Die Gegner des RB Leipzig: Das Scheitern der Moral
Die Traditionalisten, die RB Leipzig hassen, lehnen nicht das kapitalistisch-feudalistische System ab, sondern denjenigen, der es auszuhebeln vermag.
Wenn man die Ablehnung des Fußballklubs RB Leipzig verstehen will oder gar den Hass darauf, muss man sich zunächst zwei grundlegende Gefühlsmuster klarmachen. Das sage ich nicht in der Absicht, die Gründe der Ablehnung alle zu verwerfen. Verkürzt gesagt, geht es um die Frage, wie der Profifußball strukturiert sein soll.
Mit geht es zunächst darum, den Diskussionsrahmen größer zu machen.
Das eine Grundlagengefühl ist die verbreitete, gern auch kitschige Sehnsucht nach einer alten und schöneren und reineren Welt. Häufig ist das auch Sehnsucht nach der eigenen Kindheit und Jugend. Ehrliche Grätschen, skurrile Vokuhilas und dieses Ding in der Nachspielzeit, Mensch. Diese Form von Nostalgie ist eine der Folien, auf denen das Fußballmagazin 11 Freunde funktioniert.
Die heile Welt hat es indes bekanntlich nirgends und auch im Fußball nie gegeben. Man war selbst jünger, und es gab RB Leipzig nicht, das ist alles.
Die zweite Grundlage der verbreiteten Ablehnung von RB ist die Verkürzung des Fußball-Stakeholders auf eine Subspezies, nämlich den organisierten, singenden, zu Auswärtsspielen reisenden Stehplatzfan, der seine Zeit, seine Gefühle und seine sozialen Kontakte weitgehend der Teilhabe an einem Fußballklub widmet.
Das Fußballunternehmen
Diese Minderheit gilt in einem konventionellen und häufig auch in ihrem eigenen Denken als „wahre“ Fans. Es gibt auch „Wahre Finnen“, das sind die dortigen Rechtspopulisten, und da sieht man die Problematik. Wo die einen „wahre“ sein wollen, sollen andere als „unwahre“ diskriminiert werden, also als minderwertig. Popelige Sitzplatzleute, Familienkulturbanausen, Menschen mit ästhetischem oder wissenschaftlichen Interesse oder gar Fernsehfußballjunkies. Besonders problematisch wird es, wenn die „wahr“ Liebenden autoritär verfügen wollen, dass die Liebe der anderen „unwahr“ und minderwertig sei, weil sie ja einem „Plastikklub“ gelte. (Während sie selbst eine wahre Aktiengesellschaft lieben.)
Selbstverständlich ist die Vorstellung von RB autoritär, ihre „Fans“ seien dafür da, das Team stets inbrünstig zu unterstützen und hätten ansonsten zu funktionieren. RB Leipzig ist aber kein Verein, der Entscheidungsteilhabe als konstituierend bezeichnet. Sondern ein Fußballunternehmen neuen Stils unter den Deckmantel eines Vereins, das den Spielraum der Deutschen Fußball Liga radikal ausnutzt. Generell kann der Spitzenfußball den Wunsch nach sozialer Partizipation im alten Stil nicht erfüllen und wohl auch nicht den nach ernsthafter Entscheidungspartizipation. Das bietet auch der SC Freiburg nicht.
Es gibt in Deutschland aber tausende Fußballvereine, in denen man Spieler ausbilden, Kuchen backen und überhaupt den Laden mit seinen Freunden schmeißen kann. Man kann auch seinen eigenen demokratischen Klub gründen, wie es Fans von Manchester United taten, nachdem „ihr“ Klub von einem Investor übernommen worden war. Das ist eine demokratische Antwort auf die kritisierten Verhältnisse.
Der Abstand zwischen 1. und 2. Liga
Auch der Spitzenfußball ist ein Markt, der in immer stärkere Abhängigkeit von globalisierten, ökonomischen Zusammenhängen gerät. Soeben sind zwei neue Fernsehverträge vereinbart worden. Was sie eint: Es gibt mehr Geld.
Das Ergebnis ist aber: Der Champions League-Vertrag wird den Abstand zwischen den Fußball-Weltkonzernen und dem Rest ihrer nationalen Liga weiter vergrößern. Der Vertrag für den deutschen Fußball könnte den Abstand zwischen 1. und 2. Liga weiter vergrößern.
Will sagen: Obwohl alle ihre Umsätze permanent ausbauen, wird das Oben/Unten zementiert und die Durchlässigkeit geringer. Das heißt: Stuttgart (Titel 2007) und Bremen (Titel 2004) werden nie mehr Meister. Köln oder Frankfurt spielen nie Champions League, Bochum und Duisburg kommen wohl nicht mehr zurück in die 1. Liga. Es gibt Aufsteigerklubs wie SC Freiburg, Mainz 05 und FC Augsburg, die es mit Innovation und schlanken Entscheiderstrukturen in die Top 20 geschafft haben. Aber die Einzigen, die es wirklich noch in die engere Spitze schaffen können, sind Klubs, die ihr Geld nicht nur „ordentlich“ verdienen, sondern einen weitreichenden Zuschuss von einem Investor bekommen.
Der Vorwurf lautet: ungerecht. Wettbewerbsverzerrung.
Stimmt. Aber die ganze Champions League ist eine Wettbewerbsverzerrung. Wer da 20-mal drin war wie die Bayern, hat eine Summe kassiert, die sich einer Milliarde Euro nähern dürfte. Seit fünf Jahren sind da nur noch die gleichen sechs deutschen Klubs drin.
Verständlicher Hass
Will sagen: Die Traditionalisten, die RB Leipzig hassen, lehnen nicht das kapitalistisch-feudalistische System ab, sondern denjenigen, der in der Lage ist, es mit Geld auszuhebeln. Im Gegensatz zu ihrem eigenen Klub, der auch mitmacht, so gut er kann. Als ausgegliederte Aktiengesellschaft, in Abhängigkeit von einem Speditionsmilliardär, von Banken oder von einem Vorschuss auf die Zukunft, der schon aufgefuttert ist.
Der Hass auf RB ist kein nobler und moralisch hochwertiger Hass. Aber ein verständlicher. Sie hassen, weil sie fürchten, dass der Fremde ihren Platz wegnimmt. Für jedes Wolfsburg, Hoffenheim und RB Leipzig fällt einer raus. Wenn demnächst durch den Druck des vielen englischen Fernsehgelds alle Fußballklubs in Deutschland für Investorenübernahmen geöffnet werden, dann wird nicht jeder, aber doch mancher betroffene Traditionsfan die beklagte Wettbewerbsverzerrung ruckzuck zur Herstellung von Chancengleichheit erklären.
Der große Irrtum besteht aber darin, dass RB „nur“ eine „Marketingmaschine“ von Red Bull sei. Es ist viel gefährlicher. RB ist eine Geschichtenmaschine.
Der Versuch, das emotionale und ästhetische Erlebnis beim Fußball abhängig zu machen von moralischer Bewertung der Produktionsbedingungen, muss doppelt scheitern. Erstens, weil innerhalb der globalen Geschäftsbedingungen des Spitzenfußballs nicht zwischen guten und bösen Fußballunternehmen zu trennen ist. Und zweitens, weil der Mensch nicht so funktioniert. Der kulturelle Wert des Spitzenfußballklubs besteht in den Geschichten, die er für den Einzelnen und das kollektive Bewusstsein seiner Stakeholder herzustellen in der Lage ist. „Als Treibmittel einer sozialen Kommunikation, die Identität stiftet“, wie der Freiburger Fußballphilosoph Ulrich Fuchs schreibt. Es ist eine Identität, die am Spieltag und auch im Alltag gelebt werden kann. Vor allem geht es auch um das Gefühl, Teil von etwas Erfolgreichem zu sein. „Endlich aus der empfundenen Zweitklassigkeit raus: als Lebensgefühl unbezahlbar“, sagt die sächsische Publizistin Antje Hermenau.
Die Fußballmaschine von Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz steht in Leipzig und einer vermutlich wachsenden Region für diese Identitätsstiftungen. Das Brillante und das Gefährliche besteht darin, dass im Kern die Red-Bull-„Werte“ erzählt werden, ohne konkret auf den Dosensprudel zu verweisen. Wenn RB einen Gegner aus dem Stadion fegt und dessen Schöpfer Ralf Rangnick danach sagt, er habe das Gefühl, „das Dach fliegt weg“, dann ist das Markenversprechen auf eine nie dagewesene Weise in die Wirklichkeit gewoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt