: Die Ärmsten retten die Bank
Der rot-rote Senat beschließt deutliche Kürzungen im vom Bankschulden geplagten Doppelhaushalt 2002/2003. Allein 250 Millionen bei der Sozialhilfe. Weniger Geld für Freie Schulen und Jugendhilfe
von STEFAN ALBERTI und RICHARD ROTHER
Das Wetter und die Vorhaben des rot-roten Senats haben eines gemeinsam: Es bleibt ungemütlich. Während der nächste Frühling aber bestimmt kommt, bringt der Landeshaushalt auf lange Zeit kein Grund zum Jubeln. Die gestern nach dreitägigen Beratungen beschlossenen deutlichen Kürzungen sind der Beginn einer langen Reihe weiterer Einsparungen: bis zum Jahr 2006 jährlich 2,1 Milliarden Euro.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) brachte es gestern auf den Punkt: „Das wird viele Menschen in der Stadt hart treffen.“ Der Sparkurs sei allerdings angesichts der desolaten Haushaltslage notwendig, ergänzte Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS). Die Berliner müssen dabei auch für die verfehlte Bankpolitik bluten. Allein für die Risiken der Immobilienfondsgeschäfte der Bankgesellschaft veranschlagt der Senat, ab 2003 zwölf Jahre lang 300 Millionen Euro per annum zu zahlen. Nach Ansicht von Experten ist damit das Ende der Fahnenstage der Bankverluste möglicherweise noch lange nicht erreicht. Im Parlament, das im Juni über den Gesamthaushalt entscheidet, ist diese Risikoabschirmung umstritten. Eine Entscheidung ist auf eine Sondersitzung in den Osterferien vertagt.
Nach drei Nachtsitzungen machten Wowereit, Gysi und Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) einen leicht angeschlagenen Eindruck, als sie gestern die Ergebnisse der Senatsklausur vorlegten. Mehrfach schmunzelte Sarrazin, als sich Wowereit mit Mark und Euro und einzelnen Haushaltsposten verhedderte. Gut soll die Atmosphäre bei den Verhandlungen gewesen sein, kein einziges Mal soll einer der Koalitionspartner eine parteiinterne Auszeit genommen haben.
Grund zum Widerspruch hätte vor allem Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) gehabt. Ihr Etat für Sozialhilfe soll in diesem und im nächsten Jahr um zusammen 250 Millionen Euro sinken. Oder Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), der bei der Städtebauförderung deutliche Abstriche machen muss. Der Senat bestätigte zugleich Kürzungen bei den Privatschulen. Wowereit wehrte sich gegen den Vorwurf, der Senat habe ideologische Bedenken gegen Schulen in freier Trägerschaft. Es werde „in zumutbarer Weise“ gekürzt. Bleiben soll es auch bei der Schließung von elf Schwimmbädern. Wowereit kündigte zudem höhere Eintrittspreise für die Bäder an. Auch bei der Jugendhilfe sollen 5 Millionen Euro gespart werden.
So weit einzelne Details, die der Regierende Bürgermeister gestern nannte. Insgesamt wird Berlin – falls das Abgeordnetenhaus zustimmt – in den nächsten beiden Jahren jeweils rund 21 Milliarden Mark ausgeben, knapp eineinhalb Milliarden Mark weniger als 2001. Nur zwei Drittel davon kann das Land in diesem Jahr aus eigener Kraft finanzieren, für den Rest sind Kredite fällig – rund 6,3 Milliarden Mark. Sie decken laut Wowereit auch Altlasten aus den vergangenen beiden Jahren ab.
Gespart hat der Senat vor allem bei den Ausgaben für Investitionen und den Sachkosten. Bei den Sachausgaben wurden für dieses Jahr 149 Millionen, für das kommende 182 Millionen Euro gestrichen. Damit blieb der Senat allerdings deutlich hinter den Forderungen von Finanzsenator Thilo Sarrazin zurück. Der wollte doppelt so viel kürzen, zusammen knapp 700 Millionen Euro. Sarrazin zeigte sich unzufrieden, dass sich über weiter gehende Sparvorschläge keine Einigung erzielen ließ.
Die Personalkosten steigen trotz Stellenstreichungen in diesem Jahr an. Wowereit nannte als Grund Tarifabschlüsse. Schon 2003 sollen sie wieder das Niveau von 2001 haben. Der Etatentwurf kalkuliert dafür bereits einen Solidarpakt mit den Gewerkschaften ein, mit dem 2003/2004 eine halbe Milliarde Euro eingespart werden soll.
Die Schuldenlast des Landes, 2001 noch bei 38 Milliarden Euro, soll bis zum Ende der Legislaturperiode 2006 auf 56 Milliarden Euro wachsen. Sarrazin geht davon aus, dass das Land auch 2009 noch Kredite aufnehmen muss, um seine Ausgaben zu finanzieren. SPD und PDS hatten es sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, dass die Stadt dann ohne neue Schulden auskommt.
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