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Die Berliner SPD und das VolksbegehrenKampf gegen die Mieterschaft

In Berlin herrscht seit Ende des Weltkriegs Wohnungsnot. Vor allem die SPD ist dafür verantwortlich. Warum Vergesellschaftung sinnvoll ist.

Ein Bild aus alten Tagen: bekanntes Graffiti an einer Fassade in Kreuzberg, 1988 Foto: Peter Homann

Die Welt ist ungerecht. Monat für Monat wechseln in Berlin rund 1,3 Milliarden Euro ihre Besitzer, für deren Überweisungen das Stichwort „Miete“ lautet. 83 Prozent der Bevölkerung dieser Stadt bezahlen brav dafür, dass sie einen weiteren Monat in Räumen leben dürfen, die nicht ihnen gehören.

Im Jahr summiert sich dieser Vermögenstransfer von Mietern zu Grundeigentümern auf gut 16 Milliarden Euro – eine stetige Enteignung, die beständig größere Ausmaße annimmt. Laut dem Mikrozensus 2018 müssen Mieter in Berlin im Schnitt 28 Prozent ihrer Haushaltsnettoeinkommen für ihre Bruttokaltmiete aufbringen, 1975 waren es lediglich 13 Prozent.

Auf der anderen Seite sind die meisten Immobilieneigentümer in den vergangenen Jahren der Wohnungsknappheit und Mietenexplosion in Berlin einem sanguinischen Spekulationsrausch erlegen. Sogenannte Investoren aus aller Welt haben zuletzt Fantasiepreise für Berliner Liegenschaften bezahlt, zu deren Finanzierung sie die Mieter nun nach bestem Vermögen auszupressen versuchen.

Von einer kurzen Phase in den 1990er Jahren abgesehen, herrschte in Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg Wohnungsnot: In Ostberlin fehlten beständig Wohnungen, im Westteil stets günstige Mietwohnungen. Die rasante Zuwanderung der vergangenen Jahre und die unaufhaltsame Individualisierung – sprich: Versingelung – haben nun dazu geführt, dass die Wohnungsnot nicht gekannte Ausmaße angenommen hat. Und die Mieten explodiert sind.

Allen voran die SPD

Es gibt Verantwortliche dafür, dass es so weit kommen konnte. Allen voran sind das Protagonisten einer Partei, die das schöne Wort „sozial“ in ihrem Namen führt: der SPD. Die Genossen und Genossinnen sitzen seit 1989 in jeder Berliner Landesregierung; seit 1996 im Abgeordnetenhaus dabei ist zum Beispiel der Noch-Regierende Bürgermeister Michael Müller. Nach dem Beitritt der DDR gab es in Berlin rund 600.000 staatliche Wohnungen. Mit wechselnden Koalitionspartnern schmolz die SPD diesen Bestand bis auf 270.000 Einheiten ab.

Diesem systematischen Verrat an der Mieterschaft tritt seit dreieinhalb Jahren die Bürgerinitiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen entgegen. Das bunte Mieterbündnis versucht einer besonders widerwärtigen Erscheinung des Berliner Immobilienbooms den Garaus zu bereiten: den größeren privaten, besonders den börsennotierten Wohnungsgesellschaften, die für den shareholder value ihrer Aktionäre ihre Mieter melken. Unter ihnen ist die Deutsche Wohnen mit gut 110.000 Wohnungen in der Stadt die größte.

Das Unternehmen nahm im Jahr 2020 in Berlin mehr als eine halbe Milliarde Euro an Mieten ein; ihr Gewinn lag vor allem dank der Wertsteigerung ihrer Wohnungsbestände bei mehr als anderthalb Milliarden Euro. Die Bezüge des Vorstandsvorsitzenden Michael Zahn beliefen sich – die Welt ist ungerecht – im vergangenen Jahr auf 3,1 Millionen Euro. Das ist das 75-Fache des Berliner Durchschnittseinkommens.

Es lohnt sich, kurz in Erinnerung zu rufen, wie es so weit kommen konnte

Es lohnt sich, kurz in Erinnerung zu rufen, wie es so weit kommen konnte, wie die Deutsche Wohnen in Berlin so groß werden konnte: Ende Mai 2004 stimmte der damalige SPD-PDS-Senat einer Vorlage von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zu, nach der das Land Berlin die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mit ihren 65.700 Wohn- und Gewerbeeinheiten für 405 Millionen Euro an mehrere US-Firmen verkaufte.

Heute mehr als fünfmal so teuer

Obwohl die Spekulanten auch 1,56 Milliarden Euro Schulden der städtischen Gesellschaft übernahmen, waren die Immobilien absurd billig. Für gut 30.000 Euro verscherbelte der rot-rote Senat eine durchschnittliche Zwei-Zimmer-Wohnung, die heute mit rund 165.000 Euro mehr als fünfmal so teuer ist. Die Käufer, ein Konsortium von US-Heuschrecken, brachten die GSW an die Börse. 2013 kaufte die ursprünglich von der Deutschen Bank gegründete Deutsche Wohnen fast alle ihre Aktien.

Für die an Untreue grenzende Privatisierung der GSW votierten unter anderen der Sozialdemokrat Michael Müller, damals Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Die Linke, die dem Deal zähneknirschend ebenfalls zustimmte, um die Koalition mit der SPD nicht platzen zu lassen, hat inzwischen ihren Fehler erkannt und übt tätige Reue, indem sie das Volksbegehren unterstützt.

Michael Müller führt hingegen seinen Kampf gegen die Berliner Mieterschaft weiter. Es reicht ihm offensichtlich nicht, Zehntausende GSW-Mieter Finanzinvestoren zur Bereicherung vorgeworfen zu haben. Er will auch dafür sorgen, dass diese der Deutschen Wohnen dauerhaft ausgeliefert bleiben. Ekelhaft anzusehen.

Die SPD hat seit hoffnungsvollen Überlegungen von Hans-Jochen Vogel als Münchner Oberbürgermeister in den 1970er Jahren keine Konzepte einer sozialen Wohnungspolitik entwickelt und umgesetzt, die diesen Namen verdienen würden. Davon ungerührt möchte die SPD in der Mieterstadt Berlin am 26. September wieder zur stärksten Partei gewählt und als Dauerregierungspartei bestätigt werden.

Deutlich wirtschaftsfreundlicher Kurs

Ihre Spitzenkandidatin, die ehemals promovierte Politologin Franziska Giffey, will einen deutlich wirtschaftsfreundlicheren Kurs als Müller einschlagen und – wie jüngste Aussagen Giffeys vermuten lassen – zusammen mit der CDU regieren. Das Volksbegehren lehnt die derzeitige Bundesfamilienministerin mit dem absurden Argument ab, dass mit ihm keine neuen Wohnungen geschafft würden – was nie jemand behauptet hat.

Doch die rund 175.000 gültigen Unterschriften, die bis zum 25. Juni für einen Volksentscheid gesammelt werden müssen, werden ohne große Mühe zusammenkommen. Inzwischen sind 1.700 Aktivistinnen und Aktivisten in der Kampagne organisiert. Zum Referendum wird es dann am 26. September zusammen mit der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl kommen.

Dann eine Mehrheit der Stimmen zu erreichen wird ein harter Kampf. Die Grundeigentümer und ihre politischen Vertreter von FDP, CDU und SPD, verstärkt durch ihre Medienpaladine von Springer über den Tagesspiegel bis hin zum RBB, werden eine Propagandalawine lostreten. Sie werden insinuieren, dass die Enteignung der Deutschen Wohnen und anderer Privat-Immobilienkonzerne nur der erste Schritt sein würde, eine Art Vorhof zur Hölle, in der jeder glückliche Reihenhausbesitzer um seinen Lebenstraum zittern müsste. Die DDR wird als Schreckensbild nicht ausreichen, wie wäre es mit Nordkorea?

Es gibt gute Gründe, menschenwürdiges Wohnen als Teil der Daseinsfürsorge zu begreifen und zu behandeln, die der tendenziell asozialen Begierde, sich zu bereichern, entzogen werden sollte. 1981 gelang es Tausenden von jungen Hausbesetzerinnen und Hausbesetzern in Westberlin, nicht nur das Ende der SPD-Kahlschlagsanierung zu erzwingen, sondern auch ein paar Dutzend Häuser dem Zyklus der Spekulation zu entreißen und in das Eigentum von Genossenschaften oder Bewohnervereinen zu überführen. In diesen Häuser beträgt die Miete heute weniger als 5 Euro pro Quadratmeter im Monat.

Berlin eine Mieterstadt wie beispielsweise Wien?

Aber die menschlichen Kosten des „Häuserkampfs“ waren hoch. Der 19-jährige Besetzer Klaus-Jürgen Rattey kam 1981 bei einem Polizeieinsatz zu Tode; viele wurden bei Straßenschlachten schwer verletzt, andere landeten im Knast. Die Ostberliner Hausbesetzer des Jahres 1990 wiederum konnten bestenfalls Mietverträge mit überschaubarer Laufzeit erstreiten.

Im Vergleich zu diesen Kämpfen lässt sich im September beim Referendum mit einem kleinen Kreuz auf einem Stimmzettel wesentlich einfacher wesentlich mehr erreichen.

Es wird interessant sein zu sehen, ob die Berliner Mieterinnen und Mieter, die mehr als vier Fünftel der Bevölkerung ausmachen, sich dahingehend manipulieren lassen, bei dem Referendum gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen. Oder ob sie dafür votieren, aus Berlin eine Mieterstadt wie beispielsweise Wien zu machen.

Viele Grüne, Linke, die großen Gewerkschaften, Mieterorganisationen sowieso, unterstützen den Volksentscheid. Sein Ausgang wird die Politik und Stimmung in der Stadt für die nächsten Jahre wesentlich bestimmen. Das Ergebnis wird wohl knapp werden, aber – nicht zu vergessen – beim Referendum zum Tempelhofer Feld hat es auch geklappt. Und das war ziemlich gut so.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die spätere Bausenatorin Katrin Lompscher hätte 2004 im Abgeordnetenhaus für den Verkauf der GSW gestimmt. Lompscher war damals aber Stadträtin in Lichtenberg.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die Zahlung von Miete mit Enteignung gleichzusetzen geht doch viel zu weit. Niemand ist gezwungen, in Berlin Miete zu zahlen.

    Ja, der Verkauf der GSW war möglicherweise ein Fehler, nur sollte man deshalb nicht gleich einen weiteren Fehler machen. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Steuerzahler Unsummen für eine Enteignung zahlen sollte.

    Zumal das Land Berlin (ganz im Gegensatz zu Wien) selbst nicht genug Wohnungen baut.

  • Dementsprechend hat z.B. der Berliner Mieterverein fast 180.000 zahlende Mitglieder (2018 laut Wikipedia), aber dien SPD nur 19.500 (Stand Jan.2021).

    Ein Indiz dafür, dass die Menschen bei einem authentisch sozialdemokratischen Anliegen wie diesem dem Mieterverein zehnmal mehr vertrauen als der Partei der ehemaligen Dr. Giffey. Andere Vertretungen wie die Berliner Mietergemeinschaft kommen noch hinzu.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Probleme sind schon gut beschrieben, aber letztlich ist das Klientelpolitik für die die da sind. Das Grundproblem ist ein Mangel an Wohnraum, das ermöglicht es die Preise hochzutreiben weil man findet immer jemanden der zahlt (Wobei es ein Mangel in begehrter Lage ist, man findet immer noch für jeden Geldbeutel Wohnungen in Berlin).



    Dieses Problem geht diese Lösung aber gar nicht an, vielmehr verschärft sie es sogar weil die Enteignung soll sich ja für die Enteigneten nicht super lohnen, das führt aber dazu das neue Wohnungen eher weniger gebaut werden.



    Die Hoffnung das die staatliche Wohnungsgesellschaft dann groß Wohnungen baut halte ich für problematisch.



    Den die Mieten sollen ja dann niedrig sein und wenn die derzeitigen Betreiber wirklich so schlimm sind ist davon auszugehen, dass da einiges an Wartung und Sanierungskosten anrollt. Noch dazu werden in den nächsten Jahren bestimmt wieder Umweltvorschriften auch für bestehende Wohnungen verschärft d.h. da kommen neue Kosten. Jede Mieterhöhung selbst um Inflationsausgleich zu schaffen wird zu einem Kampf werden zwischen Beamten und Aktvisiten, Leute die ihre Miete nicht zahlen rausschmeißen ebenso. Die Wohnungen werden wenn überhaupt nur einen sehr kleinen Gewinn einbringen eher einen Verlust.



    D.h. man hat Politik gemacht auf Kosten der alteingesessenen zu Kosten aller die Neu hinzuziehen, denn die dürfen sich jetzt eine Wohnung mieten und die Klo-bürste für 1000€ extra (wird aber nur zusammen vermietet) vom Rest-freien Markt. Jeder der eine staatliche Wohnung hat wird sicherstellen das er sie behält bzw. im Familien und Freundeskreis hält.

    Warum nicht das Geld für die Enteignung nehmen und staatlich Wohnungen bauen?

    • 0G
      06792 (Profil gelöscht)
      @83379 (Profil gelöscht):

      "Warum nicht das Geld für die Enteignung nehmen und staatlich Wohnungen bauen?"

      Genau diese Frage habe ich einer Person gestellt die für die Enteignung hier auf dem Kinderspielplatz (!) Unterschriften gesammelt hat.

      Die Antwort war: Wohnungen kann man doch zusätzlich noch bauen!

      Ich habe dann freundlich darauf hingewiesen das man Geld ja nur einmal ausgeben kann.

      Dann wurde mir geantwortet das könnte man doch alles mit den Mieten bezahlen.

      [...]

      Mein Fazit: Dieses Volksbegehren wird leider mit abstrusen Argumenten verkauft. Eigentlich sind nur die bösen Kapitalisten Schuld, wenn man denen alles wegnimmt wird alles prima.

  • Ja stimmt - Wien ist eine "mieterfreundliche" Stadt und auch ansonsten wird die Gemeinde Wien überdurchschnittlich gut verwaltet. Aber bitte - das lässt sich nicht so einfach "kopieren", denn der überdurchschnittlich hohe Anteil von Wohnungen in Besitz der Kommune ist ein Ergebnis des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit. Nicht vergessen: Wien war die erste Millionenstadt, in der Sozialisten nach freien Wahlen die Stadtregierung übernommen haben. Aber damit es dazu kommen konnte, bedurfte es einer konsequent reformistisch, sozialistisch orientierten Partei und entsprechenden Mehrheiten im Gemeinderat (in Wien damals auch Landtag). Guter Überblick zum Roten Wien auf wikipedia: (de.wikipedia.org/wiki/Rotes_Wien) und zum Sozialen Wohnungsbau in Wien heute hier: www.wienerwohnen.at/mieterin.html

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Sehr gute Analyse. Die geschilderten Fehlentscheidungen der Vergangenheit holen uns jetzt ein und es ist wichtig die Verantwortlichen zu benennen.

    Die "Lösung" mit Enteignungen ist trotzdem der falsche Weg. Falls es dazu kommt wird im besten Fall der gesamte Wohnungsmarkt auf dem aktuellen Stand eingefroren. Das ist für einige Jahre schön für alle aktuellen Mieter. Aber wer jemals wieder eine größere oder kleinere Wohnung braucht (oder neu nach Berlin zieht), wird einfach nichts mehr finden da der Neubau und Sanierungen komplett zum Stillstand kommen werden.

    Im Blutrausch des Klassenkampfes wird das Problem einfach vom Tisch gewischt obwohl die Experten ziemlich deutlich davor warnen. (Aber natürlich sind die Experten alle Teil der wirtschaftsfreundlichen Elite die niemals an Mieter denkt. Klar.)

    Es gibt gute Vorbilder (Wien wird ja oft genannt) die ganz brauchbare Strukturen für den sozialen Wohnungsbau geschaffen haben. Die sollte man einfach kopieren.

    • @06792 (Profil gelöscht):

      Ich sehe diese Diskussion etwas anders: Man muss auch nicht in Berlin wohnen! Wer es doch will, muss eben mit den örtlichen Gegebenheiten und Preisen zurecht kommen. Den Steuerzahler im Rahmen einer Enteignung dafür bundesweit in die Pflicht zu nehmen halte ich für sehr verwegen und als Nicht Berliner auch für schlicht unangemessen.