Die Inseln vor Honduras: Die letzten Freibeuter
Das Festland gilt als zu gefährlich, die Bay Islands hingegen sind touristische Highlights. Auf der Insel Utila treffen sich Taucher, Technofreaks und Aussteiger.
Samuel Molina Calderón, der nervöse, gesprächige Musiker, Touristenführer und Kuba-Fan, holt uns am Flughafen von San Pedro Sula mit seinem klapprigen Auto und viel zu lauter Salsa-Musik ab. Eine Freundin hat ihn engagiert, sozusagen als Pausenclown, bis wir in vier Stunden auf die Honduras vorgelagerte Karibikinsel Utila weiterfliegen. Samuel bringt uns zu einer Bananenkooperative. Zwei düster blickende Männer, Maschinengewehr im Anschlag, stehen am Eingang. Sie prüfen Pässe und Besuchsgenehmigung. Samuel versteht unsere verstörten Blicke. „Ja, wir sind immer noch eine Bananenrepublik, der arme Hinterhof der USA“, sagt er.
Während Costa Rica touristisch boomt, scheint Honduras in den 70er Jahren stehen geblieben zu sein. Für Samuel ist klar, dass die reichen Eliten, zu Geld gekommenen Araber und die USA-Hegemonie damals wie heute das Land beherrschen. Companies, die die Obstgärten plündern, korrupte Eliten, Militärs, Gewalt, Armut und Absatzmarkt für amerikanische Billigprodukte.
„Der costa-ricanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Óscar Arias Sánchez hat das Geld verschlingende Militär in Costa Rica abgeschafft und eine Demokratie aufgebaut. Bei uns spielt das Militär eine große Rolle. Es schützt die Mächtigen, denn wo soll unser äußerer Feind sein?“, fragt er aufgebracht. „Honduras ist militärische US-Basis, heute wie damals gegen die sandinistische Revolution in Nicaragua.“
Die Angst reist mit
Die Bay Island: Von den britischen Seeräubern, die die Inseln als Basis nutzten, ist Kapitän John Coxon der berühmteste. Nach ihm ist auf der Insel Roatán der Hauptort benannt. Die britische Besatzung endete 1872, als die drei Inseln an Honduras übergeben wurden. Es wird Englisch und Spanisch gesprochen.
Roatán: Im Gegensatz zum kleinteiligen Utila hat sich auf Roatán ein Großtourismus entwickelt. Mit All-inclusive - Resorts, wo vor allem Amerikaner und Kanadier tauchen und relaxen. Fast täglich laufen Kreuzfahrtschiffe die schöne, bergige Insel an.Infos: roatanet.com
Utila: Immer am ersten Augustwochenende findet für zwei Tage das Elektromusik-Festival Sunjam statt: aboututila.com oder utilaguide.com/utila-sunjam-2014
Bars: Utila ist gesegnet mit Bars und Restaurants. Künstlerisch ehrgeizig ist das Jade Sea Horse (jadeseahorse@gmail.com) mit der Baumbar TreeTitanic des amerikanischen Künstlers Neil Keller. Gemeinsam mit seiner Frau Julia hat er aus einem großen Grundstück ein Gesamtkunstwerk, ein Gaudí-Verschnitt mit Hotelzimmern und Garten, geschaffen.
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In der Kooperative San Marco Cortez werden Bananen gepflanzt, geerntet, verpackt und mit dem gelb-blauen Dole-Label versehen. Es ist Mittagspause. Nur wenige der 14 Frauen, die hier am Band arbeiten, sitzen in der kleinen Kantine. Norma Estrada Castillo, die dicke Wirtin, serviert Bananen, Bohnen, Reis, Schwein und – scheinbar obligatorisch – Pepsi-Cola. Sie stimmt Samuel zu, der munter weiter vom honduranischen Elend, der Militarisierung nach innen erzählt: „Die Militärs geben keine Sicherheit, sie machen Angst.“
Angst ist immer Thema, wenn man von Reisen nach Honduras, vor allem der Küstenstadt San Pedro Sula, spricht. 20 Menschen werden nach Angaben der National Autonomous University of Honduras (NAUH) täglich ermordet. Eine Mordrate von 85,5 pro 100.000 Einwohner, verglichen mit 1,2 in England. Im Wirtschaftszentrum San Pedro Sula ist die Rate doppelt so hoch. Die Stadt wird als die gefährlichste der Welt bezeichnet.
„Ob die Turnschuhe zum Trocknen über die Stromleitungen geworfen werden?“, frage ich Samuel bei der Fahrt zurück zum Flughafen. Er schüttelt den Kopf über so viel Unwissenheit. „So werden die Gebiete der Banden, der ’maras‘, abgesteckt. Sie kämpfen gegeneinander um die Vorherrschaft in den slumartigen Wohngebieten oder gegen die Polizei. Sie sind dick im Drogenhandel.“ Nach Weltbankberichten sollen sich den „maras“ mittlerweile über 40.000 Jugendliche in Honduras angeschlossen haben.
Die Insel der Glückseligen
Die Sonne geht auf, als uns Vitalelis Melendez am Hafen von Utila empfängt. Die immer lächelnde, rundliche Frau, Mitarbeiterin der Tourismusbehörde, ist so klein, dass sie gerade mal zum Lenker ihres Motorrollers, ihres ständigen Begleiters, reicht. „In Utila haben wir Sicherheit“, sagt Vitalelis. „Es ist ein Jahr her, dass wir wegen Überfällen und Drogen auch hier das Militär um Hilfe baten. „Seit Soldaten hier stationiert sind und die Navy patrouilliert, herrscht Ruhe.“
Offensichtlich sind wir auf der Insel der Glückseligen. Warum sonst wären so viele junge Touristen und Aussteiger hier? Backpacker aus den USA, Kanada, Australien und Europa. Sie sitzen skypend auf den Terrassen der bunten, windschiefen Holzhäuser. Blonde Mädchen, muskulöse Boys, braungebrannt. Sie fahren mit kleinen Golfwagen über die schmale Hauptstraße, die eigentlich für Fußgänger gemacht ist. Die Straße ist überlastet, laut. Autos kann man hier nicht mieten, das würde auch den Ruin der kleinen Insel bedeuten.
Die 42 Quadratmeter große Karibikinsel, eine der drei Inseln der Bay Islands, ist ein Taucherparadies. Vor Utila, Roatán und Guanaja verläuft ein 900 Kilometer langes Korallenriff, das zweitgrößte hinter dem Great Barrier Reef in Australien. „Es gibt zwölf Tauchschulen, in denen in 20 Sprachen unterrichtet wird. 12.000 bis 15.000 Tauchzertifikate werden jedes Jahr ausgestellt“, sagt Troy Bodden, der vor Kurzem gewählte Bürgermeister. Bodden hat englische Vorfahren, ist hier geboren und betreibt eine Tauchschule. Er zeigt uns sein neues Resort Utila Beach Town mit 27 schicken Doppelzimmern. „Es gibt viel zu tun bei der Müllbeseitigung. 200 Tonen Müll fahren wir im Monat von der Insel.“
Utila ist bedrohtes Karibikidyll und ein bisschen Walt Disney mit Fluch der Karibik. Es hat ein reges Nachtleben und überfüllte Bars. Das Restaurant Boccaneer mit der Piratenflagge am Eingang wird von Nelly und Patrick Flyn geführt. Der schlaksige Patrick mit dem schütteren Haar und der hellen Haut sieht aus wie ein englischer Gentleman. Ist er auch. „Der Freischärler Captain Diamand kam zuerst hierher und besiedelte die Keys. Meine Familie lebt in der siebten Generation hier. Meine Vorfahren kamen von Nordengland und Irland“, erzählt der wortkarge Patrick. 1872 wurden die bis dahin britischen Bay Islands Honduras übergeben. Noch immer wird hier Englisch gesprochen.
Bukaniere nannte man die Seeräuber der Karibik. Jahrhundertelang dienten Buchten und Hügel der Bay-Islands-Piraten als Unterschlupf. Die englischen Freibeuter waren mit einem königlichen Kaperbrief ausgestattet und durften Schiffe feindlicher Nationen plündern. England wollte in der Neuen Welt Fuß fassen, am Reichtum der Spanier teilhaben. Im 19. Jahrhundert ließen sich frei gewordene Sklaven von den Cayman auf den Bay Islands nieder. Von ihnen stammt der Großteil der schwarzen Inselbevölkerung ab.
Die schwarze Deutsche
Auch Erlinda Halverson. Die Naomi Campbell von Utila stöckelt im kurzen, engen Sommerkleid und dezent geschminkt zum methodistischen Gottesdienst, als wir uns mit ihr verabreden. Die inzwischen 5.000 Einwohner zählende Insel hat acht verschiedene Glaubensgemeinschaften. Linda spricht perfekt deutsch. Sie hat zehn Jahre in Berlin gelebt, in der Bar Slumberland gearbeitet. „Die schwarze Deutsche nennen sie mich“, erzählt sie. Linda verließ mit einem Deutschen die Insel. „Ich liebe Berlin“, sagt sie. „Zweimal im Jahr bin ich noch dort.“ Jetzt lebt sie mit einem wohlhabenden Amerikaner – „der Deutsche hatte keinen Ehrgeiz“ – auf Hawaii und immer wieder auf Utila. Hier hat sie Häuser und Land erworben. Und sie kämpft mit dem neu gewählten Bürgermeister Troy Bodden für eine „saubere Insel“.
„Marihuana, Kokain und Crack sind ein Riesenproblem auf der Insel, vor allem bei den zugewanderten, armen Hispanics. Aber Troy, für den ich Wahlkampf gemacht und bezahlt habe, hat vieles unter Kontrolle gebracht“, erzählt sie auf der Terrasse ihres Holzhauses mit kleinem Privatstrand. „Ich bin für die Leute“, behauptet sie selbstbewusst. „Alle kommen mit ihren Problemen. Ich möchte die Insel voranbringen. Ich habe dem Bürgermeister eine Liste gegeben. Aber er hat sie noch lange nicht abgearbeitet.“ Bis Linda ihren Lebensabend hier verbringt, wird sie noch einiges von Troy Bodden abverlangen. Auch der Bürgermeister hat in die touristische Zukunft der Insel investiert. Troy und Linda dominieren und forcieren die touristische Entwicklung des kleinteiligen, wenig kommerzialisierten Aussteigerparadieses. Sie sind das aufstrebende Unternehmertum Utilas.
Von den Aussteigern, die teilweise seit 30 Jahren hier leben, hält Linda nicht allzu viel: „Sie trinken viel zu viel. Es wäre schön, wenn sie der Insel was geben würden. Wir wollen Menschen, die investieren. Es gibt viel Sextourismus, meistens von europäischen Frauen. Den meisten jungen Touristen heute geht es jedoch um Tauchen, Party, Trinken, Sex, und weg sind sie.“
Die Skid Row Bar hat alles, was eine Säuferbar braucht: Billard, TV, Frauen, Musik , Gedränge. Es soll die Stammbar der Expads sein. Die Engländerin Vanessa Lawries steht mit einer Flasche Salva Vida, dem honduranischen Bier, am Billardtisch. Vanessa ist Volunteer in der Leguan Station von Utila, die seit 1994 von der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft und von der Senckenberg-Gesellschaft unterstützt wird. „Ich fahre morgen zurück nach England, aber ich komme wieder“, versichert sexy Vanessa. Im knallengen, tief ausgeschnittenen grünen Kleid ist sie perfekt gestylt für die Party. „Hier ist alles da. Spaß, Sonne, Begegnung, entspannte Leute.“ Sonne, Sand und Sex – das altbekannte Glücksversprechen.
Stolz darauf, Hippie zu sein
„I will leave tomorrow.“ Ein Standardsatz. Und dann bleiben sie länger oder kommen wieder, Tage, Wochen oder für immer. In der Rehab Bar am Strand treffen wir Reiner Buck. Barfuß, Jeans, weites, buntes Hemd, lange blond-graue Haare, rotes Stirnband. Seit 1993 wohnt Reiner ohne Unterbrechung hier. „Zurzeit lebt noch etwa ein Dutzend Aussteiger hier“, erzählt der gebürtige Ludwigsburger. „Gunter beispielsweise ist 30 Jahre hier. Er macht Joghurt und trainiert. Ein Muskelmann. Hans kam wie ich im Frühjahr 93. Er ist verheiratet. Lebt so vor sich hin. Macht irgendwas, wo das Geld herkommt.“
Reiner selbst ist gelernter Steinmetz und arbeitete zunächst – wie die meisten Neuankömmlinge – in einer Tauchschule. Dann verdiente er am Bau von Schwimmbädern. Die Technokultur und die jungen Backpacker, die die Insel immer mehr erobern, nerven ihn. Nicht nur wegen der lauten Musik, die auch jetzt mit hartem Beat zur Rehab Bar dringt: „Das sind rasierte Weicheier und völlig naiv, was Drogen betrifft“, sagt er. Unter den Einheimischen hingegen fühle er sich wohl: „Die Alten kennen mich als jungen Wilden. Die Leute sind freundlich, hilfsbereit, unkompliziert. Manche Expads nehmen sogar an den Sitzungen der Gemeinde teil. Sie sind willkommen“, sagt er.
Reiner ist stolz, ein Althippie zu sein. Ein Zeitpirat, der „Konkurrenz und Leistungsdruck in Deutschland“ hinter sich gelassen hat. Sein Credo: „Du kannst hier machen, was du willst. Ich steige auf mein Pferd und reite in die Hauptstraße, binde es an und sauf mir den Kopf voll. Und reite wieder nach Hause.“
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