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Die Kunst der WocheAlles kommt in Wellen

Ting-Jung Chen untersucht in der daadgalerie die Macht des Klangs. Im Eigen & Art Lab sucht Cihan Çakmak nach dem Verbindenden und Trennenden.

Installationsansicht, Ting-Jung Chen: „Here on the Edge of the Sea We Sit“, daadgalerie Foto: Thomas Bruns/Berliner Künstlerprogramm des DAAD

W o sind wir hier gestrandet? Bojen verschiedener Größe stellen sich einem in der daadgalerie in den Weg. Aus zartgrauem Pappmaché gefertigt wirken sie gleichzeitig monströs – wegen ihrer Größe – wie fragil – aufgrund ihres Materials. Nachrichtenschnipsel aus internationalen Tageszeitungen sind auf ihrer Oberfläche zu erkennen, zwischen den Objekten liegen Seile und Kabel.

Nicht nur diese verbinden sie untereinander: Ein wogendes Rauschen umgibt die Bojen, das noch dazu interaktiv auf die Ga­le­rie­be­su­che­r*in­nen reagiert. Je näher man ihnen kommt, desto lauter wird der Sound der Sinuswellen, deren Frequenz und Wellenlänge von der Größe und Form der jeweiligen Boje abhängt.

Ohnehin hängt alles irgendwie voneinander ab und überlagert sich in der multisensorischen Ausstellung der taiwanesischen Künstlerin Ting-Jung Chen, Musik & Klang Fellow des Berliner Künstlerprogramms des DAAD 2024/25.

Geht man an den Seilen und Kabeln entlang, werden Ausschnitte aus politischen Reden zu verschiedenen Kriegen und Krisenherden seit 1971 bis heute hörbar. Auch hier wirken Überwachungskameras mit, sorgen dafür, dass je­de*r seinen eigenen Soundtrack erhält.

Die Ausstellungen

Ting-Jung Chen: Here on the Edge of the Sea We Sit, daadgalerie, bis 4. Mai, Di.–So., 12–19 Uhr, Oranienstr. 161; Performance mit Rabih Beaini & Yi-Wei Tien: Samstag, 3. Mai, 18 Uhr und Sonntag, 4. Mai, 14 Uhr

Cihan Çakmak: Into the void, Eigen & Art Lab, bis 10. Mai, Di.–Fr. 14–18, Sa. 11–18 Uhr, Torstr. 220

Ein wenig klingt es, als würde man bei einem alten Radiogerät erfolglos nach einem Sender suchen. Floskelhafte Sätze in der Rhetorik der Macht sind zwischen Störgeräuschen zu vernehmen, schwer zu- und einzuordnen, wie genau man auch hinhört, bedrohlich gerade in ihrer Abstraktheit. Wer spricht? Wann? Über wen? Und mit welchem Motiv? Ist den Worten zu trauen? Ting-Jung Chen manipuliert, stellt gleichsam Manipulation aus.

Seit einiger Zeit bereits beschäftigt sich Ting-Jung Chen mit akustischer Kriegsführung und Propaganda. Immer wieder nimmt sie dabei Bezug auf den andauernden Konflikt zwischen China und Taiwan, aber auch auf die Rolle von Sound und gesprochenem Wort im Verlauf der Zeit.

Weiter hinten in der Galerie, hinter einem Sichtschutz, führt sie das auf noch aggressivere Weise vor. Grelles Stroposkoplicht prasselt dort auf einen ein, Rauschen, Noise, Stille. Körperlich so intensiv ist das zum Teil, dass es einem fast schwindelig werden könnte. Selbst die Partituren von Schlafliedern, die Ting-Jung Chen, hier angebracht hat, wirken so auf einmal gar nicht mehr friedlich.

Andere Töne, andere Lieder im Eigen & Art Lab. Inmitten des großen Ausstellungsraumes hat Cihan Çakmak (*1993 in Worpswede) einen Teppich und Sitzkissen ausgelegt. Darauf kann man Platz nehmen, als sei man bei ihr zu Hause zu Gast. Intim sind auch die Einblicke, die sie über die Kopfhörer gewährt. Ihre Träume erzählt die Künstlerin nach, die sie seit Jahren schon in einem Tagebuch festhält.

into the void, Cihan Çakmak, 2025, Ausstellungsansicht, EIGEN + ART Lab, Berlin Foto: Peter Oliver Wolff, Berlin

Um Abschiede geht es da, Reisen, Ausreisen, Kleidung und deren Konnotationen und Regeln, rätselhafte Botschaften und Begegnungen, fantastisch-surreal verzerrte Szenen – wie Träume eben sind. Der Bruder, die Mutter, die Eltern, Familienangehörige spielen eine Rolle. Im Video „Where I left you“ begegnet man vielen Personen und auch dem Teppich wieder. In den Hauptrollen der Zweikanal-Videoinstallation sind die Schauspielerin Safira Robens und die Künstlerin Hicran Demir zu sehen.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Wie die Traumsequenzen umkreisen sie Abschiede diverser Art. Um Zugehörigkeit und ums Ausbrechen aus familiären und anderen Strukturen geht es, um die Geschichten der Vorfahren, um Trauer, um Wut. Eine Faust schlägt auf Kissen ein, Wasser tropft unaufhörlich auf den Fliesenboden.

Dazu ein Lied auf Kurdisch und auf Deutsch gesprochener Text, vielsagende Worte, wie die, mit denen die Arbeit endet: „Die Zweige fallen zu Boden. Sie saugen den letzten Rest Wasser. Langsam wenden sich die Flüsse weg, trocknen aus. Der Mond über mir wirft sein Licht ab. Ebbe auf Lebenszeit.“ Oder wie die in jenem Satz ungefähr in der Mitte: „Nicht das Gehen ist schwer, es ist das Verlassen“.

Sie finden ein Echo in dem Text, den die Schriftstellerin Asal Dardan für die Ausstellung geschrieben hat und sie hallen nach beim Betrachten der Fotografien, für die man die kurdische Künstlerin vor allem kennt. Eine Frau – die Künstlerin? – mit verhülltem Haar von hinten, mit nach vorn geschobenen Schultern, die den Stoff ihrer Bluse straffen.

Ein Selbstporträt, auf dem im knappen fliederfarbenen Zweiteiler barfuß am Boden kniet, der Kopf gesenkt, sodass ihr Haar wie ein Vorhang vors Gesicht fällt. Ein nacktes Paar hintereinander kauernd. Dazwischen hängen feinsäuberliche floral-surreale Buntstiftzeichnungen, intuitiv angefertigt, im Gegensatz zu den inszenierten Fotografien. Etwas sehr Körperliches strahlen aber auch sie aus. Viel Anstrengung muss es gekostet haben, die Striche so dicht und kräftig aufs Papier zu bringen.

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Beate Scheder
Kulturredakteurin
Redakteurin für Berlinkultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Kunstkolumnistin beim taz Plan.
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