Die Knigge-Frage: Darf man Liebesbriefe mailen?
Schnell geschrieben, vielleicht noch vom Smartphone und mit Tippfehlern – steckt da Liebe in den Zeilen?
Niemals, nie, sagt Kollegin S., Liebesbriefe wirfst du in den Briefkasten und im selben Moment verfluchst du dich noch, dann läufst du vor der Haustür auf und ab und überlegst, wo du jetzt Brandsatz kaufen gehst, den du deinen Zeilen hinterherwerfen musst.
Gut, oder? Wissen nicht alle.
Snail Mail, sagt Kollegin W., handgeschrieben muss er sein. Parfümiert und mit gepressten Blumen, Vergissmeinnicht am besten. Der Liebesbrief muss Charakter haben, Individualität, er darf nicht austauschbar sein und mit ein paar Klicks in der Welt. Sonst kannst du ihn ja gleich als Sammelmail ausspucken.
Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Edit message as new? A love letter? Never ever.
Kein Mensch mailt mehr Liebesbriefe, sagt Kollege E.
Nein? Nein.
Twittert der Mensch sie?
Nein. Nein?
Der Mensch schickt Penisbilder.
Gut, oder? Wissen nicht alle.
Zur Sache: Die Liebe will raus. Die frische vor allem. Sie will erzählt werden, auch denen, die sie nicht hören möchten, sie will überallhin, auf Papier, durch den Magen, in den Kopf. Warum dann nicht auch: ins Motherboard? Zu Gmail, Webmail, Yahoo Mail, compose message, save message, send message, wenige und einfache Handgriffe, meistens sogar in der Muttersprache formuliert - warum nicht?
Angenommen, es geht um Leben und Tod. Also: Es fühlt sich so an, filmszenenartig. Er will weg, sie ihn halten, er steht am Flughafen, die Augen suchen seinen Abflug auf der Anzeige, sie, Oslo, Rom, weiß, Zürich, jetzt erst, was sie will. Wie fragt sie nun wohl: Wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, immer, ewig, jede Sekunde, bleibst du dann? Bitte? Mit noch ein paar schönen Worten drum herum, die sie loswerden und ungern in SMS-Form quetschen möchte?
Richtig! Sie schickt eine Mail. Es vibriert in seiner Tasche, er zückt sein Smartphone, zu spät, um Brandsatz zu werfen, viel zu spät für Vergissmeinnicht, er liest - und antwortet vielleicht: Ja.
Oder nein. Oder nicht. Trotzdem hat ihn die Liebe noch erreicht. Mit der Post hätte sie ihren Zeitpunkt verpasst - oder wäre gar verloren gegangen, womöglich wäre der Empfänger verzogen gewesen oder der Brief nicht zustellbar oder beim Nachbarn abgegeben worden oder es hätte einen Abholzettel gebraucht und der Abholzettel wäre in Haus Nummer 54 statt 56 gelandet.
Klar, sagt Kollege F., das Medium E-Mail muss für die Liebe viel stärker genutzt werden als bloß für kaltes Technokratenzeug.
Ja? Ja. Das würde die Mail an sich erwärmen.
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