Die Fashion Week verlässt Berlin: Das kulturelle Kapital schmilzt ab
Die Fashion Week verlässt Berlin in Richtung Frankfurt/Main. Damit geht auch ein Wirtschaftsfaktor. Die Hauptstadt muss sich etwas einfallen lassen.
G anz lapidar ging die Meldung am Montag um halb elf über den Ticker: „Die bislang in Berlin angesiedelte Messe Fashion Week zieht im Jahr 2021 nach Frankfurt um. Das gab der Veranstalter Premium Group am Montag bekannt.“ Wenig später meldete sich der Oberbürgermeister von Frankfurt, Peter Feldmann (SPD), der natürlich begeistert war, genauso wie der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Aus Berlin war nichts zu hören. Auch zwei Stunden später nicht. Anzunehmen, dass der Regierende Bürgermeister und die Senatskanzlei böse überrascht wurden.
Im Moment hagelt es nur so Absagen an Berlin. Die Kunstmesse ist weg, die Kunstsammler gehen weg. Und nun verliert die Stadt auch noch die Fashion Week. Etwas Neues wurde auch nicht an Land gezogen, und sei es nur die Automesse, die bekanntlich wiederum Frankfurt verlässt.
Mit diesem Weggang hängt selbstverständlich der aus Berlin zusammen. Frankfurt muss nach Ersatz für die Automesse suchen. Ob die Modemesse dafür taugt? Zwar wird die Bedeutung der Automobilindustrie für Deutschland regelmäßig überschätzt. Doch die Textilbranche, weltweit beim Umsatz der Autoindustrie weit überlegen, hat ihre eigenen Probleme. Deshalb war die 2007 gegründete Fashion Week, der es nie gelang, die ganz großen Modemarken nach Berlin zu holen, schon seit Längerem in der Krise. Aber mit Neonyt, der Plattform für Innovation und Nachhaltigkeit in der Mode, haben sie in diesem Zukunftsbereich durchaus einen Punkt gesetzt.
Der Modemarkt hat sich radikal verändert
Dass die Ursache beim speziellen Messestandort Berlin läge, trifft den Kern der Probleme nicht wirklich. Denn der Modemarkt hat sich insgesamt radikal verändert. Hier boomt der Onlinehandel, immer mehr Läden schließen, weswegen immer weniger Einkäufer zu den Messen kommen. Damit muss nun auch Frankfurt rechnen, wobei das Messewesen ganz allgemein schwächelt und selbst traditionsreiche Messestandorte wie etwa Basel für Kunst und Luxusuhren derzeit auf der Verliererstraße sind.
Trotzdem, das kulturelle Kapital der Hauptstadt schmilzt ab. Denn gleichgültig wie gut die Fashion Week lief, sie war ein Wirtschaftsfaktor. Ihre modebewussten und -interessierten Besucher ließen an zwei Terminen im Januar und im Juli 240 Millionen Euro in der Stadt. Sie werden den neuen und jungen Designern fehlen, die bislang vor allem in Berlin arbeiten und leben. Nicht nur finanziell, sondern auch – und wahrscheinlich sogar ganz besonders – intellektuell. Denn die Mode braucht ja ihre lebendige Vergegenwärtigung und den Diskurs genauso wie den institutionellen Rückhalt.
Und hier ist es nun wirklich bitter, dass ausgerechnet die in Berlin immer erfolgreicher auftretende Plattform Neonyt ursprünglich eine Frankfurter Erfindung ist – und nun auch wieder dorthin zurückgeht. Neonyt hätte ein Anker sein können für Berlin, um sich mit neuen ökologischen Formaten, analog dem Gallery Weekend des Kunstbetriebs, als Stadt der nachhaltigen Mode erfolgreich zu etablieren. Berlin wird sich echt was einfallen lassen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen