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Die SPD im Bundestagswahlkampf 2021Das Dilemma der Sozialdemokraten

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD setzt alles auf Olaf Scholz. Und muss auf die Schwächen von Annalena Baerbock und Armin Laschet hoffen.

Kalt und technokratisch: Der Kanzlerkandidat der SPD Foto: Wolfgang Krumm/dpa

D ie SPD hat vor drei Jahren ihren letzten großen Fehler gemacht. Sie ist in die Große Koalition eingetreten. In der Rolle als Juniorpartner der Union machte sie ordentliche Gesetze, die auf freundliches Desinteresse stießen. Oder anderen nutzten. 2019 bekam Angela Merkel die Ehrendoktorwürde in Harvard – unter anderem für den Mindestlohn, den sie sich von der SPD hatte aufnötigen lassen.

Danach hat die SPD nicht viel falsch gemacht. Sie hat eine milde linke Parteispitze gewählt, vor allem aus Verdruss über die Große Koalition. Das war nicht die Rettung, aber besser als Olaf Scholz mit zu viel Macht auszustatten. Sie hat früh den Kanzlerkandidaten bestimmt und das Programm entworfen. Die SPD hat aus den Abstürzen gelernt, die sie mit Peer Steinbrück und Martin Schulz erlebte.

Ja, viel gelernt und viel richtig gemacht. Genau das ist eine deprimierende Erkenntnis. Fehler kann man korrigieren, den Kandidaten auswechseln, die politische Linie neu justieren, wenn es nicht läuft. Kein Fehler heißt: Es gibt nichts, was man tun kann.

Die SPD-Führung hat sich in der misslichen Rolle als Juniorpartner lange damit getröstet, dass ihr Moment noch kommen wird – wenn Merkel geht und die Union von Machtkämpfen zerfetzt wird. Jetzt ist das Morgen, auf das man lange wartete. Und die Situation ist trister als zuvor. Eigentlich ist auch die Pandemiekrise ein Moment, in dem der Staat Konjunktur hat und der die SPD wiederbeleben müsste. Aber so ist es nicht.

Die SPD ist eine professionelle, eher unkreative Organisation, die verwalten und regieren kann. Sie besteht, wie die Grünen, fast zur Hälfte aus Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst. Ihr kultureller Humus, die Arbeiterbewegung, ist ausgetrocknet.

Ein kalter Technokrat

Der Parteitag und die Kür von Olaf Scholz haben gezeigt, was die SPD kann – und was nicht. Die Rhetorik von Neuem und Innovation ist reine Wahlkampfpflicht. Scholz ist ein Technokrat, kalt und leidenschaftslos. Das ändert auch kein noch so talentierter Redenschreiber.

Die SPD ist eine funktionale Regierungspartei – und Scholz das Gesicht, das zu ihr passt. Nach den Erfahrungen mit dem Quartals-Volkstribun Sigmar Gabriel wissen die GenossInnen dieses Frostige sogar zu schätzen.

Die Scholz-SPD steht für moderate Veränderungen, einen Mindestlohn von 12 Euro, Vermögenssteuer, etwas mehr Mieterschutz. Anders als früher scheint das keine Wahlkampf-Poesie zu sein, sondern ein ernst gemeinter Versuch, die soziale Schieflage etwas auszutarieren. Mit Schwarz-Grün wird es beides nicht geben, mit einem Mitte-Links-Bündnis schon.

Scholz leuchtet nur als Kontrastmittel

Was der Sozialdemokratie gänzlich fehlt, ist schwungvolle Unbedingtheit oder zumindest der Anschein, etwas zu wagen. Die Scholz-SPD steht für Weiter-so, vorsichtige Reform und solide Risikominimierung. Schlimm kann es für die SPD werden, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass es bei Wahl nur darum geht, ob Union oder Grüne vorne liegen. Dann kann sie aus der öffentlichen Wahrnehmung fallen – ins Bodenlose.

Die vielleicht einzige, profunde Hoffnung, die sie bis zum 26. September noch hat, sind ihre Gegner. Dass manche Baerbock doch zu unerfahren finden und Laschet zu nervös. Die SPD ist abhängig von der erwarteten Schwäche ihrer Gegner. Mal wieder. Einen Plan B hat sie nicht. Scholz, der stoische Macher, leuchtet nur als Kontrastmittel.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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9 Kommentare

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  • Den ganzen Scholz-Hype kann ich nicht nachvollziehen.

    Scholz führte im Juli 2001 als Hamburger Innensenator die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendealern ein. Scholz hielt auch nach dem Todesfall Achidi John im Dezember 2001 an der Richtigkeit seiner Entscheidung fest. Im Juli 2006 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den deutschen Brechmitteleinsatz als menschenrechtswidrig. Beim Versagen beim G20-Gipfel ist er leider nicht zurück getreten. Er sagt ja selbst nur "Bei G20-Toten wäre ich zurückgetreten“. Während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders setzte er sich für die unselige Agenda 2010 ein. Dann ist da noch der Cum-ex-Skandal. Das Hamburger Finanzamt hätte seit 2016 von der Hamburger Privatbank M.M.Warburg & CO 47 Millionen Euro zurückfordern können, die die Bank durch illegales Dividendenstripping (Cum-Ex), dem größten Steuerskandal der deutschen Geschichte, erhalten hatte, ließ diese Millionenforderung aber verjähren. Scholz in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs dreimal mit dem Mitinhaber der Warburg Bank, Christian Olearius, in der Sache getroffen hatte. Zwei dieser Treffen hatte Scholz der Öffentlichkeit verschwiegen. Da Olearius die Steuerrückzahlung verweigerte, verwies ihn Scholz nach diesen Gesprächen zwecks Vorzugsbehandlung an den Finanzsenator der Stadt Hamburg, dem Olearius sein Argumentationspapier zum Thema CumEx kommentarlos aushändigen sollte. Das Papier gelangte zur Hamburger Steuerverwaltung, und kurz danach erhielt M.M. Warburg den Bescheid, dass die Stadt Hamburg auf die Rückzahlung der ihr zustehenden 47 Millionen Euro verzichtet. Scholz behauptete im Nachgang sich nicht mehr an die diesbezüglichen Gesprächsinhalte erinnern zu können.



    Und dann wollte er auch noch Wirecard mit Corona-Hilfsmitteln vor der Insolvenz schützen.

    Der Mann ist meiner Meinung nach also mindestens unfähig, wenn nicht gar korrupt.

  • Spagat für den SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sperrig erstarrt steht, ohne Aussicht aus der Nummer herauszukommen, einerseits Offensive, Innovation in Politik im Bundestagswahlkampf 2021 zu verkörpern, andererseits vom politischen Versagen, Ausbleiben einer Steuerreform , ausbleibende Bundestagslesung SPD Justizministerin Sabine Lambrechts Unternehmensklagerecht Gesetzesvorlage Juli 2019, Fehleinschätzungen, atomare Teilhabe Deutschlands entgegen Atomsperrvertrag, ICAN Atomwaffenverbot 2017, das am 22.1.2021 Völkerrecht wurde, Verwicklung in politische Skandale, nur aktuelle zu nennen, Cum Ex Steuerbetrug, aufgedeckt 2012, VW Dieselabgasbetrug 2015 in USA aufgedeckt, ohne rechtliche Folgen noch staatsanwaltliche Ermittlungen in Deutschland gegen VW, BMW, Daimler, Bosch, Wirecard AG Finanzskandal 2020 des SPD Spitzenpersonals seit 1998, dessen Urgestein Scholz metaphorisch abbildet, politisch für Korruption um der eigenen Karriere Willen anfällig zu scheinen, ungeachtet von SPD Programmatik

    Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist der Super Sparringspartner seiner eigenen Kanzlerkandidatur unangefochten als Solo Ego Performance Show, als Sparringpartner hat er auch schon mal andere zuletzt Martin Schulz als SPD Kanzlerkandidat in dessen roten Euro Socken noch vor der Bundestagswahl 2017 K.O. geschlagen.

    Warum sollte Scholz das nicht auch in seiner eigenen SPD Kanzlerkandidatur 2021 gelingen, Cum Ex Warburg Bank Verjährung deren 47 Millionen € Steuerrückzahlung Bringschuld gegenüber Hamburg, dank damaligem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, Finanzsenator Peter Tschentscher, vielleicht aus aus Sorge, ob Hamburg gerade 2016 vom Geber- zum Nehmerland im Bundesfinanzausgleich geworden durch HSH Nordbank Schieflage Sonderbelastungen bei zu erwartende 65 Millionen € aus diesem Topf durch Warburg 47 Millionen € Steuerrückzahlung 2016 auf der Kippe steht, in Berlin, entgegen Bundesfinanzgerichtshof rechtskräftigem Urteil auf Verjährung plädieren, entscheiden?

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Blauer Himmel über der Ruhr"



    Willy Brandt war schon auf dieser Spur.



    de.wikipedia.org/w...ber_dem_Ruhrgebiet

  • „Die SPD setzt alles auf Olaf Scholz“



    Erinnert sich noch jemand an den fast-Namensvetter Martin Schulz? Der aus Brüssel nach D. kam? Er wurde von der SPD gleichsam als „Erlöser“ empfangen, mit 100 % zum Kanzlerkandidaten nominiert und dann – ging’s bergab! Die SPD verlor die Bundestagswahl und konnte sich nur als Koalitionspartner in die Regierung retten. M. Schulz verschwand aus dem Rampenlicht.



    Möge Olaf Scholz dieses Prinzip, „heute Stern – morgen Schnuppe“, erspart bleiben!

  • Es gab sie, die grün denkenden, ja sogar blinkenden und links stehenden SPD- Lichtgestalten, die VordenkerInnen, die IdeengeberInnen und die NetzwerkerInnen. Man konnte (u. könnte) sie als ArchitektInnen neuer Bündnisse (heute) im erweiterten Feld der BeraterInnen gut gebrauchen. Für Hermann Scheer* wäre es eine Freude gewesen, die junge Generation in ihrem Elan erleben zu dürfen, von wegen Stempel "Generation X,Y,Z". Da nehmen Talente u.a. der FFF ihre Chancen wahr, ihre Zukunft proaktiv zu gestalten. Das war einmal eine Domäne der SPD, eine noch analoge Bewegung nach 1968 zu integrieren. Dass die enormen digitalen Möglichkeiten der 4.0 Gesellschaft incl. besserer Arbeitsbedingungen in weiter Ferne liegen, vielleicht Kalkül der Partei, die sich jetzt wieder den sog. kleinen Leuten verpflichtet fühlt. HARTZ IV, ein Reizwort für viele Ex- GenossInnen. Austritte wegen desaströser Auftritte der SPD, nicht nur in Dortmund und für Marco Bülow (MdB) ein Thema. Die Herzkammer braucht vielleicht schon bald eine Unterstützung durch aufsättigende Digitalisierung. Doch Vorsicht: Die Dosis macht das Gift. Bei der Arznei Digitalis muss der Wirkstoffpegel stimmen, sonst kann es tödlich enden.



    *"Die 4. Revolution" Hermann Scheer, SPD&MdB (1944 - 2010)

  • Hier mal aus meiner ganz persönlichen Sicht.

    Die SPD ist nach den Schröderjahren keine Option mehr, unabhängig wen die da vorne dran stellen. Dafür gibt es keine Vergebung. Was die Grünen für mich überhaupt im Rennen hält ist, dass die damals nur der kleine Partner war.

  • 2G
    29834 (Profil gelöscht)

    "Wahlkampf-Poesie" trifft meine Erfahrung mit der SPD sehr gut - und dass schon seit meiner Schulzeit vor vielen Jahrzehnten.



    Vor jeder Wahl wurden die alten Werte bemüht und daraus eine wunderbare Zukunft gemalt.



    Nach der Wahl war es dann immer der böse Koalitionspartner - auch wenn die SPD den Kanzler stellte -, der all' diese schönen Werte nicht teilen wollte. Also müsse man wohl doch weiterhin die wirtschaftsfreundliche - man kann auch sagen kapitalisstabilisierende - Politikvorstellunges des Koalitionspartner umsetzen - sei es nun CDU, FDP oder auch mal Grüne.



    Obwohl, besonders übel nehme ich der SPD, dass sie ausgerechnet ihr schlimmstes Machwerk, die Agenda 2010, ganz alleine von ihrem konzernhörigen Führungspersonal 'erfunden' und leider auch umgesetzt hat.

  • Die SPD steht eben nicht für "moderate Veränderungen". Sie steht zunächst einmal für Hartz 4, dann steht sie für Nicht- Veränderungen, getarnt durch kosmetische Korrekturen, dann steht sie für komplette Ideenlosigkeit. Das sind alles korrigierbare Befunde, nur will die SPD sich eben nicht korrigieren. Man lamentiert lieber, mann könne machen was man will, es würde doch nicht helfen. Der selbstzufriedene Grinse- Bär Olaf Scholz ist auch weder die Lösung noch das Problem, sondern genau das richtige Gesicht für die Inhalts- und Mutlosigkeit der SPD.

  • "Die SPD ist eine professionelle, eher unkreative Organisation, die verwalten und regieren kann."



    Woran macht man "Regierungsfähigkeit" fest? In der Vergangenheit wurde das Wort eher als Kampfbegriff gegen kleine Parteien verwendet, die noch nicht bereit waren, Aussenpolitik auf die Worte "Bundeswehr" und "NATO" zu reduzieren, Innenpolitik auf "Vorratsdatenspeicherung" und Wirtschaftspolitik auf "Subventionen".



    Das Konzept haben allerdings inzwischen alle im Bundestag vertretenen Parteien verstanden; es sieht wohl so aus, als ob wir nach der Bundestagswahl wieder eine Groko unter Merkel haben. Voraussichtlich wird CDU oder SPD durch eine oder mehrere kleine Parteien ersetzt und die Kanzlerin durch jemand neues, inhaltlich dürfte sich jedoch wenig ändern.

    Ist das die neue "Regierungsfähigkeit"? Weiterwuschteln können wir bisher?