Die CDU und die AfD: Was heißt hier normal?
Jens Spahn schlägt vor, im Bundestag mit der AfD so umzugehen wie mit jeder anderen Oppositionspartei. Die CDU-Reaktion: Zuspruch, Kritik und Schweigen.

Er würde empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen „wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“, so sagte Spahn es in der Bild mit Bezug auf parlamentarische Abläufe und Verfahren. Den Posten des Bundestagsvizepräsidenten hat er dabei ausgenommen, den Vorsitz in parlamentarischen Ausschüssen nicht. Seitdem hat er in zahlreichen Interviews mal nachgelegt, mal abwiegelnd betont, dass er doch nur den aktuellen Zustand beschreibe oder als Schwuler um den Hass wisse, der von der AfD ausgehe. Es ist ein Vorgehen, das man von Spahn kennt. Es ist nicht das erste Mal, dass er versucht, seine Partei noch ein Stück weiter nach rechts zu verschieben.
Besonders erfolgreich war er beim Thema Migration. Erst landeten Positionen, die er und andere auf den Weg gebracht hatten, im Grundsatzprogramm der CDU, jetzt steht ein Teil davon im Koalitionsvertrag. Spahn ist auch für seine Kontakte zu illustren politischen Persönlichkeiten bekannt, um es vorsichtig zu formulieren. Er bewunderte den früheren österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, zelebrierte seine Freundschaft mit dem ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell, reiste zum Parteitag der Republikaner in die USA, betonte thematische Gemeinsamkeiten mit Donald Trump.
An Spahn kommt man nicht vorbei
Warum gerade jetzt der Vorstoß zur AfD? Gerade werden in Berlin politische Spitzenjobs vergeben, Spahn wird als möglicher Chef der Unionsfraktion oder als Wirtschaftsminister gehandelt. In solchen Zeiten erinnert mediale Präsenz daran: An dem kommt man nicht vorbei. Nur dürfte Friedrich Merz, der ohnehin angeschlagen in seine Kanzlerschaft geht, eine erneute AfD-Debatte nicht besonders goutieren.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Andreas Püttmann ist über Spahns Vorstoß entsetzt. Püttmann ist Politikwissenschaftler und Publizist, ein ausgewiesener Kenner der CDU – und dem liberalen Flügel der Partei zugeneigt. Fragt man ihn nach der Bedeutung von Spahns Einlassungen, zählt er am Telefon sofort auf: „Jens Spahn verharmlost eine rechtsradikale Partei und trägt so zu ihrer Normalisierung bei. Er verstärkt den falschen Eindruck, das seien entrechtete Leute, und bestätigt damit ihr Opfernarrativ. Außerdem belohnt er durch solche Konzessionen ihre Radikalisierung der letzten Jahre.“
Was Püttmann damit meint: Die AfD hatte keine Ausschussvorsitzenden, obwohl ihr grundsätzlich welche zustehen. Während früher die Ausschussmitglieder die Kandidat*innen der zuständigen Fraktionen für den Vorsitz einfach akzeptierten, setzten die demokratischen Fraktionen bei den AfD-Kandidat*innen 2021 Wahlen durch. Das Ergebnis: Die AfD-Abgeordneten fielen durch, die Posten blieben leer, die Arbeit übernahmen die Stellvertreter*innen.
Unterstützung für den Rechtskurs
Grund dafür waren auch die schlechten Erfahrungen in der Legislaturperiode zuvor, der ersten der AfD im Bundestag: Der Thüringer Stephan Brandner, für seine zahlreichen Störungen im Plenum bekannt, wurde unter anderem wegen antisemitischer Posts als Vorsitzender des Rechtsausschusses abgewählt. Dass die AfD keinen Anspruch auf den Posten hat, hat das Bundesverfassungsgericht später bestätigt. Seitdem hat sich die AfD noch mehr radikalisiert. Warum sollte man ihr nun also wieder Ausschussvorsitzende zugestehen?
Zahlreiche CDU-Politiker sind Spahn dennoch inzwischen öffentlich beigesprungen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Philipp Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern etwa, auch die Vizefraktionschefs Johann Wadephul und Mathias Middelberg. Man könne die Stärke der AfD nicht ignorieren, so wird meist argumentiert, und dass man die Partei sonst in ihrer Opferrolle bestärken würde. Außenpolitiker Wadephul schlug vor, man könne AfD-Politiker wählen, die in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen seien, und sie wieder abwählen, wenn sie ihre Posten als Ausschussvorsitzende missbrauchten.
Politikwissenschaftler Püttmann überzeugt das nicht. Die Opferrolle gehöre schlicht zum radikal rechten Standardprogramm, sagt er. Und der Stimmenanteil einer Partei dürfe doch nicht bestimmend sein: „Das sollten wir aus den 30er Jahren gelernt haben.“
Plan für die Zukunft
Thomas Biebricher sieht die unmittelbaren Folgen von Spahns Aussagen weniger dramatisch. Biebricher ist Politikprofessor an der Uni Frankfurt, seit Langem erforscht er die Krise des Konservatismus und dessen Abdriften nach rechts. Man könne durchaus darüber diskutieren, ob es sinnvoll sei, der AfD Ausschussvorsitze vorzuenthalten, sagt er.
Viel entscheidender sei, sagt Biebricher, dass Spahn mit seinen Äußerungen erneut eine Führungsposition in jenem Lager der Union für sich reklamiere, das sich mehr Flexibilität im Umgang mit der AfD wünsche. Spahn spüre das Unbehagen, das viele in der Partei mit der Brandmauer-Strategie hätten, weil diese langfristig kaum durchzuhalten und der Erfolg bislang auch begrenzt sei. „Er markiert die Differenz zur jetzigen Führung und steckt seine Positionen ab“, sagt Biebricher. Innerhalb der Partei werde durchaus wahrgenommen, dass er dafür Rückendeckung erhalte. „Spahn plant für die Zukunft.“
Auffällig still dagegen bleibt es auf der Gegenseite. Als Merz in einem Sommerinterview 2023 versuchte, die kommunale Ebene aus dem Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD herauszudefinieren, meldeten sich umgehend zahlreiche Kritiker*innen zu Wort. Viele von ihnen, etwa der ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz oder Yvonne Magwas, die Ex-Bundestagsvizepräsidentin, gehören inzwischen dem Parlament nicht mehr an, andere wollen noch etwas werden. Nach Spahns Bild-Interview herrschte auf dieser Seite der CDU weitgehend Funkstille.
Aus der Fraktion hat sich allein Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter klar positioniert. „Die AfD ist keine normale Partei im demokratischen Spektrum, sondern sie ist antidemokratisch, zumindest in Teilen rechtsextrem, und ihr Ziel ist es, die demokratische Grundordnung auszuhöhlen“, sagte Kiesewetter der taz. Deshalb solle man nicht zu ihrer Normalisierung beitragen. AfD-Politiker sollten nicht in sicherheitsrelevante Gremien wie das Parlamentarische Kontrollgremium gewählt werden, wo es um sensible Informationen gehe. Die AfD habe außerdem keinen Anspruch darauf, dass ihre Kandidaten in Ausschussvorsitze gewählt werden: „Es liegt in der Hand der demokratischen Parteien und Ausschussmitglieder, einen AfD-Vorsitz zu verhindern, was ich empfehlen würde.“
Radkte: Debatte ist überflüssig und schädlich
Ganz ähnlich sieht es auch Europaparlamentarierer Dennis Radkte, Vorsitzender des CDU-Sozialflügels CDA: „Ich finde diese ganze Debatte ebenso überflüssig wie schädlich.“ Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags zulasten der AfD nicht verletzt worden sei. In keinem einzelnen Fall. Es gebe also keine Pflicht, jemanden von der AfD in ein Amt zu wählen. „Und deshalb sollten wir das nicht tun. Punkt.“
Ihm selbst würde eher die Hand abfaulen, bevor er im Europaparlament für die AfD, Le Pen oder eine andere radikal rechte Partei stimmen würde. Es dürfe keine Debatte über eine Normalisierung der AfD geben, weil sie keine normale Partei sei. „An solchen Stellen entsteht der Eindruck, dass der CDU der Kompass völlig abhandengekommen ist“, sagt Radtke. „Als wären Menschen in der CDU offen dafür, die AfD zu normalisieren. Erst dieser Entschließungsantrag im Bundestag gemeinsam mit der AfD und jetzt das. Das schadet unserer Partei.“
Politikwissenschaftler Püttmann sagt über Spahn: „Als möglicher Fraktionschef sollte Jens Spahn eigentlich den Ball flach halten. Aber offensichtlich schätzt er den liberalen Flügel der CDU als so schwach ein, dass er darauf keine Rücksicht nehmen muss. Und natürlich geht es auch um die Zeit nach Merz.“
An der Spitze braucht Merz Loyalität
Biebricher, der Politikprofessor aus Frankfurt, vermutet, dass Merz Spahn nicht für den Fraktionsvorsitz vorschlagen werde. „Das wäre wirklich nicht klug, mehr noch, es wäre gefährlich.“ Zwei Gründe führt Biebricher dafür an. Zum einen seien da eben Spahns Lockerungsübungen Richtung AfD. „Als Fraktionschef muss er Mehrheiten organisieren – auf der einen oder anderen Seite.“
Zum Zweiten könne Spahn als Fraktionschef seine Machtbasis deutlich ausweiten. „Für Spahn wäre der Fraktionsvorsitz ein super Sprungbrett für in vier Jahren“ – wenn es also um Merz’ Nachfolge gehen könnte. Und darum, welchen Kurs die Partei dann einschlagen werde. „Es wäre klüger, ihn in die Kabinettsdisziplin einzubinden.“
An der Fraktionsspitze braucht Merz Loyalität, auch so mancher in der CDU hält das nicht für Spahns Kernkompetenz. Manche meinen sogar: Wenn Merz strauchelt, könnte Spahn das für die eigene Karriere nutzen.
Biebricher traut Spahn durchaus zu, die CDU in Richtung AfD zu öffnen. „Jens Spahn gehört zu den gefährlichsten Personen im CDU-Orbit“, so hat er es der taz bereits Anfang des Jahres gesagt. Und auch: „Von Jens Spahn kann man sich vorstellen, dass er bereit wäre, die Christdemokratie in etwas zu transformieren, was nicht mehr Christdemokratie ist.“ Daran gebe es nichts zu revidieren, sagt Biebricher nun am Telefon.
Püttmann meint: „Das ist bei diesem Flügel wie bei den Konservativen in der Weimarer Republik: Damals wie heute sind für manche ‚Bürgerliche‘ linke Parteien das prioritäre Feindbild. Deshalb sind sie im Zweifelsfall unzuverlässig.“
Das Gespräch in der Presselounge am Mittwochvormittag wird im Hintergrund geführt, es darf nur nach Erlaubnis zitiert werden. Spahns Antworten zur AfD gibt die Pressestelle nicht frei. Am Abend sitzt er in der Talkshow von Markus Lanz, wieder einmal. Von Normalisierung der AfD will er nichts wissen. Von einer „normalen Partei“ habe er doch gar nicht gesprochen, sagt Spahn und lächelt. Es ist das Muster, das man kennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert