Die Grünen während der Koalitionskrise: Nicht übermütig werden
Je stärker die Regierung wackelt, desto mehr Blicke richten sich auf die Grünen. Die wollen den Eindruck vermeiden, sie seien die lachenden Dritten.
Vermeiden will Haßelmann den Eindruck, die Grünen seien die lachenden Dritten der Koalitionskrise: „Wir sind keineswegs übermütig.“ Die aktuelle Situation sei für alle Parteien schwierig, weil sie das negative Bild vieler Menschen von PolitikerInnen bestätige. Trotzdem: Je stärker die Große Koalition wackelt, desto mehr Blicke richten sich auf die derzeit so erfolgreichen Grünen.
Ob sie Lust habe, Kanzlerin zu sein, fragt ein Journalist Annalena Baerbock bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. Andere wollen wissen, ob im Kanzleramt eine Doppelspitze nach grünem Vorbild denkbar wäre. Doch diese wie alle anderen Personalfragen blockt die Parteivorsitzende konsequent ab. Die Grünen wollen nicht den Anschein erwecken, wie die Regierungsparteien um sich selbst zu kreisen und sich am verrufenen Poker um Posten zu beteiligen.
Inhalte first, lautet die Devise. „Die Regierungsparteien müssen sich jetzt fragen, ob sie die Kraft haben, die großen Fragen anzugehen, vor denen wir stehen“, sagt Baerbock. Haben sie diese Kraft nicht, wäre „die Situation gekommen, wo die Menschen noch einmal neu wählen sollten“. Eine klare Absage erteilt sie all jenen, die jetzt über einen neuen Anlauf für die an der FDP gescheiterten Jamaika-Verhandlungen spekulieren. Die Grünen seien „kein Reserverad“.
Eine völlig andere Situation
Unattraktiv ist die Variante für die Grünen, weil sie in solche Verhandlungen auf der Basis ihres Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl 2017 gehen müssten. Damals lagen sie bei 8,9 Prozent – etwa ein Drittel von dem, was manche Umfrageinstitute ihnen derzeit zutrauen.
Doch Annalena Baerbock wehrt sich gegen den Verdacht, leichtfertig nach Neuwahlen zu rufen, nur weil die Grünen aktuell gut dastehen: „Wir sind damals sehr ernsthaft in die Jamaika-Verhandlungen gegangen – auch weil wir gesagt haben, dass es gefährlich für die Demokratie ist, ständig neu wählen zu lassen.“ Allerdings sei die Situation im Sommer 2019 eine völlig andere als Ende 2017. Da in fast allen Parteien das Spitzenpersonal ein anderes ist, seien Neuwahlen mittlerweile „auch aus demokratietheoretischen Gründen geboten“, wenn die Große Koalition scheitern würde, findet Baerbock.
Hans-Christian Ströbele, Grüner der ersten Stunde, rät seiner Partei, sich im Falle von Neuwahlen programmatisch besser vorzubereiten. Beim Thema Klimaschutz hätten die Grünen zwar überzeugende Konzepte, aber das reiche nicht aus. So sei beispielsweise die Kriegs- und Friedensfrage „völlig ungelöst“. Und: Gerade weil die Grünen oft als Gegengewicht zur AfD wahrgenommen würden, müsse sie sich bei der Einwanderungs- und Asylpolitik klarer positionieren.
„Wie gehen wir damit um, wenn plötzlich wieder viel mehr Flüchtlinge kommen? Tragen wir es mit, wenn die EU mit Unterstützung der Bundesregierung ihre Außengrenzen dicht macht und die Menschen zurück nach Libyen zwingt?“ Auf solche Fragen müsse man Antworten formulieren. Grundsätzlich aber findet er, seine Partei mache derzeit viel richtig. „Sie sind glaubwürdig, auch wegen Personen an der Spitze, denen man das abnimmt, was sie sagen.“
Die Misere der SPD dagegen macht Ströbele ratlos – und bedeute auch für seine Partei nichts Gutes. „Den Grünen kommt die Alternative abhanden“, sagt er. Dabei seien die Schnittmengen seiner Partei mit den Sozialdemokraten noch immer viel größer als mit der Union. „Außerdem schwächt es unsere Verhandlungsposition für kommende Koalitionsverhandlungen.“
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