Die Kunst der Woche: Entlang der Spannungen
Harald Frackman erstastet die Horizonte und Abgründe der Abstraktion. Mit Deep-Fake-Videos und Skulpturen spürt Paolo Cirio dem Neokolonialismus nach.
J ede Zeichnung öffnet einen eigenen Raum und lädt ein, sich darin zu verlieren. Dabei ist gar nicht so viel zu sehen. Eine eher dunkle, schattige Farbpalette, oder hartes Schwarz-Weiß, oder ein ganzes Blatt in zartem Blau, darauf ein paar dunkle Farbkleckse, mit ein paar Linien als zwei Körper interpretiert. Da ist der Hund. Ein großer brauner Hund, man stellt sich sofort vor, wie er sich bewegt. Aber dann wirft er einen so merkwürdigen Schatten, dass man sich fragt, ob es nicht doch einfach nur ein Farbverlauf ist, den man als Hund sehen will.
Harald Frackmanns Zeichnungen, die jetzt in der Werkstattgalerie zu sehen sind, leben von der Spannung zwischen Noch-Gegenständlichem und Abstraktion. Und sie leben von der Spannung zwischen dem formal-ästhetischen Ausdruck und dem narrativen Abgrund, der dahinter lauert. Da blickt eine Landschaft mit erschreckten weißen Augen in die Welt, und der zum Schrei geöffnete Mund ist ein Grab, in dem ein Mensch liegt. Krieg oder wann gibt es Gräber einfach so im Boden?
Manchmal scheint es nur um die zeichnerische Linie zu gehen, wie sie ein Oval formt, das sich nach innen als Schlangenleib und -kopf entpuppt. Das erinnert an Saint-Exupérys Hut, ebenfalls eine Schlange, eine Boa constrictor, die gerade einen Elefanten verdaut. Auch Frackmann fordert die erwartbare Perspektive heraus, und setzt stattdessen auf die erfinderischen, die unwahrscheinlichen Möglichkeiten, die am Ende doch die Wirklichkeit, die Wahrheit sind.
Und das gilt auch für die Horizontstudien, vermeintliche Landschaften, zunächst aber doch nur ungemein verführerisch angeordnete Farbfelder. Deswegen könnten die undatierten Zeichnungen und collagierten Blätter des 1944 in Plauen geborenen, in Hamburg lebenden Künstlers, die auch keine Titel haben, gerade entstanden sein. Tatsächlich stammen sie aus den 1970er Jahren, denn, wie er selbst an anderer Stelle einmal sagte: „Eine Stunde gemalt, vier Tage ergänzt, sechs Jahre überprüft, jetzt ausgestellt.“ Jetzt sind es eben 50 Jahre Prüfung. Das macht es noch viel besser.
Harald Frackmann: A World in Almost 12„X12“. Werkstattgalerie, bis 25. 1., Mi.–Fr. 15–19 Uhr, Eisenacher Str. 6
Paolo Cirio: Kommando 52, Nome Gallery, bis 1. Februar, Di.–Sa. 13–18 Uhr, Potsdamer Str. 72
Im neuen alten Kolonialismus
„Kongo-Müller“ der Name ist heute vielleicht noch rechtsradikalen Jugendlichen ein Begriff – und dem italienischen Künstler Paolo Cirio, der mit „Kommando 52“ bereits zum dritten Mal bei NOME ausstellt. Seine minimalistisch inszenierte, coole Ausstellung – vier Videoscreens denen jeweils ein Totenschädel mit militärischem Barett und erfundenen Barettabzeichen gegenübergestellt ist, plus eine weitere Videoarbeit – zeigt einen Ausschnitt aus seinem medienübergreifenden Projekt „Resurrect“.
Darin verhandelt Cirio anhand faschistischer, militaristischer und kolonialistischer Charaktere die Rolle westlicher Geheimdienste, Industriekonzerne und ihrer Söldnertruppen wie beispielweise dem deutschen Kommando 52 im 1960 unabhängig gewordenen Kongo.
Mit Hilfe künstlicher Intelligenz lässt der Künstler die Söldner Bob Denard (Frankreich), Siegfried Müller (BRD), Jean Schramme (Belgien) und Mike Hoare (UK) in Deep Fake-Videos mit ihren Originalstimmen ihre Karriere reflektieren. Die Erzählungen der Protagonisten, destilliert aus Archivmaterial wie Fotos, Filmen, Söldnertexten und Biographien, nehmen immer wieder unerwartete Wendungen.
Bob Denard zum Beispiel, der zugibt, 1954 die Ermordung des französischen Premier Ministers Pierre Mendes geplant zu haben und an der Ermordung des UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjold 1961 beteiligt gewesen zu sein, bekennt, im Auftrag europäischer Geheimdienste und Bergbauunternehmen afrikanische Länder destabilisiert zu haben, „um ihre Wirtschaft zu schwächen und sie arm zu halten, damit der Westen seine Kontrolle und seinen Einfluss aufrechterhalten konnte“. Und dieser Bob Denard sagt dann auch: „Meine Hände sind voller Blut. Ich muss für das, was ich getan habe, vor Gericht gestellt werden“.
Mike Hoare alias Mad Mike sagt, er habe Kriminelle, Alkoholiker, Nazis und Sadisten für wenig Geld angeheuert, um im Kongo zu kämpfen und zu töten. „Ich bin verantwortlich für das Töten und Foltern von Gefangenen, das wahllose Erschießen von Zivilisten und das Plündern von Geschäften und Häusern“, sagt die Hoare-Figur und: „Wie verabscheuungswürdig bin ich doch.“
Siegfried Müller, der das Kommando 52 befehligte, berichtet in Cirios Video, dass er nicht der Einzige war, der ein Abzeichen mit Hakenkreuz trug, „die Amerikaner und Briten hatten ja kein Problem damit, dass ehemalige Nazis in Afrika tätig waren. Wir waren genau die Leute, die sie brauchten, um neokoloniale Machtstrukturen aufzubauen“.
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Es lohnt sich, selbst etwas weiter zu recherchieren, denn Müller verdankt seine Bekanntheit vor allem dem Stern-Reporter Gerd Heidemann (wir erinnern uns – die gefälschten Hitler-Tagebücher) und den antikolonial argumentierenden DDR-Autoren Gerhard Scheumann und Walter Heynowski. Beide Seiten überhöhten seine Bedeutung, gegen die Paolo Cirio die Gegenerzählung liefert.
Und es lohnt sich, aktuell in Tageszeitungen und Magazinen über den anhaltenden Konflikt im Kongo zu lesen. Denn noch immer fordert der Konflikt um die Rohstoffe des Landes, inzwischen vor allem um Seltene Erden, Millionen von Menschenleben. Und noch immer begehen gekaufte Söldner im Dienst der üblichen Verdächtigen aus den USA, Südafrika, Großbritannien etc. etc. die schrecklichsten Gräueltaten, um diesen ihre enormen Reichtümer zu sichern.
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