Die Landesmedienanstalten gegen Pornos: Andere Pornos braucht das Land
Bisher wird ein ineffizienter Kampf gegen kostenlose Pornoplattformen geführt. Dabei braucht es keine Verbote, sondern gute Alternativen.
Vor wenigen Wochen war es so weit: Eine der in Deutschland meistaufgerufenen Webseiten war plötzlich für einen Großteil der Nutzer*innen nicht mehr verfügbar. Die Landesmedienanstalten hatten eine Netzsperre, also eine Blockade durch die Internet-Provider, der Pornoplattform „xHamster“ durchgesetzt. Insbesondere die Behörde in Nordrhein-Westfalen trieb die Sperre unter Berufung auf fehlende Altersverifikationssysteme voran. Nutzer*innen, so die Forderung, sollen sich beispielsweise über ein Ausweisdokument als volljährig ausweisen müssen.
Paulita Pappel, selbst Pornografin und Gründerin der Amateur-Plattform „Lustery“, kritisiert das Vorgehen scharf: „Man versucht de facto, den Diskurs über Pornografie in der Öffentlichkeit zum Schweigen zu bringen und versteckt sich dabei hinter dem Jugendschutz.“ Der Verdacht, dass es den Behörden eigentlich um Zensur gehe, rührt vor allem daher, dass derartige Blockaden als ineffizient gelten: „Die Idee, dass diese Netzsperren sinnvoll wären, ist komplett absurd. Ein Zwölfjähriger kann sie innerhalb kürzester Zeit mit einem VPN umgehen“, führt Pappel aus.
Tatsächlich war „xHamster“ nur wenige Stunden später wieder problemlos zu erreichen. Schlicht, indem die Betreiber*innen die Landeskennung von „de“ zu „deu“ abwandelten. Rebecca Richter, Rechtsanwältin und Gründerin der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei „DUNKEL RICHTER“, geht davon aus, dass sich die Landesmedienanstalten der Vergeblichkeit der Methode durchaus bewusst sind. Vielmehr gehe es ihnen wohl darum, ein Exempel zu statuieren.
Obwohl sowohl Pappel als auch Richter das Vorgehen der Behörden kritisieren, halten beide das Agieren von kostenlosen Pornoplattformen wie „xHamster“, „Pornhub“ und „YouPorn“ für problematisch und sehen durchaus Handlungsbedarf. „Das Geschäftsmodell dieser Webseiten basiert auf dem Verkauf von Werbung und Daten, es geht darum, Traffic zu generieren. Darunter leidet nicht nur die Qualität, auch Piraterie spielt eine große Rolle“, bemängelt Pappel.
Einmal online, immer da
Dass dort regelmäßig geklautes Material verbreitet wird, schädigt nicht nur die Produzent*innen der Filme, denen so Einnahmen entgehen. Die laxe Kontrolle bei den Videos führt auch bei denjenigen, die unfreiwillig darin zu sehen sind, zu großem Leid, wie Richter erklärt: „Neben den nicht-einvernehmlich entstandenen Pornos, gibt es auch Situationen, in denen Mandantinnen – wie meist bei sexualisierter Gewalt, sind die Opfer hauptsächlich Frauen – einvernehmlich einen Porno gedreht haben, der dann aber gegen ihren Willen hochgeladen wird.“
Einmal online gestellt, werden die Inhalte immer wieder kopiert und sind kurz darauf an anderen Stellen wiederzufinden: „Das Problem ist, dass man an die Betreiber*innen, die größtenteils im Ausland sitzen, kaum herankommt. Ebenso wenig an die Personen, die das Material uploaden. Dafür gibt es rechtlich nicht genug Handhabe.“
Als vielversprechendster Vorstoß galt der „Digital Services Act“, ein von der Europäischen Kommission entworfenes Gesetzespaket, das einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für digitale Plattformen schaffen soll. Das EU-Parlament sprach sich zunächst dafür aus, den Vorschlag um eine Regelung zu ergänzen, wonach sich künftig alle Nutzer*innen, die Inhalte auf Porno-Webseiten stellen wollen, vorher mit E-Mail-Adresse und Handynummer registrieren müssen. Vergangenes Wochenende einigten sie sich allerdings lediglich darauf, die Betreiber*innen großer Pornoplattformen zu einer unverzüglichen Sperre gemeldeter Inhalte zu verpflichten. Selbst wenn die neuen Regulierungen ein Fortschritt im Kampf gegen digitale Gewalt und Piraterie sein könnten, lösen sie diese Probleme nicht: Da Seiten, die keinen EU-Sitz haben, davon unberührt bleiben, kann das Material nach wie vor weiterverbreitet werden.
Es braucht ein Gegengewicht
Auch deswegen ist sich Richter sicher: „Einen Ansatz, der alles in einem Abwasch löst, wird es nicht geben.“ Pappel plädiert dafür– statt auf weitere potenziell stigmatisierende, explizit auf ihre Branche zugeschnittene Regulierungen zu setzen – lieber Barrieren für Produzent*innen, die andere Geschäftsmodelle verfolgen, abzubauen. Für die begännen die Hürden bereits mit den Zahlungsdienstleistern: „Wir können beispielsweise Dienste wie ‚Paypal‘ nicht benutzen, da sie die Abrechnung von erotischen Inhalten in ihren AGBs verbieten.“ So werde ausdrücklich eine alternative Pornoszene, die für qualitativ hochwertigere und vielfältigere Filme steht, immer weiter vom Markt gedrängt.
Ein Vorschlag, der ein Gegengewicht darstellen könnte, wurde kürzlich im „ZDF Magazin Royale“ vorgebracht. Darin imaginierte Moderator Jan Böhmermann ein öffentlich-rechtliches Angebot für ethisch-unbedenkliche Erotikfilme und produzierte nach eigenen Angaben den ersten „gebührenfinanzierten“ Porno. Pappel, welche die Regie übernahm, kam es vor allem auf Diversität an: „Ich wollte nicht nur weiße Darsteller*innen zeigen, Praktiken abseits des Heteronormativen abbilden. Zeigen, dass Sex mehr als Penetration ist.“ Die Idee ist nicht neu: Bereits vor vier Jahren folgte die Berliner SPD einem Antrag der Jusos, der feministische Pornografie fördern wollte, um den Mainstreamproduktionen, die mitunter sexistische und rassistische Stereotype bedienen, etwas entgegenzusetzen.
Entsprechende Inhalte könnten beispielsweise über die Mediatheken von ARD und ZDF angeboten werden, hieß es damals. Der Vorstoß blieb bislang allerdings folgenlos. Dabei hätte er das Potenzial: Neben der Normalisierung feministischer Perspektiven auf Sexualität und einer Konkurrenz zur Marktmacht der kostenlosen Plattformen, würde sich auch das Verhältnis zu Pornografie verändern, wenn sie plötzlich nicht mehr auf dubiosen Webseiten, sondern inmitten der Gesellschaft stattfinden würde.
Raus aus der Schmuddelecke
Für Pappel hätte das viele positive Effekte: „Pornografie zu konsumieren würde nicht mehr mit etwas Schmuddeligem assoziiert werden. Menschen wären dadurch freier von Schuldgefühlen, die Kommunikation um Sexualität womöglich offener. Was vielleicht sogar Übergriffen vorbeugen könnte.“
Angesichts der ohnehin hitzig geführten Debatte um die angemessene Verwendung von Rundfunkbeitragszahlungen scheint die Umsetzung beitragsfinanzierter Pornografie weit entfernt. Rein rechtlich sei sie laut Richter aber durchaus möglich: „Es gibt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag, eine Grundversorgung an Information, Bildung, Unterhaltung und Beratung zu liefern. Darin soll Vielfalt ausdrücklich abgebildet werden, die im Mainstream der Privaten nicht dargestellt werden kann.“
Ein Telemedienkonzept könnte den Aufbau eines eigenen Bereichs innerhalb der Mediatheken nach vorab definierten Kriterien vorsehen: „Der Bildungsauftrag könnte beispielsweise erfüllt werden, indem die gezeigten Filme veranschaulichen, wie Konsens, Kommunikation und echte Lust funktionieren. Damit wäre ein entsprechender Rahmen gesetzt, der diese Grundversorgung umsetzt.“ Der Ansatz, so den großen kostenlosen Pornoplattformen den Rang streitig zu machen, müsste sogar den Landesmedienanstalten gefallen – sofern es ihnen tatsächlich um den Jugendschutz geht. Schließlich nimmt man bei ARD und ZDF bereits jetzt die Alterskontrolle sehr ernst.
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