: Die Rambouillet-Lüge: Was wußte Joschka Fischer?
■ Die Abgeordneten des Bundestages und die Führung des Auswärtigen Amtes waren über wesentliche Bestimmungen des Abkommens von Rambouillet nicht informiert. Das Bonner Außenministerium verweist Journalisten, die Auskunft wollen, an die taz
Genf (taz) – Der größte Teil der Leitungsebene des Bonner Auswärtigen Amtes war bis letzte Woche über wesentliche Bestimmungen des Rambouillet-Abkommens für eine Autonomie des Kosovo nicht informiert. Dabei stand der Text seit dem 23. Februar auf verschiedenen Homepages im Internet, darunter zeitweise der der Nato. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde der vollständige Text des Abkommens bis letzte Woche von der Bundesregierung vorenthalten. Mit der Nichtunterzeichnung des Abkommens durch Belgrad hatte die Bundesregierung den Beginn der Luftangriffe gegen Restjugoslawien am 24. März begründet.
Am Dienstag letzter Woche hatte die taz die Artikel 6, 8 und 10 aus dem militärischen Annex B des Rambouillet-Abkommens veröffentlicht. Daraus wird deutlich, daß mit dem Abkommen nicht – wie von der Bundesregierung bislang öffentlich dargestellt – lediglich die Stationierung einer Nato-geführten internationalen „Implementierungstruppe“ im Kosovo beabsichtigt war. Vielmehr ging es um die Stationierung einer Nato-Truppe in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien mit de facto uneingeschränkten Rechten einer Besatzungsmacht. Das AA reagierte auf die taz-Veröffentlichung verwirrt: Zwei Mitglieder der dreiköpfigen Leitungsebene unterhalb von Minister Fischer – die Staatsminister Günter Verheugen (SPD) und Ludger Volmer (Grüne) sowie Staatssekretär Wolfgang Ischinger – erklärten auf Nachfragen von Journalisten und Abgeordneten, ihnen seien die in der taz dokumentierten Artikel aus dem Annex B „völlig neu“, und sie könnten dazu keine Stellung nehmen. Der dritte behauptete, die dokumentierten Passagen entstammten einer älteren, nicht mehr aktuellen Fassung des Abkommens. Zudem wäre der militärische Annex ja „verhandelbar“ gewesen, doch habe Belgrad jegliche Diskussion über diesen Teil des Abkommens verweigert.
Erst nach der taz-Veröffentlichung des militärischen Annex wurde der Text auf Drängen von Abgeordneten verschiedener Parteien schließlich am Donnerstag an das Parlament ausgeliefert. Gegenüber den Medien gilt die Geheimhaltung nach wie vor. Als die KorrespondentInnen einer großen überregionalen Tageszeitung und einer großen Regionalzeitung am Freitag im AA um den Text des Abkommens baten, wurden sie an die Bonner Korrespondentin der taz, Bettina Gaus, verwiesen. Gaus habe die Internet-Adresse, auf der das Abkommen veröffentlicht sei.
Auch wenn das Rambouillet-Abkommen inzwischen Makulatur ist, bedürfen die Umstände, unter denen die Beteiligung Deutschlands an den Nato-Luftangriffen zustande kam, dringend der Aufklärung. Kannte Außenminister Fischer den vollständigen Text des Vertrages vor dem 24. März? Oder hat die Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit gar gezielt in die Irre geführt?
Die Grünen-Abgeordnete Angelika Beer erklärte inzwischen in einem Schreiben an Fischer, daß sie sich gegen die Umsetzung der Nato-Aktivationsorder – also den Beginn des Luftkrieges – ausgesprochen hätte, wenn sie den Text des Abkommens gekannt hätte. Fischer habe nicht alle diplomatischen Spielräume bei den Verhandlungen genutzt und Informationen über den Vertrag zurückgehalten. Andreas Zumach Bericht Seite 2
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