Die Kunst der Woche für Berlin: Im Rief'schen Durchlicht
Die Künstlerin Marie Rief reizt die Grenzen von Kopiermaschinen aus. Ihre Bilder sind Druck und Foto, unendliche Verfielfältigung und Original zugleich.
Sie kopiert das Licht, oder besser gesagt lichte Stellen, die sich den Weg auf das Papier bahnen. Sei es, weil da doch irgendwo ein kleiner Spalt unter der geschlossenen Abdeckung der Maschine frei bleibt, deren weiße Unterseite womöglich direkt kopiert wird, ohne überhaupt groß etwas auf die Glasplatte zu legen, oder weil sich die Tinte nach ein paar tausend Seiten immer weiter leert und immer weniger die Dunkelheit abbilden kann, die unter der Klappe herrscht.
Die Rede ist von Marie Rief, die 2021 in Sibirien das Wasser des Jenissei kopierte, samt des Lichts, das durch das Flusswasser auf die Glasplatte des Kopierers fiel – sie und alle, die Lust hatten, das Wasser in transparenten Plexiglasbehältern vorsichtig in Richtung der technischen Geräte zu balancieren, von denen man doch sonst immer alles Flüssige fernhalten soll.
Riefs neue Ausstellung „identity by repitition“ in den Galerieräumen des Freundeskreis Willy-Brandt-Haus, kurz Fk–WBH, ist allein als Copy Art Ausstellung eine Freude. Es steht ein Kopiergerät bereit, dass man als Besucher_in exzessiv leer kopieren kann, indem man in einen Endlosloop aus Knopfdrücken und das Papier in die dafür vorgesehene Ablage zu legen eintaucht.
Marie Rief: identity by repetition, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, Di.–So. 12–18 Uhr, bis 27. 11., Eintritt frei, Ausweis erforderlich
Doch vor und hinter den Kopierprozessen, bei denen bekanntlich elektrisch geladenes Farbpulver aktiv ist – sagen wir es noch mal, weil es so schön auf der Zunge zergeht: elektrisch geladenes Farbpulver – steht Riefs Erforschung verschiedener fotografischer Verfahren wie der Erstellung von Photogrammen, die in den letzten Jahren dem der Elektrofotografie vorausgegangen ist. Beziehungsweise die hier den Laserdruck noch einmal überschreiben: Das kopierte Blatt, die dem Drucker entrungenen Seiten, die oft aus Transparentpapier bestehen, transferiert Rief noch einmal in analoge Kontaktabzüge auf Baryt.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
In der Serie „current image“ (2019), überlagern sich dunkel kopierte Seiten genau sechs Mal in immer neuen Bildausschnitten. Und die so erstellte Serie „exhausting 9J24B2Q“ (2020) wechselt noch einmal die Richtung: die Seiten, auf denen sich die Hell-Dunkel-Formationen am ausgespartesten und damit am subtilsten abspielen, sieht man von links nach rechts zuerst, bis sich schließlich fast alles genüsslich verdunkelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!