Die Kunst der Woche für Berlin: Von Böden und Dächern
Die wahren Flieger von Tegel: Daniel Poller fotografierte die Vögel am stillgelegten Flughafen. Auch das Schau Fenster zeigt Modelle der Kohabitation.
D er Hausrotschwanz hatte schon seine Nische am Institut für Lehrerbildung in Potsdam gefunden. Er brauchte keinen der tollen Nistkästen in Form sogenannter Einbausteine wie sie zur Zeit im Schau Fenster in der Lobeckstr. 30 in Kreuzberg zu bewundern sind. Als er freilich von Daniel Poller fotografiert wurde, war er auf der verzweifelten Suche nach seinem Nest mit seiner Brut. Poller, Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wollte den Abriss der modernistischen DDR-Architektur in Potsdam festhalten und wartete auf seinen Baustellenzutritt als er der Tragödie gewahr wurde.
Die Aufnahmen mit dem Titel „Endgültige Fassung der Beschlussvorlage“ wurden schnell bekannt. Denn wer symbolisierte eine planlose Baupolitik und den unwiederbringlichen Verlust an urbaner Substanz schon besser als der orientierungslos herumflatternde Hausrotschwanz? Mit der Serie fand Daniel Poller ein fotografisches Forschungsthema, das unbedingt Teil seiner kritischen Auseinandersetzung mit den städtebaulichen Transformationsprozessen war: Das Zusammenleben von Tier und Mensch in der Stadt.
Die neue Serie „Birds of Tegel“ (2022), jetzt in der Galerie Poll zu sehen, erzählt keine Verlustgeschichte. Zumindest aus Sicht der geflügelten Bewohner. Zwar hocken die Krähen in Daniel Pollers Aufnahmen noch auf den Aluminiumcontainern fürs Catering oder spazieren zwischen den Taxis herum während die Stare die Lichtmaste als Landeplatz anpeilen. Doch nur wenig später konnten sie und die Tauben, Stare und Kraniche die von ihren stählernen Kollegen geräumten Start- und Landebahnen in Berlin-Tegel endgültig übernehmen. Der Fotograf hatte sie im November 2020 beobachtet, ein paar Tage vor dem Ende des 1974 eröffneten Otto Lilienthal Airports.
Überraschend zu sehen, wie in den verschiedenen Formaten der Abzüge die Eleganz der Tegel-Architektur, etwa der zartrosa ausgebleichten Fluggastbrücken im Anflug der kleinen Flugakrobaten erst richtig zur Geltung kommt. Wie die Weite der Anlage deutlich wird, in dem vielen Raum, den die einzelnen Vögel auf dem Flugfeld besetzen; wie die farbigen Markierungen am Boden und an den Gebäuden die sachliche Fotografie in großartige Pop art verwandeln, oder wie grandiose surrealistische Momente entstehen, im Zusammenprall der Models auf den übergroßen Werbetafeln mit der Architektur und den vergleichsweise winzigen Kreaturen der Luft. Und so ist die Serie „Birds of Tegel“ mit all ihren inhaltlich-dokumentarischen Implikationen auch und vor allem ein fotoästhetisches Erlebnis.
Architectures of Cohabitation, Schau Fenster, in Kooperation mit Floating University und Städlschule, bis 5. Juni, 24 Std. einsehbar, zum Betreten der Räume: Mi.–Fr. 16–20 Uhr, Sa. 14–20 Uhr, Lobeckstr. 30–35
Galerie Poll, Daniel Poller: Birds of Tegel, bis 11. Juni, Di.-Sa. 12-18 Uhr, Gipsstr. 3
Kohabitation entwerfen
Daniel Pollers „Endgültige Fassung der Beschlussvorlage“ war einer der Beiträge der wegweisenden, noch von Marion von Osten initiierten Ausstellung „Cohabitation: Ein Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum“, die von der Zeitschrift Arch+ letztes Jahr im Silent Green veranstaltet wurde. Jetzt greift das aktuelle Heft Nr. 247 von Arch+ das Thema und die Beiträge der Ausstellung wieder auf, für die die Redaktionsmannschaft noch eine kleine, unbedingt sehenswerte Fortsetzung entwickelt hat. „Architectures of Cohabitationon“ läuft im oben schon erwähnten Schau Fenster in Kreuzberg.
Das Schau Fenster ist ein solches, aber auch ein schmaler betretbarer Ausstellungsraum dessen linke Wand 53 Einbausteine schmücken, die Nistmöglichkeiten für Vögel und Fledermäuse, aber auch Höhlen für wildlebende Bienen bieten. Alle sind marktgängige Modelle, die jetzt, an der Wand, wie ansprechende Design- oder Kunstobjekte ausschauen, aber in die Fassade integriert, einen beachtlichen Beitrag zur Biodiversität liefern.
Der Ausstellungsschlauch selbst weist fünf Sektionen auf. Zunächst geht es mit ChartierDalix um die Fassade. Für sie hat das Architekturbüro in einem mehrjährigen Forschungsprojekt eine biodiverse Wand entwickelt, die die einheimische Fauna und Flora aufnehmen kann. Für den Boden haben dann Animali Domestici die sogenannten „Hardware Stories“ entwickelt, einen Katalog mit Werkzeugen und Vorschlägen zur Do it Yourself-Herstellung von neuen Bodenkomponenten. Sie fördern, wie im Prospekt zu lesen steht, „vorteilhafte, mehr-als-menschliche Komplementaritäten sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene.“ Was will man mehr?
Ein tolles Dach natürlich. Um das hat sich das Natural Building Lab, eine internationale Plattform für das Bauen mit Naturbaustoffen der TU Berlin, bemüht und die Sumpflandschaft, die der Berliner Boden einmal war, zum zukünftigen Berliner Dach entwickelt. Eine Leiter ermöglicht den Aufstieg, um sich die Sache ganz genau anzuschauen. Die Wände, die solche Dächer tragen, kann sich die Gruppe Zirkular aus Modulen aus recyceltem Baumaterial vorstellen. So verringert sich die CO2 Emission und Plastikdämmstoffe sind unnötig.
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Zum Schluss wird das Schaufenster selbst, als das sich moderne Bürohausfassaden gerne präsentieren, thematisiert. Noch immer sterben Vögel, weil sie gegen das Glas fliegen und sich das Genick brechen. Die schönste und damit klügste Art das zu verhindern zeigt die Künstlerin Veronika Kellndorfer mit einer ihrer berühmten, siebbedruckten Glasinstallationen, die nun Lina Bo Bardis Casa de Vidro, das Wohnhaus der Architektin in Sao Paulo zeigt. Sie hat ihr gläsernes Haus am Rand der Stadt 1950 mitten in den Wald gebaut. Auch so kann man sich Cohabitation vorstellen.
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