Die Kunst der Woche: Schlagende Herzen und Gottes Kraftwerk
Das Schwule Museum zeigt queere Kunst aus der Ukraine. In einer expressionistischen Kirche erfährt man von ihrem unbekannten jüdischen Architekten.
D er Krieg würde das patriarchale Männerbild in der Ukraine noch mehr verhärten, schrieb vor einigen Wochen Yelizaveta Landenberger in der taz. Jetzt gebe es nur Platz für Helden. Gegen solch gesellschaftliche Erstarrungen arbeiten Künstler:innen aus dem kriegsgeschundenen Land immer wieder an. Nikita Kadan etwa zeigte, wie wenig vom Heldentum bei Gewalt und Zerstörung übrig bleibt, als er kürzlich auf einer Ausstellung in Chemnitz Beinprothesen von der Decke hängen ließ.
Und jetzt stellt Alina Kleytman im SMU mit ihren seltsamen Organ-Maschinen in der Vitrine die Idee vom festgeschriebenen Körper überhaupt in Frage. Kleine Metallketten docken an Adern an, wie dunkelrote Fühler arbeiten sie sich aus einem rosa-gelben organischen Rund hervor. Ist das ein weiblicher Unterleib oder ein Herz? Wie das Herz im Titel dieser kleinen, feinen Ausstellung „A Heart that Beats“.
Geschlechtlichen Eindeutigkeiten versucht auch Jan Bačynsjkyj mit den seltsamen Kostümen aus Kleidungsstücken und Objets trouvés zu entkommen, die dort an einer Wand hängen. „My Grandmother Proposes Me to Become a Woman“ heißt eine der textilen Installationen. Bačynsjkyj verfasste übrigens auch das online einsehbare „Queer War Archive“, ein Album über LGBTQIA+'s jetzt an der Front. Von Eddy, dem bisexuellen Dronenspezialisten, oder Lesya, der Transfrau am Geschütz erfährt man da.
Die Ausstellung zeigt einen kurzen Abriss über queere Kunst aus der Ukraine und macht deutlich, wie jung und angreifbar ein liberales Leben dort auch ist. Auf Yevgenia Belorusets' Fotografien von 2011 wirken die queeren Paare noch sehr zurückgezogen. Erst seit den Maidan-Protesten 2014 seien Queers sichtbarer, gesellschaftlich akzeptierter, erfährt man. Im gleichen Jahr aber, mit der Annexion der Krim durch Russland, verschwand das schwule Mekka „Simeiz“. Anton Shebetko, der die Ausstellung gemeinsam mit Maria Vtorushyna kuratierte, erinnert in einem Film mit verblichenen, melancholisch nachkolorierten Fotos an die Parties in der Krimstadt, die seit den 1990er Jahren in einer Kneipe stattfanden. Heute steht dort eine Imbissbude.
Auch zu sehen ist eine Collage der Queer-Ikone und Kinorebellen aus Sowjetzeiten Sergei Parajanov. 1974 angeklagt wegen „Sodomie“, fabrizierte er das geradezu manisch vollgestopfte Bild im Knast aus allem, was ihm unter die Hände kam.
Das „Kraftwerk Gottes“
Ist das da in Wilmersdorf eine Kirche, ein heidnischer Tempel oder eher eine monumentale Fabrik aus dunklem Klinker mit ihrem stelenartig 66 Meter in die Höhe schießenden Turm? Ein beeindruckend archaisches Teil ist die evangelische Kirche am Hohenzollerndamm, das „Kraftwerk Gottes“, wie sie in der darin stattfindenden Ausstellung bezeichnet wird, mit ihren architektonischen Anklängen an Romanik und Gotik ebenso an die Sachlichkeit des Neuen Bauens, und schon deswegen einen Besuch wert.

Eingeweiht 1933, war die Kirche bislang bekannt als ein Entwurf des Backsteinexpressionisten Fritz Höger, dessen Chile-Haus in Hamburg ihn weltberühmt machte. Dass auch die Kunst des Expressionismus eine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus haben konnte und etwa Höger versuchte, seine Architektur den Nazis anzudienen, 1932 sogar der NSDAP beitrat, ist weitgehend publik. Überraschend und bislang vollkommen unbekannt ist hingegen ein weiterer Architekt des Wilmersdorfer Kirchenbaus: Ossip Klarwein. Der jüdische Klarwein, der 1933 Deutschland verlassen musste und später den noch jungen Staat Israel mitaufbauen sollte. Das Gebäude der Knesset in Jerusalem geht auf ihn zurück.
Viel weiß man nicht über Ossip Klarwein. Und das gab der Journalistin Jacqueline Hénard Anlass, in israelischen und deutschen Archiven nach ihm zu suchen. Im „Kraftwerk Gottes“ hat sie eine kleine, sehr präzise recherchierte Ausstellung über ihn eingerichtet. Darin holt Hénard nicht nur die Bauten und Entwürfe des modernen Architekten hervor, sie rekonstruiert auch den dramatischen Lebensweg Klarweins, der aufgrund seines jüdischen Hintergrunds immer wieder Verfolgungen ausgesetzt war.
„A Heart That Beats – Queere ukrainische Kunst im Fokus“, Schwules Museum, bis 26. Januar 2026, Mo./ Mi./Fr.: 12–18 Uhr, Do.: 12–20 Uhr, Sa.: 14–19 Uhr, So.: 14–18 Uhr, Di.: Ruhetag, Lützowstraße 73
„Ossip Klarwein. Vom ‚Kraftwerk Gottes‘ zur Knesset“, Kirche am Hohenzollernplatz, bis 16. Oktober, Mo./Do.: 16–18Uhr, Mi.: 11–13Uhr, Sa.: 13–15Uhr, Jeden Donnerstag kostenlose Führung um 18Uhr, Nassauische Straße 66
Als 12-Jähriger mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland übergesiedelt, studierte Klarwein beim großen Hans Poelzig in Berlin, arbeitete dort an kleineren Wohnprojekten (auch seine Entwürfe für einen praktischen Kinderwagen sind zu sehen), um 1926 bei Fritz Höger anzufangen. Er muss wichtige gestalterische Impulse für Höger geliefert haben. Die charakteristische Rauten auf der Backsteinfassade des Sprinklerhofs in Hamburg, direkt neben dem Chile-Haus, scheinen von ihm zu kommen. Jahre später sollte Klarwein seine monumentalen Dagon-Silos am Hafen von Haifa mit eben diesem markanten Rautenmuster überziehen.
Das Verhältnis zwischen Höger und Klarwein zeigt auch die Widersprüchlichkeiten der NS-Zeit auf. Höger muss seinen Mitarbeiter sehr geschätzt haben, unterstützte ihn bei seiner Flucht ins britische Mandatsgebiet Palästina. Dort baute Klarwein zunächst kleine Privathäuser oder Geschäftsbauten im Stil der Neuen Sachlichkeit, um ab 1949, nach Gründung des Staats Israel, viele öffentliche Aufträge zu erhalten: Bahnhöfe, Theater, Universitätsbauten, das Grabmal Theodor Herzls, die Knesset. Der Fotograf Eli Singalovski lichtete einige von ihnen ab. Singalovskis lichterne Bilder in Schwarz-Weiß sind auch in der Ausstellung zu sehen. Auf denen wirkt Klarweins Architektur leicht, transparent, expressiv modern.
Ossip Klarwein starb 1970 in Israel. Viele seiner Bauten gibt es heute nicht mehr, sind überbaut und abgerissen. Seine Schwester Bronislawa Klarwein hingegen wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Das fand Jacqueline Hénard auch im Zuge ihrer Ausstellungsrecherchen heraus. Es gibt jetzt einen Stolperstein an Bronislawa Klarweins langjähriger Berliner Adresse in der Motzstraße 15.
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