haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Frau Esken und Herr Borjans scheinen alles richtig zu machen.



    Herr Schröder



    Frau Brand



    Herr Müntefering springen aus dem Gebüsch und tuen ihr Missfallen kund.



    Die Reihe ist beliebig fortsetzbar.

    ...."Hier hat eine Parteibasis laut und vernehmbar Nein gesagt, "nicht mehr mit uns", hat gegen das Establishment gestimmt, gegen sämtliche Wahlempfehlungen der Parteiprominenz. Das eherne Gesetz der SPD, wonach die Mitglieder am Ende doch immer der Partei- und Staatsräson folgen – es ist seit Samstag Geschichte...."



    Auch dieses Charismagequatsche geht mir auf / den... Gemüt!

    ....." Disruption



    Was ist Disruption?

    Disruption ist ein Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst beziehungsweise „zerschlagen“ wird...."

    Auf gehts!

  • Irgendjemand in der SPD hatte wahrscheinlich die Idee, wir kopieren jetzt mal die Grünen mit ihrer Doppelspitze, dann klappt´s auch wieder bei den Wählern.



    Aber die Grünen haben immer Individuen gewählt, die sich mal blockiert (Roth, Özdemir), mal ergänzt haben wie die aktuelle Spitze.



    Warum nur sind die Sozis auf die Idee gekommen, ein Paar zu wählen ?



    Bei den Grünen waren immer beide Flügel in der Spitze, die SPD ist gespalten, sie wäre es auch, wenn das andere Paar gewonnen hätte.



    Wie unsinnig das ganze Prozedere war sah man doch schon an der Wahlbeteiligung.



    Menschen werden normalerweise Mitglied in einer Partei, weil sie sich an politischen Entscheidungen beteiligen wollen. Und dann interessieren sich weniger Parteimitglieder für die eigene Spitze wie Wahlberechtigte für das Europaparlament.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    In Zeiten, in denen "Revolution" zu einer x-beliebigen, inhaltslosen Floskel verkommen ist: wer soll da noch eine "Revolution" erwarten?

    Und dann ausgerechnet von einer Partei, die dies in 150 Jahren nicht geschafft hat.

    Hoffnungen: ja. Aber mit Augenmaß - bitte. Rome wasn't built in a day. Die wirkliche Revolution wartet noch ... und wartet ... und wartet.

    Und wenn mich jemand sponsort, werde ich gerne eine Untersuchung durchführen zum entleerten Revolutionsbegriff in den Medien. (Als Methode erwäge ich die Inhaltsanalyse. Von mir in meinem Pädagogik-Studium 1974/75 in Empirie und Statistik erlernt.)

  • Booey. Noch ne Wahrheit.

    kurz - You made my day.



    &



    Das Runde muß ins Eckige. Newahr.



    Normal.

  • Hmm ... eigentlich mag ich ja die Artikel von Robert Misik. Aber das hier ist in Artikel wie die Sozialdemokratie selbst: ein wenig "ja", ein wenig "nein", ein bischen Zuversicht, ein bischen Skepsis, nicht wirklich begeistert aber auch nicht wirklich abgestoßen ... lauwarm eben.

    Es erstaunt schon, dass die Wahl von Walter-Borjans und Esken nie als großes Signal zum Umlenken gewertet wird, sondern alle Stimmen aus allen Presserichtungen genau davor warnen. Man weiß, wie sich Martin Schulz unter den SPD-Spindoctors gefühlt haben muss, als sie ihn vor der letzten Wahl schnell eingedampft haben. Dabei ist es doch gerade das beeindruckende, dass zwei nicht allzu charismatische Personen gegen Scholz durchgesetzt haben. Der Veränderungewille an der Parteibasis muss riesig sein. Und diesen Willen zu enttäuschen, wäre das Allerdümmste, was die neue Führung jetzt tu könnte. Einfach mal nicht auf all die Beschwichtiger hören, von denen viele voher für Scholz getrommelt haben.