familienpolitik: Die Noltisierung der Frau Reiche
Jetzt soll Katherina Reiche, jung und aus dem Osten, in Stoibers Team doch irgendwie Familienkompetenz verkörpern – erst ganz, dann gar nicht, jetzt halb. Dieses Gezerre ist kein Zufall. In Katherina Reiche personifiziert sich das familienpolitische Dilemma der Union.
Kommentarvon HEIDE OESTREICH
Angela Merkel wollte in der Union einmal eine neue Familienpolitik durchsetzen, um die Partei für Jüngere und die neue Mitte wählbar zu machen. Doch der konservative Flügel der Union mauert, nach wie vor.
Stoiber hantierte mit einem Kompromiss nach dem Modell Claudia Nolte, Kohls Familienministerin: jung, ostdeutsch, weiblich – und keine Ahnung vom Thema. Schließlich ist Reiches Fachgebiet Humangenetik, Nolte war Behindertenbeauftragte.
Aber diese Rechnung ging nicht auf: Reiche kann noch nicht mal einen heimeligen Ehe- und Hausmann vorweisen wie Nolte, sondern lässt ihre Kinder fremdbetreuen. Ab der dritten Woche! Was sagt Karin Stoiber dazu, die ihre besten Jahre mit drei Blagen zu Haus verbrachte?
Das ist Stoibers Dilemma. Zwischen der Hannelore-Kohl- und Karin-Stoiber-Generation und Katherina Reiche gibt es eine Kluft. Das Familienbild der anderen Parteien ist in sich stimmig. Stoiber dagegen muss zusammenbringen, was nicht zusammenpasst. Die ohnehin vom Aussterben bedrohte Spezies Hausfrau erwartet Bestätigung, die junge, berufstätige Unionwählerin, dass der Staat endlich für bessere Kinderbetreuung sorgt. Stoiber reagiert mit dem berühmten „Sowohl-als-auch“ und mit der verlockenden „Wahlfreiheit“ zwischen Beruf und Hausarbeit. Doch genau dies war schon immer das Problem: Frauen werden gezwungen zu wählen: Beruf oder Familie.
Der Fall Reiche spiegelt exakt diesen Riss durch die Union: Sie war als Alibifrau gedacht. Doch sie verkörpert Merkels Modernisierung der Familienpolitik, die gefährlich verwechselbar nach SPD klang: Beruf und Familie.
Nun vertuscht Stoiber das Ganze, Reiche ist jetzt nicht mehr für Familienpolitik zuständig, sondern nur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – die dank der schönen Vokabel „Wahlfreiheit“ ja gar kein Problem ist. Katherina Reiche soll durch diese Kompetenzbeschneidung noltisiert werden. Doch das wird nicht klappen. Katherina Reiche will Wahlkampf machen – ihre Tochter und ihr Baby werden bei der Tagesmutter bleiben. Voll berufstätige Mutter, fremdbetreute Kinder. Ein Bild, das die SPD-Kampa nicht besser entwerfen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen