Die Geschichte von Habiba F.: Verwehrtes Familienleben

Die 15-jährige Habiba ist aus Afghanistan geflohen. Ihre Schwester lebt in Lüneburg, Habiba bekam eine Vormündin und muss in Hamburg wohnen.

Habiba F. steht zwischen ihrer Schwester Fatima F. und deren Mann Ali S..

Dürfen nicht zusammenleben: Die minderjährige Habiba F. (Mitte), ihre Schwester und deren Mann Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Habiba F. sitzt in einem Café in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs. Sie ist ein zurückhaltendes Mädchen mit dunkelbraunen Haaren, die teilweise ins Rötliche gehen. Wenn die 15-Jährige spricht, richtet sie meistens das Wort an ihre große Schwester Fatima F., die zusammen mit ihrem Mann Ali S. ebenfalls am Tisch sitzt.

S., der schon länger in Deutschland lebt, übersetzt die Worte der minderjährigen Afghanin. Es ist der Bericht eines Mädchens, das aus Afghanistan geflohen ist und nun von deutschen Behörden daran gehindert wird, bei ihren Verwandten zu leben.

Im August 2021 gelang Habiba die Flucht vor den Taliban aus Afghanistan. Es waren die Tage, in denen die Aufnahmen verzweifelter Menschen auf dem Flughafen in Kabul um die Welt gingen. Habiba schaffte es in eine der letzten Maschinen, die das Land verließen und landete in Frankfurt, so übersetzt es Ali S.

In Deutschland angekommen, habe man sie am 22. August in einen Bus nach Hamburg gesetzt. Habiba habe gehofft, dass sie von dort aus nach Lüneburg weiterreisen könnte, wo ihre Schwester und ihr Schwager leben. Da sie sich wegen der Sprachbarriere kaum verständlich machen konnte, habe sie einen Zettel mit der Adresse ihrer Schwester bei sich getragen.

Habiba F., 15-jährige Afghanin in Hamburg

„Nicht nur ein Raum, auch eine Stadt kann ein Gefängnis sein“

Zunächst landete sie jedoch in Hamburg und wurde dort registriert, berichtet die 15-Jährige. Auf Grund der Coronasituation habe sie vierzehn Tage in Quarantäne gemusst. Auch nach dem Ende der Quarantäne-Zeit sei sie jedoch nicht zu ihrer Schwester Fatima gebracht worden. Stattdessen teilte das Familiengericht ihr eine Vormündin zu, obwohl mit Fatima eine erwachsene Verwandte der Minderjährigen in Deutschland lebt.

Aber durch die Registrierung in Hamburg gilt für Habiba die Residenzpflicht, sie muss in Hamburg wohnhaft bleiben. Auch ein Besuch in Lüneburg sei Habiba in den ersten vier Monaten nicht erlaubt gewesen, berichtet sie. Der erste Besuch sei auf einen Zeitraum von zwei Stunden begrenzt gewesen.

Auch danach seien ihr weitere Fahrten nach Lüneburg nur sporadisch gestattet worden. Ihre Vormündin, die sich gegenüber der taz nicht äußert, habe Habibas Wohnsituation und die wenigen Besuchsmöglichkeiten mit der Residenzpflicht begründet. Momentan lebt Habiba in einer pädagogisch betreuten Wohngruppe in Fuhlsbüttel.

„Als ihr Vater im November von den Taliban getötet wurde, haben wir die ganze Nacht mit Habiba telefoniert“, sagt Ali S. Denn auch in solchen emotional belastenden Momenten ist die 15-Jährige in Hamburg allein. Da die Terminabsprache sich schwierig gestaltet habe, konnte die Jugendliche nicht bei der Gedenkfeier ihrer Familie dabei sein. „Die Trauerfeier haben wir alleine gemacht, das war sehr, sehr traurig“, erinnert sich Ali S. „Nicht nur ein Raum, auch eine Stadt kann ein Gefängnis sein“, sagt Habiba. In diesem Gefängnis sitzt sie nun seit etwa sechs Monaten.

Die Familie versucht alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, damit die 15-Jährige bei ihren Verwandten leben kann. Habiba, Fatima und deren Mutter, die sich zusammen mit zwei weiteren Schwestern Habibas nach wie vor in Afghanistan aufhält, haben erklärt, dass sie darum bitten, die Vormundschaft für Habiba an ihre Schwester Fatima zu übertragen. Die Familie hat einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht eingereicht. Zudem will sie bei der Ausländerbehörde Habibas „Umverteilung“ beantragen, um einen Umzug nach Lüneburg zu ermöglichen.

Doch wie lange das noch dauert, ist unklar: Die Kommunikation mit den Behörden verlaufe bisher schleppend, berichtet die Familie. Wenn es schlecht läuft, könnte Habiba noch bis zum Ende ihres Asylverfahrens von ihrer Schwester getrennt bleiben. Von der Sozialbehörde hieß es auf Anfrage der taz, man könne sich zu einem solchen Einzelfall aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht äußern.

Unterstützung bekommt die Familie von Hans-Jürgen Brennecke. Der pensionierte Pädagoge war jahrzehntelang in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen tätig, heute hilft er ehrenamtlich. „Unser Staat ist da zu paternalistisch“, sagt er im Gespräch mit der taz. Die Behörden behaupteten, sie dienten dem Kindeswohl, überzögen das Prinzip aber total. „Die beiden Schwestern wollen doch nur zusammen sein.“

Brennecke ist zudem der Ansicht, das entscheidende Gesetzestexte in diesem Verfahren ignoriert würden. In Deutschland ist im vergangenen Jahr ein neues Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen verabschiedet worden. Dadurch sollen unter anderem Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der Erziehungshilfe leben, sowie deren Familien mehr Gehör erhalten und „darin unterstützt werden, ihre Rechte wahrzunehmen“– so steht es in dem Gesetz. Laut dem Flüchtlingsrat Hamburg sei es ohnehin üblich, dass eine Privatvormundschaft gesetzlich Vorrang vor einer Amtsvormundschaft habe.

Unverständliches Vorgehen der Behörde

Auch in Hamburg sollten die Behörden bei minderjährigen Geflüchteten eigentlich anders vorgehen als im Fall von Habiba. Wenn Kinder und Jugendliche ankommen, bringt der,,Fachdienst Flüchtlinge“, der dem Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) unterstellt ist, sie in einer Einrichtung unter und prüft dann, ob die Betroffenen auf andere Kommunen verteilt werden sollten. Anschließend wird über die weitere Unterbringung entschieden.

Das Familiengericht entscheidet wiederum über die Vormundschaft. Die Kinder und Jugendlichen werden dabei auch gefragt, ob in Deutschland Verwandte von ihnen leben, die die Vormundschaft übernehmen wollen. Wenn dies nicht der Fall ist, wird ein Amtsvormund eingesetzt.

Habiba berichtet, dass sie mehrfach die Adresse ihrer Verwandten genannt habe, aber nicht zu ihrer Familie gebracht wurde. Ob der KJND und das Familiengericht diesen Hinweis nicht prüften oder sich gegen die Familienzusammenführung entschieden, lässt sich ohne eine Antwort der Sozialbehörde nicht sagen. Wäre Habiba jedoch damals nach Lüneburg gebracht und dort registriert worden, hätte sich die Residenzpflicht in Hamburg gar nicht ergeben.

Am Ende des Gesprächs sagt Habiba noch einmal die Worte, die sie in den letzten Monaten schon so oft wiederholt hat: „Ich möchte bei meiner Schwester wohnen, bitte.“

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