Fotografien von Hansgert Lambers: Die Überraschung des Gewöhnlichen
Hansgert Lambers war Ingenieur und Fotoamateur. Seine Aufnahmen verdichten die Zeit. Das Haus am Kleistpark in Berlin zeigt eine Retrospektive.
Der Fotograf Hansgert Lambers ist eine Entdeckung, und ebenso sind es seine Schwarzweiß-Aufnahmen mit dem Zauber der wiedergefundenen Zeit. „Verweilter Augenblick“, der Titel seiner Retrospektive im Haus am Kleistpark, ist vom Kurator Matthias Reichelt gut gesetzt.
Da stehen in einer Aufnahme zwei kleine Hunde im offenen Fenster. Neugierig schauen sie im Gleichklang in die Welt und auf den Fotografen. An der Wand unter ihnen ist ein „Roller-, Fahrrad-Verleih“ annonciert. Nur schaut die Typo so merkwürdig nach frühem, ein bisschen vergurktem Pop aus, der Putz an der Wand blättert ab wie die Farbe am Kellerfenster darunter: Das ist nicht heute, das ist gestern.
Ja, das ist „West-Berlin, Kreuzberg, Möckernstraße, 1972“, wie die Bildunterschrift besagt – und wie man selbst beschwören würde, es zu kennen. Was lustig ist, hat man doch nie in West-Berlin gelebt.Durch die Staffelung von Fenster, Wand, Fenster sind die Hunde wie auf ein Piedestal gestellt, der Raum ist rhythmisch gegliedert, die Aufnahme von großer formaler Perfektion. Man fühlt sich in die Wunderwelt eines Henri Cartier-Bresson versetzt, in der man – fotografisch, medial wohl instruiert und sozialisiert – ganz fraglos zu Hause ist, egal woher in dieser Welt seine Aufnahme stammt.
Aus Liebe zum Medium
Man fragt sich also, salopp formuliert, warum hatte man diesen Fotografen nie auf dem Schirm? Trotz zahlreicher fotografischer Aktivitäten, sei es als Kurator und Ausstellungsmacher, sei es als Verleger, der in seinem 1986 gegründeten ex pose verlag bislang rund 80 Bildbände mit zeitgenössischer Autorenfotografie veröffentlichte?
Aber Hansgert Lambers, 1937 in Berlin geboren, arbeitete eben nie als Fotograf. Nach einem Ingenieurstudium war er von 1965 bis 1993 als Systemberater für IBM unterwegs. Tatsächlich ist er Fotoamateur, Fotograf aus Leidenschaft und Liebe zum Medium. Frei von Erfolgsdruck musste er weder veröffentlichen noch ausstellen; er konnte es aber und tat es auch. In Fotografenkreisen ist er daher durchaus bekannt und anerkannt.
Hansgert Lambers: Verweilter Augenblick bis 7. August, Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6–7, Berlin Schöneberg. Di.–So. 11–18 Uhr, Do. 11–20 Uhr.
Katalog: Hansgert Lambers Verweilter Augenblick/ Lingering Moments 336 Seiten, dt./engl., mit Texten von Irene Bazinger, Ian Jeffrey und Matthias Reichelt (Fotohof Verlag) 34 Euro
Sein Job brachte es mit sich, dass er viel reiste, auch in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang, wie man damals sagte, ebenso nach Italien oder England. Und so trifft man 1984 in Bologna auf eine hinreißende Fahrradfahrerin, die vor einem Schaufenster haltgemacht hat, allerdings schaut sie nicht in die Auslage, sondern hinter sich zurück, zum Fotografen beziehungsweise zur Betrachterin.
Ein Blick, den der Ausstellungskurator nutzt, um mit dem groß aufgezogenen Bild eine Verbindung in den gegenüberliegenden Raum zu schaffen, wo wir, dem Blick folgend, wieder auf eine attraktive Frauenfigur treffen. Allerdings ist sie gezeichnet, ein Werbedisplay für Bild, das 1959 das Dach eines Kiosks an der Crellestraße ziert.
Der Pudel und das Hakenkreuz
In Wien fällt zunächst der putzige kleine weiße Pudel in einem Ladeneingang auf, der etwas auf der Straße sieht – und wie wir noch den Hund betrachten, entdecken wir im rechten Augenwinkel den Teller im Schaufenster, der mit seiner Rückseite präsentiert ist, weil darauf als Signet der Reichsadler mit Hakenkreuz prangt. Das Foto ist von 1973!
Die Stadt in ihrer ganz banalen Alltäglichkeit, gleichgültig ob Wien oder Paris, Prag oder Budapest, bietet Lambers immer die Überraschung des Gewöhnlichen, den Augenblick, in dem eine andere, oft nicht restlos zu klärende Erzählung aufscheint.
Was etwa geht der blonden Frau im schicken Business-Outfit durch den Kopf? So wie sie in Stockholm 1981 mit geschlossen Augen an der Wand neben einer Garage lehnt, das Gesicht der Sonne zugewandt, eine Szene wie ein Gemälde von Edward Hopper.
Tatsächlich verweilt Lambers gern bei dem im Raum vereinzelten, bisweilen verlorenen Menschen. Wie bei der Frau, die aus dem einsamen Fenster schaut, das in die enorme, bildfüllende Fläche der Brandmauer gesetzt ist. Trotz seines schlichten Sujets ist „West-Berlin, Schöneberg, Albertstraße, 1958“ fotografisch großes Theater, mit der Ziegelmauer, die zur Hälfte weiß gekalkt ist, wodurch das Bild geteilt wird. Das betont die Straßenlaterne, die leicht verschoben, parallel zur Kante von Farbe und Backstein steht.
Und dann das rätselhafteste, gleichzeitig symbolträchtigste Bild der Ausstellung: der hagere Mann in Arbeitsuniform und Käppi auf dem Kopf, der in einer menschenleeren Umgebung mit grimmiger Miene aus einem Straßenschacht steigt. Die Szene wirkt an sich unheimlich, eher wie ein Filmstill. Sie erscheint aber erst recht verstörend und der Mann wie eine Art Wiedergänger aus der Vergangenheit, liest man die Bildunterschrift „Gedenkstätte KZ Auschwitz, Polen 1997“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett