Die Grauen lösen sich auf: Der Ehrliche ist der Dumme

Die Seniorenpartei "Die Grauen" ist pleite - wegen eines Spendenskandals. Der Bundesvorstand beschließt die Auflösung. Der Vorsitzende ist dagegen.

Bundesvorsitzender Raeder glaubt, dass die Grauen es noch in den Bundestag schaffen. Bild: Bernd Hartung

BERLIN taz Es war der Oberhammer. Norbert Raeder lief vor dem "Kastanienwäldchen" auf und ab. Lange, dünne Haarbüschel wippten links und rechts von seinem Gesicht, der Arm machte die Siegersäge - jedes Mal, wenn an diesem Septemberabend eine neue Wahlprognose seine Eckkneipe erreichte. Er zählte nach, in wie viele Regionalparlamente sie einziehen würden. Es wurden immer mehr. Um die vier Prozent sagten die Fernsehsender seinen Grauen auch bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus voraus.

Die Partei: Die Grauen sind 1989 aus dem Seniorenschutzbund Graue Panther entstanden. Zunächst haben sie sich für die Rechte Älterer eingesetzt, etwa mit ihrer Forderung einer Mindestrente. Gründerin Trude Unruh, 82, war vorher Mitglied von SPD und FDP, zuletzt der Grünen gewesen. Heute verstehen sich Die Grauen als Generationenpartei. Ihr bestes Ergebnis holten sie mit 3,8 Prozent im Berliner Landeswahlkampf 2006. Sonst lagen sie in den Landtagswahlen oft unter einem Prozent.

Der Skandal: Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt derzeit gegen den ehemaligen Schatzmeister der Grauen, Ernst Otto Wolfshohl. Er soll mit gefälschten Spendenquittungen Parteienfinanzierung erschlichen haben. Wolfshohl ist gegen 100.000 Euro Kaution auf freiem Fuß, der Verdacht hat sich laut Staatsanwaltschaft aber erhärtet. Die Bundestagsverwaltung fordert 8,5 Millionen Euro an Rückerstattung und Strafzahlungen.

Die Auflösung: Weil die Partei das Geld nicht zahlen kann, hat der Bundesvorstand gerade einen Auflösungsparteitag beschlossen. Anschließend muss eine Urabstimmung stattfinden.

"Absoluter Oberhammer", rief Raeder, der Vorsitzende des Berliner Landesverbands, vor seinem Lokal in Berlin-Reinickendorf. Die Grauen, einst als politischer Arm des Seniorenschutzbunds Graue Panther gegründet, würden von hier aus als "Generationenpartei" die Politiklandschaft umpflügen. Raeder hatte auch eine Erklärung für den Erfolg: hundert Prozent Ehrlichkeit, keine Leichen im Keller. "Das ist der historische Startschuss", verkündete er in seiner Siegesrede.

Eineinhalb Jahre später sitzt Raeder vor einem Pott Kaffee im engen Büro des Landesverbands und zieht an einer Zigarette. Die Haarbüschel hängen über den Schultern seines schwarzen Anzugs wie die Ohren eines erlegten Hasen. Es sieht gar nicht gut aus, für ihn steht gerade alles auf dem Spiel: die Grauen und das "Kastanienwäldchen". Gegen das neue Rauchverbot, das ihn wahlweise Gäste oder Bußgeld kostet, kann er vielleicht noch etwas unternehmen. Was die Grauen anbelangt: achteinhalb Millionen Euro Schulden. Das lässt sich nicht so einfach anpacken, wie er das sonst gerne macht.

Es war nach dem Wahlerfolg eigentlich ordentlich für ihn gelaufen. Mit vier Abgeordneten zog seine Partei ins Reinickendorfer Bezirksparlament ein. Sie sitzen in Berlin in acht weiteren. In anderen Ländern haben sie eher einzelne versprengte Abgeordnete. Im Herbst 2007 wählte die Partei Raeder zum Bundesvorsitzenden. Er wurde Nachfolger der Gründerin Trude Unruh.

Tage später begannen die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft. Anfang Januar schrieb die Bundestagsverwaltung einen Brief an den Bundesverband. Im Laufe der Ermittlungen war festgestellt worden, dass Spendeneinnahmen, die die Partei jahrelang gemeldet hatte, wohl erfunden waren. Für jeden Spendeneuro hatte sie allerdings 38 Cent vom Staat erhalten. Der forderte nun nicht nur die Förderung zurück, sondern die Summe der fiktiven Spenden. Mal zwei. So verlangt es das Parteispendengesetz. 8,5 Millionen Euro, zu zahlen bis zum 15. Februar 2008. Anschließend werden 8,32 Prozent Zinsen fällig.

Ein Oberhammer. "Da machst du einen Wahlkampf mit hundert Prozent Ehrlichkeit", sagt Raeder. Und ein Jahr später holt die Staatsanwaltschaft die Leichen aus dem Keller. An der Tür hängt noch das Plakat: "Gegen Korruption in Politik und Wirtschaft". Der 39-Jährige versucht drinnen den Skandal zu erklären. Er legt die Parteizeitung Panther-Post, einen Flyer von der letzten Anti-Rauchverbots-Demo und eine Schachtel Kippen auf den Tisch. Die Panther-Post soll die Bundespartei sein, der Flyer sind die Firmen, die jemand aus dem alten Vorstand gegründet hatte, um Seminare zu veranstalten. Die Zigaretten sind die Seminarleiter, die ihre Honorare gespendet haben. Angeblich. Nur wenige haben tatsächlich stattgefunden.

Die Grauen an sich, sagt Raeder, hatten damit nichts zu tun. Vor allem Otto Wolfshohl, der ehemalige Schatzmeister, wird von der Staatsanwaltschaft als Drahtzieher betrachtet. Die "graue Eminenz" nennt Raeder ihn. Der Psychotherapeut, der zwischenzeitlich drei Doktortitel einer philippinischen Universität trug, bis eine Hochschulkommission ihm das untersagte, ist auf Kaution auf freiem Fuß. Er soll bei den Spendengeschäften mehr als 100.000 Euro Provision abgezweigt haben. Als alles aufflog, ist Raeder sofort nach Wuppertal gefahren, er hat Wolfshohls Frau besucht, um nachzusehen, was aus dem Geld geworden ist, "ob der eine Villa hat". Er traf sie in einem alten Reihenhaus an, "mit alten Möbeln", erzählt er. Trotz der Schuldzuweisungen der Staatsanwaltschaft greift er Wolfshohl nicht namentlich an. Er sagt nur: "Der Typ, der dafür verantwortlich ist, den müsste man an die Wand nageln." Als kämen da noch etliche andere in Frage.

Alles, was die Grauen künftig einnehmen, geht direkt an die Bundestagsverwaltung. Sie sind jetzt eine Partei ohne Geld, mit einem Haufen Schulden und einem Glaubwürdigkeitsproblem. Manchmal rufen Leute im Büro an, wo ein arbeitsloses Mitglied ehrenamtlich ans Telefon geht, und fragen, ob es die Grauen überhaupt noch gibt.

Ein Ausweg aus der Misere ist nicht in Sicht, auch wenn Raeder daran zweifelt, dass die Zahlen stimmen. Es ist ein bisschen, als würde ein Bungee-Springer, dem das Seil reißt, hoffen, dass eventuell der Boden verschwindet: Die Ermittlungen seien zwar noch nicht abgeschlossen, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wuppertal, der Tatverdacht gegen den Hauptverdächtigen aber dringend. Die Schadenssumme könne sich eher noch erhöhen.

Ein Standardverfahren, erklärt ein Bundestagssprecher, daran sei nicht zu rütteln. Der Bundesvorstand hat deshalb mit neun Stimmen gegen zwei Enthaltungen beschlossen, die Partei aufzulösen, dann lässt die Staatsanwaltschaft vielleicht die Jahre 2004, 2003 und 2002 auf sich beruhen. Die zwei Enthaltungen kamen aus Berlin. Norbert Raeder gibt wenige Tage später bekannt, sein Landesverband sei "hundert Prozent" gegen eine Auflösung. Trotzdem steht der Termin für den Parteitag Mitte Februar, der das Ende beschließen soll. "Ich bin kein Träumer", sagt Manfred Schwarz, der stellvertretende Bundesvorsitzende, der das angeregt hat.

Der Siegeszug der Grauen war schon vor dem Skandal ins Stocken geraten. Ihr Erfolg hatte vor allem auf Raeders Rührigkeit basiert. Der Wirt des "Kastanienwäldchens" hatte kleine, lebenspraktische Lösungen für die großen Politikprobleme. Lehrstellenmangel? Die Grauen verteilten Briefmarken für Bewerbungspost. Pflegenotstand? Sie halfen vernachlässigten Alten zu Hause und forderten eine Heimpolizei. Norbert Raeder packt an. Seinen stellvertretenden Landesvorsitzenden hat er in dem Reisebüro rekrutiert, das ihm einmal gehörte. Der Mann hatte eigentlich nach Madeira fliegen wollen.

In der Politik allerdings lässt sich schon in den Regionalparlamenten das meiste nur auf lange Sicht lösen. Im Sitzungssaal des Reinickendorfer Rathauses, als einer von gut fünfzig Abgeordneten an schweren, dunklen Holzpulten, sieht Raeder sehr klein aus. Wenn er dort reingehe, sagt er, sei es jedes Mal, als würde ihm jemand die Krawatte zuziehen. So aufgeregt ist er. Es ist kein Ort für jemanden, dem das Siezen schwerfällt. Die von der CDU machen es den Grauen nicht leicht, sie ätzen und höhnen. Das wiederum hängt mit einer anderen Spendenaffäre zusammen:

Eine der ersten Fragen, die Norbert Raeder hier gestellt hatte, war die nach dem Neujahrsempfang der CDU-Bezirksbürgermeisterin. Wer zahlt den denn? Die Frage war so formuliert, dass alle anderen Parteien sie als Korruptionsvorwurf verstanden. Der Ältestenrat wurde einberufen. "Mit einem Mal hatten wir nur noch Feinde", sagt Raeder. Später kam zufällig heraus, dass die Bürgermeisterin tatsächlich manchmal fragwürdig mit Spenden umgeht.

Keine Frage, sagt Sascha Braun, der Fraktionsvorsitzende der Reinickendorfer Sozialdemokraten, ein netter Typ, der Norbert, sie duzten sich auch, "aber auf der Sachebene " Es gebe kein Thema, mit dem sich die Grauen bisher profiliert hätten. Außerdem sei es natürlich nicht günstig, findet Braun, wenn man sich als Kämpfer gegen Verflechtung von Politik und Wirtschaft darstelle und dann vorwiegend eigene Interessen vertrete. Kürzlich hat Norbert Raeder, der Kneipenwirt, eine Demo gegen das Rauchverbot veranstaltet und anschließend einen Antrag dazu eingebracht. Anfang Februar findet die zweite Demo statt. Politik macht Raeder, indem er den Rathauspförtner per Handschlag begrüßt und auf der Straße Jugendliche beim Alkoholtrinken anspricht, um gegen das Flatrate-Saufen vorzugehen. Er gibt eine Mischung aus Grüßonkel und Sozialarbeiter. Raeder hat den Eindruck, dass alles großartig läuft.

Das ist in Berlin auch leichter als in Niedersachsen und Hessen, wo sich Graue-Mitglieder während des Wahlkampfs wegen der Affäre beschimpfen lassen mussten. 4.877 Stimmen erhielten sie in Hessen, 9.275 in Niedersachsen. 0,2 und 0,3 Prozent. In Hamburg, wo in drei Wochen gewählt wird, ist die Partei gespalten. Ein Mitglied hat sich selbstständig gemacht und tritt mit einer eigenen Truppe zur Wahl an. Der eigentliche Vorstand wurde vom Landeswahlleiter nicht zugelassen. Aber wer weiß, ob es die Grauen dann überhaupt noch gibt.

Im Jahr 2006 hatten die Grauen in Berlin 52.884 Stimmen bekommen. Von denen spricht Raeder, wenn er sagt, dass sein Landesverband weitermacht, selbst wenn die anderen das Ende beschließen. Er wirkt immer noch seltsam berauscht. Gut, grundsätzlich sehe er schon ein, dass sie wegen ihrer Unerfahrenheit im Abgeordnetenhaus zu kämpfen gehabt hätten: "Wir wären da eingegangen wie die Primeln." Trotzdem bleibe für ihn das Ziel der Bundestag, sagt er. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass er das wirklich so meint. Dort jedenfalls warten sie im Augenblick noch auf einen Großteil der 8,5 Millionen Euro. Es könnten auch noch mehr werden.

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