Die Benin Dialogue Group: Ein postkolonialer Lernprozess
2010 wurde die Benin Dialogue Group gegründet, die der Rückgabe der geraubten Kunst den Weg geebnet hat.
Warum es deutschen und anderen europäischen Museen und Kulturverwaltungen so schwer fällt, Raub als Raub und Hehlerei als illegales Verscherbeln von Gestohlenem zu erkennen, wenn der Tatort in Gebieten liegt, die man einst meinte kolonisieren, also ausbeuten, neu ordnen und bei Gegenwehr mit Strafexpeditionen überziehen zu dürfen, bleibt rätselhaft. Die 2010 gegründete Benin Dialogue Group (BDG) ist ein Medium dieses Lernprozesses, der, wie jeder Lernprozess, nicht einseitig gewesen ist.
Denn auch die Gegenseite musste ja erst einmal zu sich kommen. So hat Nigeria vor der Gründung der BDG nie öffentlich die Rückgabe der Benin-Bronzen gefordert und bis heute keinen Antrag beim Unesco-Ausschuss für die Rückgabe unrechtmäßig erworbener Kulturgüter gestellt – obwohl das Land diesen 1978 mitgegründet und das Parlament 2010 einstimmig beschlossen hat: Das 1897 von britischen Soldaten geraubte und außer Landes geschaffte Kulturgut muss zurück.
Enttäuscht und über die Jahre zunehmend verzweifelt über diese Blockade war der bedeutende nigerianische Jurist Folarin Shyllon, ein Geburtsvater und langjähriges Mitglied jenes Ausschusses. Seine Appelle, doch endlich die Sache dort vorzutragen, blieben ungehört. Am 17. Januar starb er, 80 Jahre alt.
Gegründet wurde die BDG von Nath Mayo Adediran, dem Direktor der Museumsabteilung der National Commission for Museums and Monuments (NCMM) in Lagos, und Barbara Plankensteiner, heute Direktorin des Hamburger Museums am Rothenbaum (MARKK) und damals Chefkuratorin am Wiener Weltmuseum. Die dortige Ausstellung „Benin – Könige und Rituale“ hatte 2007 statt Restitutionsforderungen ein freudiges Dankeschön von Kultur- und Tourismusminister Prinz Adetokunbo Kayode ausgelöst: Das sei ja mal wunderbare Werbung für Nigeria. Mehr als an einer Rückgabe sei die Regierung an wissenschaftlicher Zusammenarbeit interessiert. Immerhin meldete das Königshaus von Edo Interesse an einzelnen Stücken an. Aber der Staat als Betreiber von Museen verhandelt nicht mit Familien.
Deshalb begann die BDG zu arbeiten. Und immerhin: Sie brachte die Akteur*innen zusammen. Wobei offenbar anfangs streng darauf geachtet wurde, dass die europäische Seite keine staatlichen Repräsentant*innen entsandte und die Museen nicht durch ihre Direktor*innen vertreten waren, die auf Entscheidungen hätten drängen können, während es für Nigeria ganz selbstverständlich Chefsache war: der Kulturminister, jemand aus der Landesregierung von Edo und fürs Königshaus nahm der Kronprinz teil. Im Laufe der Zeit mauserte sich die BDG aber zu einem Klub, der redlich bemüht ist, das koloniale Denken zu verlernen – also auf der einen Seite verinnerlichte Unterwürfigkeit abzulegen, und auf der anderen, zugefügtes Unrecht, Leiden und Schmerzen anzuerkennen.
2013 hatte die Gruppe noch angeregt, dass man eine Datenbank aufbauen könne, dass afrikanische Kunsthistoriker*innen Nachhilfe bei europäischen Museen bekommen sollten und die Museumsbehörde in Nigeria unter anderem für „einen verstärkten Austausch von Wanderausstellungen für Kunstobjekte aus Benin“ sorgen sollte – für das also, was Museen in Europa einst von ehrlichen Hamburger Hehlern erworben hatten. Das Wort Raubkunst wurde strengstens vermieden.
Seither sind Forderungen und Einsicht gewaltig gewachsen. Bis 2018 war nur davon die Rede, dass den Nigerianer*innen ihr nationales Kulturgut vielleicht dauerhaft ausgeliehen werden könnte. Im Jahr darauf formulierte die BDG „die Vision eines neuen Königlichen Museums“, „um in Benin City die bedeutendsten historischen Artefakte Benins wieder zu vereinen“ – und erkannte an, dass 1897 kein Königshausräumungsverkauf stattgefunden hatte, sondern eine Plünderung.
Und in diesem Frühjahr endlich hieß es dann: Ja zur Rückgabe. Oder Beinahe-Ja. Die europäischen BDG-Mitglieder würden „versuchen, die Rückkehr und Resititutionsfragen im Rahmen ihrer jeweiligen Leitungsstrukturen“ zu klären. Aber bitte nicht zu flott: Es gebe ja so viele unterschiedliche Gesetze. Da könne man nichts Verbindliches sagen. Das ist ein Fortschritt. Denn da hätte auch stehen können, dass die Eigentumsansprüche nach den bürgerlichen Gesetzbüchern Europas längst verjährt sind. Dass es eine Frage der Moral ist, hat Europa also kapiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen