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„Die Geflüchteten können keinen Anwalt bezahlen“

Der Rechtsanwalt Paulo Dias kritisiert die geistige Brandstiftung im politischen Diskurs. Seine Mandanten seien die Leidtragenden dieser Entwicklung und könnten sich nicht wehren

Foto: privat

Paulo Dias, 38 ist Rechtsanwalt und hat sich auf Asylrecht spezialisiert. Seine Kanzlei ist in Hannover.

Interview Andrea Maestro

taz: Herr Dias, welche Auswirkungen hat es auf Geflüchtete, wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Asyldiskurs verschärft?

Paulo Dias: Menschen, die vor Bürgerkrieg, Folter und Verfolgung geflohen sind, sind sehr verängstigt – insbesondere Menschen aus Syrien. Wegen der Aussagen Seehofers haben sie Angst vor Abschiebungen. Sie wissen nicht, wie es in Deutschland für sie weitergeht.

Fühlen sie sich wehrlos?

Ja. Obwohl die Menschen einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz haben, also darauf, dass sie die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von einem Gericht überprüfen lassen können, ist das in der Praxis oft unmöglich. Denn die Menschen, die in Aufnahmeeinrichtungen leben, kriegen in der Regel nur ein Taschengeld, weil sie Essen und Trinken gestellt bekommen. Sie können davon aber keinen Anwalt bezahlen.

Woher kommt dann das Geld, das Ihnen Ihre Mandanten zahlen?

Einige haben Familie in Deutschland und bekommen das Geld so irgendwie zusammen. Alle anderen, die auf sich allein gestellt sind, kommen wahrscheinlich gar nicht zum Rechtsanwalt.

Aber es gibt doch Prozesskostenhilfe vom Staat.

Den Antrag dafür muss aber auch schon ein Rechtsanwalt begründen, damit das Gericht den Fall einschätzen kann. Man macht als Anwalt also eigentlich dieselbe Arbeit wie für eine Klage, weiß aber noch gar nicht, ob die Prozesskostenhilfe bewilligt wird oder nicht.

Also lohnt es sich für Anwälte nicht, das zu machen?

Genau. Es ist aber auch zeitlich gar nicht machbar, weil so viele Menschen gegen ihre Bescheide vorgehen wollen. Sinnvoll wäre eine Art Pflichtverteidiger für Geflüchtete. Denn die finanziellen Probleme gehen weiter.

Inwiefern?

Oftmals gibt es sprachliche Hürden – schon in der Prozessvorbereitung mit dem Anwalt. Dann ist die Frage, wer bezahlt den Dolmetscher. Das können die Geflüchteten meistens nicht. Sie bringen dann einen Verwandten mit, der etwas mehr Deutsch spricht. Das kann im Asylrecht fahrlässig sein, weil die Gefahr besteht, dass der professionelle Dolmetscher bei Gericht Details anders wiedergibt und der Mandant dann unglaubwürdig wirken kann.

Lohnt es sich trotzdem für die Geflüchteten, vor Gericht zu ziehen?

Ja, weil sie oft Recht bekommen. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat nachweislich über Jahre mit unqualifizierten Dolmetschern gearbeitet. Anfang des Jahres wurden mehr als 2.000 Dolmetscher entlassen, weil sie nicht einmal über ein C1-Sprachniveau in Deutsch verfügt haben. Außerdem mussten die Mitarbeiter pro Tag ein bestimmtes Pensum an Fällen abarbeiten. All das führte zu Fehlern.

Über die Parteigrenzen hinweg werden derzeit schnellere Abschiebungen gefordert. Was bedeutet das für Ihre Mandanten?

Für die schutzsuchenden Menschen ist es besonders belastend, wenn Bundesländer nachts abschieben und die Kinder aus dem Bett gerissen werden. Wenn die Polizei dort martialisch auftritt, kommt es zu psychischen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen. Das könnte man auch anders händeln. In Niedersachsen hat das lange funktioniert.

Die neueste Idee des Bundesinnenministers sind No-Name-Buchungen in Abschiebefliegern, damit jemand anderes abgeschoben werden kann, wenn der Gesuchte nicht auffindbar ist. Was halten Sie davon?

Das ist problematisch, weil die Fluggesellschaften wissen müssen, wen sie transportieren. Außerdem haben die Polizeigewerkschaften schon gesagt, dass sie nicht genug Personal haben, um dann den nächsten Geflüchteten aus einer Unterkunft zu holen. Gerade nachts weiß die Behörde auch nicht, ob noch ein Eilantrag bei Gericht abgewartet werden muss.

Seehofer will auch einführen, dass sich Geflüchtete abmelden müssen, wenn sie nachts nicht in der Unterkunft sind. In Niedersachsen wird das schon praktiziert. Ist das ein Problem?

Ja, weil die Personen praktisch überwacht werden. Das Beispiel zeigt den immer restriktiveren Umgang mit Geflüchteten. Und auch für Anwälte, die Geflüchtete vertreten, wird der Ton rauer. Wir haben eine Postkarte mit einer Morddrohung bekommen. Darauf sind zwei Galgen abgebildet und der Spruch: „Wir kriegen euch“. Die geistige Brandstiftung von Politikern ermutigt Menschen, solche Grenzen zu überschreiten.

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