Die Nachricht des Tages: Hitler lebt noch!
In Deutschland darf man keine Witze über Hitler machen. Das wollte mein Sohn auch gar nicht, als er diese ungeheuerliche Nachricht vom Stapel ließ.
D as Unheil nahm heute Morgen seinen Lauf, als ich die Wohnung in Richtung Halle 4 verlassen wollte. Meine Frau Eminanim ruft nicht wie üblich hinter mir her: „Osman, lass Geld hier, ich muss einkaufen“, sondern sie sagt: „Hitler lebt noch!“
Mein Hirn kann diesen drei Wörtern in dieser blöden Reihenfolge keinerlei Bedeutung entlocken, sodass ich gezwungen bin, nachzufragen: „Hä? Wer lebt im Loch?“
„Hitler lebt noch!“
„Eminanim, ich finde das sehr überzogen, nur weil diese dusselige AfD jetzt einen Bürgermeister stellt“, weise ich sie zurecht. Wenn ich in Deutschland eines gelernt habe, dann das: über Hitler darf man keine Witze machen und ihn auch mit Nichts und Niemanden vergleichen! Die Amis in Hollywood dürfen sich über Hitler lustig machen, die Griechen dürfen Hitler mit Merkel vergleichen, aber in Deutschland geht das gar nicht! Das ist ein gigantisches Tabu!
Leider geht der absurde Wahnsinn auch in Halle 4 weiter: „Osman, Hitler lebt noch!“, brüllt Ahmet aufgeregt quer durch den Pausenraum.
„Ihr Ausländer dramatisiert alles immer so maßlos“, murmele ich kaum hörbar. Ich möchte mir später auch nicht vorwerfen lassen, ich Blindfisch hätte den ganzen AfD-Schlamassel nicht kommen gesehen. So weit, so gut.Aber die geben ja nicht Ruhe – diese Ausländer!
„Na, Osman, was sagst du nun – der größte Massenmörder der Weltgeschichte weilt immer noch unter uns“, werde ich auch von Hasan begrüßt.
Aber als mich dann auch noch mein Arbeitskollege Hans mit dem blöden Spruch: „War doch klar, dass Hitler noch lebt“, empfängt, da platze ich ziemlich unkontrolliert wie ’n billiger Chinaböller. „Also Hans, von dir als Deutschem hätte ich das wirklich nicht erwartet. Diese Ausländer mögen ja ihre Späßchen mit Hitler machen. Aber du …“
„Was hast du denn, Osman? Heute behaupteten sie im Radio, Hitler habe nicht Selbstmord begangen, sondern sei nach Südamerika ausgewandert, wo er munter weiterlebe.“
„Hans, die Ausländer dürfen sich über Adolf Hitler lustig machen, mein Freund – wir nicht!“
Ich bin mir sicher, dass auch mein kommunistischer Sohn Mehmet zuhause mit diesem blöden Hitler-Spruch auf mich wartet. Mehmet hält von politischer Korrektheit genauso viel wie ein Diktator von Demokratie. Oder wie Werder von der Meisterschaft.
Aber er sagt nichts dergleichen. Offensichtlich ist er wie immer im Morgengrauen ins Bett gegangen und gerade eben aufgestanden und hat somit keine Ahnung von der Welt. „Mehmet, ich verrate dir mal was. Hitler lebt in Argentinien munter weiter, mein Sohn. Wurde nicht nur von meinem Arbeitskollegen Hasan verkündet, sondern auch im Radio. Nun, was sagst du jetzt?“
„Vater, tickst du nicht richtig? Ich selbst habe doch diese hirnrissige Behauptung im Internet in die Welt gesetzt, um die Nazis loszuwerden. Es reicht nämlich nicht andauernd ‚Nazis raus, Nazis raus‘ zu plappern. Man muss denen auch verlockende Angebote machen, damit sie wirklich verschwinden. Zum Beispiel, durch eine heitere und spannende Führer-Suche in Patagonien.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen