Die Angst vor Rechts: Das hässliche Land
Ja, in kaum einem Land wurden Geflüchtete so herzlich empfangen wie hier. Aber es ist noch da, das rassistische Deutschland. Immer noch.
Ich erinnere mich nur noch vage an verwackelte gelbe Bilder im Fernsehen, an Feuer und wütende Menschen, irgendwann Anfang der Neunziger, und daran, dass die Stirnen meiner Eltern in Falten lagen. Ich weiß nicht, was ihnen alles durch den Kopf ging. Überlegten sie damals, ob es eine gute Idee war, uns in diesem Land großzuziehen?
Vermutlich waren es die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen, als mehrere Tausend Menschen die Unterkünfte von Asylbewerbern belagerten und später in Brand setzten, vielleicht waren es aber auch die Bilder aus Mölln, als türkische Familien angegriffen wurden und eine Frau und zwei Kinder ermordet wurden. Ich weiß es nicht so genau. Was ich aber genau weiß, ist, dass die Angst vor „rechts“ schon in meiner Kindheit sehr präsent war. Manchmal fürchtete ich mich nachts davor einzuschlafen, weil ich Angst hatte, dass mich Nazis durch das Fenster im Schlaf erschießen könnten. Dabei hatte ich keine Ahnung von deutscher Geschichte, keine Ahnung, wer oder was Nazis waren – ich stellte sie mir als furchtbare Monster vor.
Bis heute stehen die Namen Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen synonym für Höhepunkte rassistischer Gewalt im Nachkriegsdeutschland. Und die neunziger Jahre haben insbesondere für viele Menschen of Color eine besondere Bedeutung. Wenn ich unter nichtweißen Deutschen sage: „Du weißt, damals in den Neunzigern“, brauche ich nichts mehr zu erklären. Es war eine Zeit, die durch und durch von Fremdenhass geprägt war. Gelegentlich beschimpft oder bespuckt zu werden, war völlig normal. Der Rassismus, er hörte nie auf, aber irgendwie, ich weiß nicht wie, wurde es besser.
Aber jetzt, im Jahr 2014, im Jahr 2015, schreiben wieder neue Städtenamen Geschichte und werden die Erinnerungen prägen. Vielleicht wird eine Frau aus Eritrea in zwanzig Jahren sagen: „Du weißt, damals in den 2010er Jahren.“ Wenn ich Bilder aus Heidenau sehe oder von anderen brennenden Unterkünften – die Liste ist so verdammt lang –, dann denke ich daran, wie viele Kinder abends wohl nicht mehr einschlafen können. Kinder, die ohnehin aus dem Krieg kommen. Die Gewalt trifft ausgerechnet die Schutzlosesten in der Gesellschaft, ausgerechnet die, die vor Gewalt geflohen sind.
Deutschland ist ein gespaltenes Land
Ja, in keinem anderen europäischen Land wurden Geflüchtete mit so offenen Armen begrüßt wie hier. Aber soweit ersichtlich, wurden auch in keinem anderen europäischen Land so viele Asylbewerberheime angegriffen und angezündet wie hier. Deutschland ist ein gespaltenes Land. Und so verführerisch es sein mag, sich auf das helle Deutschland zu konzentrieren, es ist immer noch da, das dunkle, hässliche, fremdenfeindliche, rassistische Deutschland. Immer noch.
Und es zeigt sich nicht nur im NSU-Prozess, der nun fast schon in Vergessenheit geraten ist. Fast jeden Tag brennt eine neue Unterkunft für Geflüchtete, viele davon sind bewohnt. Das ist eine völlig neue Qualität. Dass noch niemand ermordet wurde, nur Zufall. Wer macht so etwas? Die Nazis, die Bösen, die anderen?
Ein Bericht des Bundeskriminalamts kommt zu dem Schluss, dass unter den Tätern auch viele Menschen sind, die keine Anbindung an die rechte Szene haben. „Besorgte Bürger“, die erstmalig eine Straftat begehen. Die Aufklärungsrate ist deswegen auch verschwindend gering. Denn: Es könnte theoretisch fast jeder sein. Das Profil hat sich inzwischen geändert.
Der Finanzbeamte von nebenan
Die Täter sehen nicht aus wie furchtbare Monster. Sie tragen auch nicht zwingend Glatze und Springerstiefel. Sie kommen wohl aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft und sorgen sich so sehr, dass sie es in Kauf nehmen, Menschen, die sie als Bedrohung empfinden, zu töten. Der Finanzbeamte von nebenan. Vielleicht auch eine Frau, die sonntags in die Kirche geht. Menschen, die sich im Recht einer schweigenden Mehrheit wähnen und plötzlich zu Terroristen werden.
Opferverbände und Initiativen, die sich gegen Rassismus engagieren, warnen schon seit Jahren, dass Rassismus kein Phänomen des rechten Randes ist. Rassismus muss man sich wie einen Schimmelpilz im Brot vorstellen: Wenn er an Stellen sichtbar wird, hat er zuvor schon das ganze Brot durchzogen. Giftige, unsichtbare Zusammenhänge.
Zwar stimmt es auf einer strukturellen Ebene, dass Deutschland keine so starke rechte Partei wie Frankreich oder Österreich hat und dass die NPD immer mehr an Einfluss verliert. Aber dennoch erlebt Deutschland gerade einen Rechtsruck. Einfach weil sich die Zahl der rechtsextremistischen Taten so vervielfacht hat. Und ist es nicht völlig egal, ob ein Rechtsterrorist nun SPD oder die NPD wählt? Zudem ist ein Trend klar: Offener Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie wurden in den letzten Jahren wieder salonfähiger. Das fing mit Sarrazin an, ging über die AfD bis hin zu Pegida. Im Kern geht es dabei aber immer wieder um die gleiche Frage: Wer ist wir? Und wer ist es nicht?
Deutschsein und Weißsein
Die Angst vor rechts, die jetzt vielleicht auch viele erfahren, die sich erstmals für Flüchtlinge einsetzen, ist eine Erfahrung, die Menschen of Color in Deutschland seit jeher begleitet. Die Angst, in bestimmte Gegenden zu fahren, beschimpft oder angegriffen zu werden, gehört für viele zum Alltag. Genauso wie rassistische Kontrollen, schräge Blicke und Diskriminierungen wegen Hautfarbe, einem fremd klingenden Namen oder vermeintlicher Religionszugehörigkeit. Es fehlt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus.
Jeder Mensch kann rassistisch sein, auch die, die selbst Rassismus erfahren. Und auch die, die gar nicht rassistisch sein wollen. Denn Rassismus zeigt sich beispielsweise dann, wenn Afrodeutsche, die sich engagieren wollen, von weißen Helfern auf die „Flüchtlingsseite“ verwiesen werden. Wenn Deutschtürken Kuscheltiere geschenkt bekommen und versucht wird, sie ins Aufnahmelager zu bringen, nur weil sie zufällig am Bahnhof stehen. Deutschsein ist immer noch mit Weißsein verknüpft.
Dabei hatte im Jahr 2014 jeder fünfte Mensch in Deutschland einen „Migrationshintergrund“. Und viele Familienbiografien in Deutschland – unabhängig von Religion oder Hautfarbe – erzählen von Migration, Krieg, Flucht und Vertreibung. Diese vielschichtigen Geschichten hervorzukramen und sich zu erinnern, das wäre wünschenswert. Denn Erinnern hilft gegen das Vergessen.
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