Die Lobbyistin des Binnen-I: „Ich wusste kein Wort dafür“
Luise F. Pusch ist die feministische Sprachwissenschaftlerin der ersten Stunde. Ein Gespräch über ihr spätes Coming-out und die Vorzüge des Genderns.
Wir treffen uns zum Lunch in einem Restaurant am Hauptbahnhof von Hannover, in der Luisenstraße. Luise F. Pusch lebt seit Langem in der niedersächsischen Landeshauptstadt, zweimal im Jahr hält sie sich für zwei Monate bei ihrer Frau Joey Horsley in Boston, USA, auf – und umgekehrt. Die Sprachwissenschaftlerin ist eine Legende, nicht nur in ihrem Fach: Durch ihre Impulse begann hierzulande die deutsche Sprache flüssiger zu werden, feministisch orientiert. Nun hat sie ihre Erinnerungen an ihre ersten Lebensjahre veröffentlicht: „Gegen das Schweigen. Meine etwas andere Kindheit und Jugend“.
wochentaz: Frau Pusch, erfolgreicher als Ihre ersten feministischen Sprachinterventionen in den frühen achtziger Jahren war ein Buch, das zornig und liebend zugleich die Geschichte von „Sonja“ erzählt. Warum haben Sie es unter dem Pseudonym „Judith Offenbach“ veröffentlicht?
Luise F. Pusch: Es ging nicht anders, ich hätte sonst meine wissenschaftliche Karriere in den Sand gesetzt. Aber ich wollte das Buch schreiben, eine, meine Liebeserklärung an meine 1976 durch Suizid umgekommene Partnerin. Ich wollte ihr „ein Denkmal setzen“, wie ich damals schrieb. Vielleicht auch ein Mahnmal. Ich führte ihren Tod auch auf die unmenschlichen Bedingungen zurück, unter denen Lesben damals leben mussten.
Ich bekam „Sonja. Eine Melancholie für Fortgeschrittene“ 1981 empfohlen und las es mit jeder Seite ergriffener. Es war ja auch eine Geschichte über das Leben eines homosexuellen Paares, das am Schweigen über das Lesbische beinahe zerbricht. Aus schwuler Perspektive war ich fast ein bisschen neidisch: Solch ein Buch gab es mit zwei Männern als Hauptfiguren nicht.
Die Frau
Sie wurde 1944 in Gütersloh als Frohmut Pusch geboren. Sie lebt in Hannover und Boston, USA, mit ihrer Frau, der Germanistin und Frauenforscherin Joey Horsley.
Die Karriere
Sie promovierte in Anglistik und habilitierte in Linguistik. Sie hielt zahlreiche Vorträge und veröffentlichte diverse Publikationen, unter anderem 1981 „Sonja“ bei Suhrkamp unter Pseudonym. Jüngst „Gegen das Schweigen. Meine etwas andere Kindheit und Jugend“ bei Aviva.
Der Talk
Am 22. April um 15 Uhr ist sie zu Gast beim taz lab im digitalen Stream.
Danke, dass Sie das sagen. Öffentliche Liebeserklärungen an mich als Autorin dieses Buches habe ich ja erst in jüngerer Zeit bekommen, das ist für mich natürlich überwältigend. Eine späte Anerkennung, umso mehr hat sie mich gefreut.
Als Ihr Buch damals erschien, fiel auf, dass die Literaturkritik einen großen Bogen darum machte. Sie hätte darin ebenso gut ein Memoir erkennen können, so wie die Feuilletons es Jahrzehnte später in Édouard Louis’, Annie Ernaux’ und Didier Eribons Veröffentlichungen erkannten und diese hymnisch feierten.
Vielleicht galt „Sonja“ nicht so viel, weil es „nur“ ein Taschenbuch war? Noch dazu feministisch inspiriert und „nur“ über Lesben? Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel kritisierte den Text als quasi unsäglich. Es hat mich zwar enttäuscht, aber es war auch okay, denn immerhin lasen mein Buch ja die richtigen Leute. Die würdigten es allerdings nicht literarisch, sondern nahmen es als Lebenshilfe.
Wir fühlten uns gesehen.
Viele Leserinnen schrieben mir über den Verlag, sie hätten sich in mich verliebt und wollten mich jetzt kennenlernen. Manche waren in ihrem Versteck emotional so ausgehungert, dass sie dachten, sie hätten einen Anspruch auf mich. Eine fuhr sogar bis nach Hannover, sie hatte meine Telefonnummer herausbekommen, rief mich an und sagte, nun wolle sie mich besuchen. Ich sagte, nein, ich will keinen Besuch, und sie verstand die Welt nicht mehr. Aber ich musste mich vor diesen Ansprüchen schützen. Ansonsten war es mir recht, wenn „Sonja“ als Überlebenshilfe verstanden wurde. Das Buch hatte nicht den Anspruch auf künstlerische Qualität …
… und hatte sie immens, falls ich mir die Bemerkung erlauben darf …
Ich schrieb mein Buch im selben Stil, wie ich Briefe an Freundinnen schrieb, es sollte ja gut lesbar sein, verständlich, direkt, authentisch. Kein literarisches Auftrumpfen: „Seht her, wie schön ich schreiben kann!“
Woher nahmen Sie die Kraft, ein Memoir zu schreiben, das ebenso gut andere lesbische Frauen in Ihrer bildungsbürgerlichen Sphäre hätten schreiben können – aber kniffen?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
In der ersten Zeit der Trauer nach Sonjas Tod, im März 1976, ging gar nichts. Ich war buchstäblich fertig. Aber ich war schon seit Herbst 1975 wieder in Psychoanalyse, mein Analytiker hat mich ermutigt, dieses Buch über die Zeit mit Sonja zu schreiben. Ihm las ich die ersten Passagen vor, dann die nächsten, das war, als lieferte ich Hausaufgaben ab. Und das war gut. Er regte auch an, dass ich in Zürich eine Lesbengruppe besuche, und dort las ich Ausschnitte vor. Ich wollte etwas dafür tun, dass das nicht wieder vorkommt, so ein Selbstmord wie bei Sonja. Die Gesellschaft war da an uns schuldig geworden, das verdiente, aufgeschrieben zu werden.
Sie suchten psychoanalytische Hilfe?
Ja, ich hatte damals keine Wahl. Ich dachte, das, was mit mir ist, das ist nicht in Ordnung, das sollte weg.
Dabei ist es womöglich das Beste an Ihnen: Ihre Art zu lieben, Frauen eben, was doch völlig normal ist.
Aber doch nicht damals! Ich suchte psychologische Hilfe, um mich umpolen zu lassen. Das ist ein erschreckendes Wort, aber ich konnte diesen Druck nicht mehr aushalten, dieses Anderssein, das nicht erkannt und gezeigt werden durfte. Der Analytiker winkte natürlich sofort ab, er gab mir stattdessen Alice Schwarzer und Kate Millett zu lesen, das war der Anfang meiner Heilung. Die Erkenntnis, dass ich normal bin, musste ich mir mühsam erarbeiten.
Vier Jahrzehnte nach Ihrer Veröffentlichung von „Sonja“ erfahren wir von Ihnen nun etwas über die Dinge, die Sie davor erlebt haben. In „Gegen das Schweigen“ schildern Sie Ihre ergreifenden, beklemmend allgemeingültigen, manchmal kuriosen, aber auch sehr lustigen Erinnerungen an Ihre Kinder- und Jugendjahre. Wie kommt es, dass Sie nach so langer Zeit noch einmal ein literarisches Buchprojekt gestartet haben?
In der Coronazeit saß ich ja in Hannover fest. 18 Monate konnten meine Partnerin, die inzwischen meine Frau ist, und ich uns wegen der Reisebeschränkungen nicht sehen. Es war die Zeit der Lockdowns – und ich fühlte mich im Gegensatz zu vielen anderen Menschen so alleine nicht einsam. Ich war es ja gewohnt, ich war trainiert seit frühesten Kinder- und Jugendtagen, die Gesellschaft als Feind zu sehen und mit mir allein klarkommen zu müssen und auch zu können.
Über das Innerste nicht sprechen zu dürfen, keinen normalen Austausch zu haben, das übt in der Kunst, allein sein zu können. Die Coronazeit erinnerte mich also intensiv an den „lesbischen Lockdown“ meiner Jugend. Und so entschloss ich mich schließlich dazu, dieses Buch zu schreiben.
„Sonja“ ist ja vor allem in homosexuellen Kreisen breit rezipiert worden. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem neuen Buch die breite Masse erreichen werden?
Falls Heterosexuelle fragen, was geht mich das an, antworte ich: Es ist auch für euch geschrieben, denn die meisten von euch wollen ja Eltern werden, und ihr habt eine zehnprozentige Chance, dass eure Tochter lesbisch oder euer Sohn schwul wird. Ich erzähle euch, wie es damals war – damit ihr dafür sorgt, dass eure Kinder nicht dasselbe durchmachen müssen wie ich. Denn die Homophobie ist mit der 2018 eingeführten Ehe für alle ja nicht verschwunden.
„Gegen das Schweigen“ endet kurz vor den aufrührerischen Jahren, die wir historisch als „Achtundsechziger“ verstehen. Diese Studentenbewegung fand für Sie offenbar nicht statt.
Nein, sie ging an mir vorbei. Sonja und ich waren mit anderen Sachen beschäftigt. Sie saß im Rollstuhl, wir wollten raus aus dem Studentenwohnheim und mussten in Hamburg überhaupt erst mal eine Wohnung finden für uns. Als lesbisches Paar waren wir zwar nicht sichtbar, man hielt uns, arglos, ließe sich sagen, für eine behinderte Frau mit ihrer Betreuerin. Aber die sogenannte Barrierefreiheit gab es nicht einmal als Konzept. Wenn eine Wohnung für uns erschwinglich war, gab es meist keinen Fahrstuhl. Die Suche nach einem Zuhause für uns war quälend und dauerte über ein Jahr. Kurzum: Wir hatten 1968 wirklich andere Sorgen.
In Ihren aufgeschriebenen Erinnerungen an Ihre Jugend schildern Sie sehr nahbar Ihre glühende Liebe zu Charlotte, die vermutlich in Wahrheit nicht so heißt.
Nein, so heißt sie nicht. Aber ja, sie ist die zentrale Figur in meinem Buch. Ich war eng mit ihr befreundet und oft in ihrer Familie eingeladen. Sie war sehr intelligent und, wie ich, anders als die anderen und faszinierte mich schon deswegen. Aber kurz nachdem wir uns angefreundet hatten, befiel mich eine Art Besessenheit, die ich vorher nicht gekannt hatte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Charlotte. Das war etwas anderes als Schwärmerei, etwas ganz anderes. Ich wusste kein Wort dafür, ich konnte mich an niemanden wenden. Ich wusste nur, dass ich nicht darüber sprechen durfte, es war, wie man es heute nennen würde, unsagbar.
Und Charlotte selbst?
Nein, ganz ausgeschlossen, ihr konnte ich davon schon gar nichts erzählen. Ich dachte, ich verlöre sie dann, ich würde aus dem Haus geworfen, meine Reputation wäre hin, mein Standing, alles. Dieser quälende Zustand hielt sieben Jahre an.
Die Situation war, wie Rosa von Praunheim aus schwuler Perspektive damals seinen berühmten Film betitelte, skandalös: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“ Es war durch die schweigende Übereinkunft der Mehrheitsgesellschaft verboten – Sie durften nicht sie selbst sein.
Um Rosa von Praunheim zu ergänzen: „Nicht die Homosexuelle ist pervers …“ Ich musste mich finden, aber das kam erst Ende der siebziger Jahre, dieser Prozess des Umdenkens. Ich durfte allmählich wütend werden und mich emanzipieren. Das klingt möglicherweise etwas pathetisch, aber ja, ich musste mich aus dem Elend der Nichtsagbarkeit herausarbeiten zu einem lesbischen Selbstbewusstsein.
Eine wichtige Rolle für die Begründung der Lesbenbewegung in jenen Jahren war der diskriminierende Umgang mit den beiden Angeklagten Marion Ihns und Judy Andersen, die zusammen waren und den Mann von Ihns umgebracht hatten.
Das war 1973/74, etwa drei Jahre vor Sonjas Tod und meinem allmählichen, sehr vorsichtigen Coming-out. Wir beide verstanden den Prozess nicht als Anlass zu feministischem Protest und Widerstand, sondern in erster Linie wieder als Warnung: Das passiert mit Lesben, wenn es herauskommt. Sie werden von der Presse erbarmungslos verteufelt und in der Luft zerrissen!
Sie waren in jener Zeit sowohl promoviert als auch schon habilitiert als Anglistin, Sprachwissenschaftlerin. Ahnten Sie, als Sie die feministische Sprachkritik aus den USA zur Kenntnis nahmen, dass Sie die Welt der deutschsprachigen Grammatik und ihrer angeblich „unverrückbaren“ Schreibweisen in den kommenden Jahrzehnten auf den Kopf stellen würden?
Jein. Ich war Wissenschaftlerin, ich hatte das erreicht, was ich mir in meiner Schulzeit fantasiert hatte. Heisenberg-Stipendiatin war ich auch, und gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ich war in meinem Fach gut. Mein Selbstbewusstsein war ausreichend, mich zu fragen: Müsste nicht auch die deutsche Sprache, Grammatik wie Wortschatz, einer feministischen Kritik unterzogen werden?
So wurden Sie Erfinderin des Binnen-I. Die taz war in den frühen achtziger Jahren die erste Zeitung, die es in ihrer Publizistik nutzte. Dürfen wir stolz sein, diesem avantgardistischen Schritt gefolgt zu sein?
Ja, können Sie. Allerdings habe nicht ich das Binnen-I erfunden, sondern ein Schweizer Journalist namens Christoph Busch. Aber ich habe es als kreative Lösung im gesamten deutschsprachigen Raum propagiert. Bis heute finde ich das Beharren von LinguistInnen nicht einleuchtend, warum das Deutsche sich auf das generische Maskulinum beschränken sollte. Dafür gibt es sprachwissenschaftlich keinen vernünftigen Grund außer dem, dass Frauen unsichtbar bleiben sollen. Für diesen Zweck ist das generische Maskulinum unübertroffen.
Fiel man Ihnen in Ihrer universitären Szene vor Liebe und Respekt um den Hals, als Sie in ersten Aufsätzen feministische Sprachkritik übten?
Feine Frage, danke. Nein, im Gegenteil.
Sie ernteten Hass, bis in die jüngere Zeit, so ist es in Archiven erschütternd deutlich nachzulesen.
Ja, offene Ablehnung und subtilere Varianten der schroffen Ablehnung, das alles gab es. Und natürlich auch Zustimmung, vor allem aus der Frauenbewegung, aus dem Feminismus.
Dass Sie nie einen Job als Professorin bekamen, lag das auch an diesen konservativen Fronten?
Woran sonst? Die sprachwissenschaftlichen Fachbereiche waren nicht nur männlich dominiert, vielmehr gab es damals so gut wie keine Frauen, schon gar nicht solche wie mich. Man wollte offenkundig auf keinen Fall eine Luise F. Pusch, die auch noch StudentInnen ausbildet, die in der Zukunft wiederum Einfluss haben würden.
Es kam anders – Sie hatten und haben ja massiven Einfluss, publizistisch beispielsweise.
Ich hatte Vertretungsstellen an Universitäten, ja, ich war in Konstanz lange wissenschaftliche Mitarbeiterin, und fast wäre ich noch mit einem Lehrstuhl in Bielefeld belohnt worden, aber das konnten die Bielefelder Kollegen zusammen mit dem damaligen Wissenschaftsminister Rolf Krumsiek trotz studentischer Proteste in ganz Deutschland gerade noch verhindern. Aber ich hatte trotzdem genug zu tun – viele Jahre den „Frauenkalender“ herausgegeben, Aufsätze und Bücher verfassen, pausenlos Vorträge halten.
Die Geschichte feministischer Sprachkritik hörte weder mit Ihrem Binnen-I auf noch endete sie mit Ihrer massiven Intervention, dass auch alles mit einem generischen Femininum geschrieben sein könnte – dass also auch Männer mit „Professorin“ gemeint sein könnten.
Nein, Sprache ist ja immer im Wandel, es hängt an den Sprechpraxen, wie sich welches Neue durchsetzt.
Jetzt alles mit Sternchen * und Gender-Gap _ beziehungsweise Glottisschlag?
Ich plädiere erst einmal dafür, dass nichts wie bei einem Diktat vorgeschrieben wird. Sprache entwickelt sich, wie die deutsche Sprache seit Jahrhunderten auch. Der Knacklaut, der ja für das Deutsche typisch ist, den wir allerdings inzwischen im Fernsehen und Radio an ungewohnten Stellen hören, also dieser Glottisschlag: Warum nicht? Den habe übrigens ich in den 1980er Jahren „erfunden“ beziehungsweise vorgeschlagen, allerdings damals als lautliche Entsprechung des Binnen-I. Wenn der sich durchsetzt, wird es so sein. Mit dem Sternchen und bestimmten anderen Schreibweisen hadere ich manchmal.
In Ihren Erinnerungen „Gegen das Schweigen“ wird das Sternchen nach einem Substantiv verwendet, also Leserinnen*. So wäre es richtig?
Sieht fast aus wie ein generisches Femininum, nicht wahr? Eigentlich bin ich für eine Fusion aus Binnen-I und Genderstern, aber das lassen wir jetzt mal. Wichtig ist mir, dass das Sternchen nicht als Platzhalter interpretiert wird, wie beispielsweise in „Leser*innen“. Denn damit stünde das Maskulinum, hier „Leser“, für die Männer, das Sternchen für die Diversen, und danach die Endung „innen“ für uns Frauen. Das ist nicht einleuchtend, sondern kränkend.
Das Sternchen sollte als Metasymbol verstanden werden, ähnlich wie Anführungsstriche. Die besagen „Dies ist ein Zitat“ oder „Dieses Wort ist ironisch gemeint“. So sollte das Sternchen gelesen werden als „Dieses Femininum steht für beide Geschlechter sowie Diverse“.
Mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Regierung soll es bald möglich sein, vor dem Einwohnermeldeamt sein oder ihr Geburtsgeschlecht in das empfundene eigentliche Geschlecht ändern zu lassen. Sie befürworten das?
Nein – das geplante Gesetz ist nicht genügend durchdacht und lädt zum Missbrauch ein. Diese Erkenntnis setzt sich international immer mehr durch, ausgehend von Großbritannien, wo das Selbstbestimmungsgesetz ohne sorgfältige Rechtsfolgenabschätzung zu einer Regierungskrise in Schottland geführt hat. Ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger hatte sich zur Frau erklärt, um in ein Frauengefängnis zu kommen. Das hat die Gesellschaft einfach nicht mehr hingenommen, und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon musste abdanken. Frauen haben ein Recht auf Schutzräume vor Männergewalt, sei es in einem Gefängnis, auf einer Krankenstation, in einem Frauenhaus oder in einer Sauna.
Sie werden sich für diese Aussage mit großer Sicherheit massive Kritik einhandeln.
Ich kenne den Zustand, kritisiert zu werden, ich bin das gewohnt – und berufe mich auf meine Urteilsfähigkeit. Dass ich die feministischen Errungenschaften in Gefahr sehe, ist doch nicht per se kritikwürdig. Ich stand vor 44 Jahren mit meinem Urteil über die deutsche Männersprache auch ziemlich allein da und wurde als „männerfeindlich“ beschimpft, weil ich mich für Frauen einsetzte – inzwischen konnte ich bei dem Thema viele überzeugen. Und meine Kritik am geplanten Selbstbestimmungsgesetz teilen ganz viele. Neuerdings werde ich als „transfeindlich“ beschimpft, weil ich mich für Frauenrechte einsetze. Die eine wie die andere Diffamierung ist haltlos und hat nicht funktioniert oder wird nicht funktionieren.
Wenn Sie heute versuchen, aus der Perspektive des Mädchens, das Sie mal waren, anzuschauen, was Ihnen in Ihrem Leben gelang: Wie empfinden Sie das?
Ich bin meinen Weg nicht allein gegangen. Als die Frauenbewegung immer vernehmlicher wurde, sichtbarer, hörbarer, auf allen Ebenen, hatte ich zum ersten Mal Hoffnung. Als ich jünger war, Kind und dann Jugendliche, hatte ich das Gefühl, das wird nie besser: Lebenslänglich im Versteck! Die Aussicht war grauenvoll, so ein Leben ist nicht lebbar.
Sie sind glücklich in Ihrer Liebe zu Ihrer Frau, Sie schreiben, dass Sie Ihre Geschwister immer an Ihrer Seite wussten – knapp gefragt: Sind Sie im Blick auf Ihr Leben mit sich selbst zufrieden?
Ja.
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