Die Auswirkungen des Terrors: Manchester United?
Auch Tage nach dem Attentat zeigen die Mancunier ihre Anteilnahme. Doch die Zahl islamfeindlicher Hassverbrechen hat sich verdoppelt.
Eigentlich soll das Leben in Manchester und dem Rest des Landes nach dem Attentat weitergehen. Immerhin ist die nationale Sicherheitsstufe seit Samstag wieder gesenkt worden. Auch die Armee verschwindet langsam wieder von den Straßen. Schon am Mittwoch wurden Blumen und Botschaften vom Albert-Platz zum benachbarten St.-Ann-Platz verlagert, um Platz für eine Sportveranstaltung zu machen. Auch das Zehn-Kilometer-Rennen ging wie geplant von der Bühne.
Doch viele Mancunier beschäftigt die Attacke vom vergangenen Montag weiterhin. Die Feier zum Europa-League-Sieg der Fußballmannschaft Manchester United wurde abgesagt. Stattdessen gab es am Sonntag eine Andacht in der Kathedrale.
Nicht nur Erwachsene, auch Kinder strömen noch immer zum St.-Ann-Platz, um öffentlich zu trauern und ihr Mitgefühl zu zeigen. Eryn Wroe ist fünf Jahre alt und kam mit Mutter Jules hier her. Eryn weiß, dass sich am Montag in Manchester etwas Schlimmes in der Arena zugetragen hat und auch Kinder umgekommen sind, eines fast so alt wie sie. Eryn wollte nun unbedingt ein Bild für das Kind malen, mit extra viel Pink!
Doppelt so viele Hassverbrechen
Am Freitag, dem letzten Tag vor Ramadan, versammelten sich hier auch Mitglieder der muslimischen Gemeinschaften. Sie verteilten Essen und Getränke, während verschiedene Repräsentanten kurze Reden und ein gemeinsames Gebet abhielten. Gulnar Bano Khan Qadri, 48, kam sogar mit Union-Jack-Hidschab. „Ausdruck, wie ich mich fühle“, erklärt sie. „Ich bin geborene Mancunerin und Britin, ich gebe alles für diese Stadt.“ Vielen Muslimen ist es wichtig, ihre Solidarität und Verbundenheit zu zeigen. Seit letztem Montag hat sich die Zahl islamfeindlicher Hassverbrechen in Manchester verdoppelt, so verlautet eine Statistik.
Nadeem Akhtar, 54, ist Mitglied der Didsbury Moschee, wo einst der Attentäter Salman Abedi und dessen Familie beteten. Mitglieder der Gemeinde und andere hatten Abedi wiederholt den Behörden gemeldet. Diese taten nicht genug, um ihn sicherzustellen.
Habiba Khan, 18 Jahre
Akhtar fragt sich, was er selbst noch hätte tun können. Er fühle sich zum ersten Mal in seinem Leben bedrängt und verunsichert, obwohl er hier geboren wurde und eine nichtmuslimische, englische Frau geheiratet hat, sagt er. Er habe das Gefühl, dass erwartet werde, dass sich Menschen wie er für das Attentat rechtfertigten. Die Tochter seines Freunds sei beim Verlassen einer Madrassa diese Woche islamfeindlich angeschrien worden. Obwohl sie zurückschrie und die Rassisten wegliefen, wird die Moschee in Didsbury polizeilich geschützt, anderswo versuchten Unbekannte eine Moschee in Brand zu setzen.
500 Meter entfernt stehen die Cocktailbars, Pubs, Nagel- und Schönheitsstudios des wohlhabenden Viertels. Peter und Jill, beide 52, sie wollen ihren Nachnamen nicht nennen, sitzen auf der Gartenterrasse einer Bar und genießen Sommercocktails. Der Täter am Montag sei nicht anders, als der rechtsextreme Mörder der Politikerin Jo Cox von letztem Jahr, beide seien falsch informierte Extremisten. Peter glaubt, dass die meisten Leute unten in der Moschee vollkommen in Ordnung seien.
Alle lieben Labour
Inzwischen reden Politiker direkt über präventive Maßnahmen. Peter glaubt, man dürfe die Hauptthemen der Wahl aber nicht aus dem Auge verlieren. Ihm gehe es auch um das Gesundheitssystem, die Altersversorgung und den Brexit, dessen Gegner er sei. Er hofft, dass die EU-freundlichen Liberaldemokraten in seinem Viertel eine Chance haben. Es wäre ein rarer gelber Fleck in einer traditionell roten Labour-Stadt.
In Rusholme, dem Zentrum muslimischen Lebens in Manchester mit seinen Shisha-Bars, Restaurants und kurdischen Barbieren, gibt es für Hussain Shahid, 18, nur Jeremy Corbyn. An einer Straßenecke preist er im Gespräch mit seinem Freund die Ansichten des Labour-Parteiführers, dass Großbritannien sich seine Auslandspolitik bewusst machen müsse, um Terrorattacken vorzubeugen.
Auch in der Gelato Bar gegenüber ist sich eine Gruppe muslimischer junger Frauen einig, dass sie Labour wählen wollen, schon allein deshalb, weil Labour die Studiengebühren abschaffen will. Doch auch hier fällt das Gespräch wieder auf die Terrorattacke. Habiba Khan, 18, im dunkelblauen Sommerkleid mit weißen Baumwollhidschab, erwähnt, dass sie Leute von einem Fahrrad aus als Terroristin beschimpften. „Was hat dieser Abgedrehte mit unserer Religion zu tun“?, fragt sie energisch. „Sie sehen meinen Hidschab und vergessen, dass ich Mensch bin!“ Dies hätten die rechten Medien zu verantworten, glaubt sie. In ihrem College sei es anders. „Wir haben alle verschiedene Hintergründe und sind doch alle vereint“, erzählt ihre britisch-somalische Freundin. Genau das war auch das Motto bei der Andachtsfeier letzten Dienstag, ein Wortspiel auf den Fußballverein Manchester United – Manchester vereint.
In der Nähe des Albert-Platzes verbildlichen dieses Motto auch drei junge Frauen. Shauna Jein, 21, Rose Brocklesby, 22 und ihre Freundin Aliyah Henry, 21, sitzen hier auf einer Bank in der Sonne. Aliyah, im roten Kleid mit elegant farblich abgestimmtem rotem Hidschab mit Blumenmuster, ist die einzige Muslimin unter ihnen. „Wir haben Aliyah gerade zum Essen eingeladen, weil jetzt Ramadan beginnt“, sagen Shauna und Rose.
Ein neues, unbekanntes Manchester
Sie alle verstehen nicht, wie jemand auf die Idee einer Kollektivschuld kommen kann und Frauen mit Hidschab mit Terroristen gleichsetzt. Auch Aliyah glaubt diese Woche von jemandem aus einem Auto heraus beschimpft worden zu sein. „Ich hatte das gar nicht sofort wahrgenommen“, schildert sie. „Das Manchester, das wir kennen, ist nicht so“, erzählen Shauna und Rose.
Und doch gibt es Leute, die aus diesem vereinten Manchester herausfallen. Michael, 41, sitzt an einer anderen Straßenecke in der Nähe des Piccadilly-Bahnhofs auf dem Boden. Vor ihm ein Kaffeebecher mit Münzen. Seit sechs Monaten ist er obdachlos, seinen Nachnamen will er nicht sagen. Nach dem Angriff am Montag wurde bekannt, dass ein obdachloser Mann einem sterbenden Opfer Beistand geleistet hatte. „Das zeigt den Leuten, dass auch wir echte Menschen sind.“
Michael hoffte, dass Leute ihn jetzt mehr wahrnehmen, aber sie gehen wie immer an ihm vorbei. Ihn tröstet die bevorstehende Fußball-WM. „Ich werde mir so viele Spiele ansehen, wie ich kann, dann wird es mir besser gehen.“ Am Ende schafft der Fußball, was der Politik nicht gelingt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja