Die SPD im Bundestagswahlkampf 2021: Das Dilemma der Sozialdemokraten
Die SPD setzt alles auf Olaf Scholz. Und muss auf die Schwächen von Annalena Baerbock und Armin Laschet hoffen.
D ie SPD hat vor drei Jahren ihren letzten großen Fehler gemacht. Sie ist in die Große Koalition eingetreten. In der Rolle als Juniorpartner der Union machte sie ordentliche Gesetze, die auf freundliches Desinteresse stießen. Oder anderen nutzten. 2019 bekam Angela Merkel die Ehrendoktorwürde in Harvard – unter anderem für den Mindestlohn, den sie sich von der SPD hatte aufnötigen lassen.
Danach hat die SPD nicht viel falsch gemacht. Sie hat eine milde linke Parteispitze gewählt, vor allem aus Verdruss über die Große Koalition. Das war nicht die Rettung, aber besser als Olaf Scholz mit zu viel Macht auszustatten. Sie hat früh den Kanzlerkandidaten bestimmt und das Programm entworfen. Die SPD hat aus den Abstürzen gelernt, die sie mit Peer Steinbrück und Martin Schulz erlebte.
Ja, viel gelernt und viel richtig gemacht. Genau das ist eine deprimierende Erkenntnis. Fehler kann man korrigieren, den Kandidaten auswechseln, die politische Linie neu justieren, wenn es nicht läuft. Kein Fehler heißt: Es gibt nichts, was man tun kann.
Die SPD-Führung hat sich in der misslichen Rolle als Juniorpartner lange damit getröstet, dass ihr Moment noch kommen wird – wenn Merkel geht und die Union von Machtkämpfen zerfetzt wird. Jetzt ist das Morgen, auf das man lange wartete. Und die Situation ist trister als zuvor. Eigentlich ist auch die Pandemiekrise ein Moment, in dem der Staat Konjunktur hat und der die SPD wiederbeleben müsste. Aber so ist es nicht.
Die SPD ist eine professionelle, eher unkreative Organisation, die verwalten und regieren kann. Sie besteht, wie die Grünen, fast zur Hälfte aus Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst. Ihr kultureller Humus, die Arbeiterbewegung, ist ausgetrocknet.
Ein kalter Technokrat
Der Parteitag und die Kür von Olaf Scholz haben gezeigt, was die SPD kann – und was nicht. Die Rhetorik von Neuem und Innovation ist reine Wahlkampfpflicht. Scholz ist ein Technokrat, kalt und leidenschaftslos. Das ändert auch kein noch so talentierter Redenschreiber.
Die SPD ist eine funktionale Regierungspartei – und Scholz das Gesicht, das zu ihr passt. Nach den Erfahrungen mit dem Quartals-Volkstribun Sigmar Gabriel wissen die GenossInnen dieses Frostige sogar zu schätzen.
Die Scholz-SPD steht für moderate Veränderungen, einen Mindestlohn von 12 Euro, Vermögenssteuer, etwas mehr Mieterschutz. Anders als früher scheint das keine Wahlkampf-Poesie zu sein, sondern ein ernst gemeinter Versuch, die soziale Schieflage etwas auszutarieren. Mit Schwarz-Grün wird es beides nicht geben, mit einem Mitte-Links-Bündnis schon.
Scholz leuchtet nur als Kontrastmittel
Was der Sozialdemokratie gänzlich fehlt, ist schwungvolle Unbedingtheit oder zumindest der Anschein, etwas zu wagen. Die Scholz-SPD steht für Weiter-so, vorsichtige Reform und solide Risikominimierung. Schlimm kann es für die SPD werden, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass es bei Wahl nur darum geht, ob Union oder Grüne vorne liegen. Dann kann sie aus der öffentlichen Wahrnehmung fallen – ins Bodenlose.
Die vielleicht einzige, profunde Hoffnung, die sie bis zum 26. September noch hat, sind ihre Gegner. Dass manche Baerbock doch zu unerfahren finden und Laschet zu nervös. Die SPD ist abhängig von der erwarteten Schwäche ihrer Gegner. Mal wieder. Einen Plan B hat sie nicht. Scholz, der stoische Macher, leuchtet nur als Kontrastmittel.
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