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Deutschland über ZweistaatenlösungDas Zögern der Deutschen

Immer mehr westliche Staaten erkennen Palästina an – Deutschland beharrt auf der Zweistaatenlösung und gerät damit in Europa in die Isolation.

Alltag vieler Palästinenser: Gewaltätige Siedler in Hebron. Deutschland lehnt derzeit eine Anerkennung Palästinas ab Foto: Mussa Qawasma/reuters

Berlin taz | Auch nachdem weitere westliche Staaten, darunter Großbritannien und Kanada, Palästina als Staat anerkannt haben, lehnt Deutschland einen solchen Schritt ab. Außenminister Johann Wadephul (CDU), der am Montag zur UN-Generalversammlung nach New York reiste, erklärte vor seiner Abreise: Für Deutschland stehe die Anerkennung eines palästinensischen Staats eher am Ende des Prozesses zu einer Zweistaatenlösung. Diese – „so fern sie auch gerade in diesen Stunden ist“ – sei der Weg, der Israelis wie Palästinensern ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde ermöglichen könne.

Obwohl diese Position bekannt ist, trug Wadephul sie mit neuer Dringlichkeit vor: „Ein solcher Prozess muss jetzt beginnen“, betonte der Außenminister und forderte einen umgehenden Waffenstillstand sowie mehr humanitäre Hilfe für Gaza.

Ob die Bundesregierung, die zwischen historischer Verantwortung gegenüber Israel und dem Beharren auf Einhaltung von Völker- und Menschenrecht laviert, bei Israels rechter Regierung Gehör findet, ist indes fraglich.

Beim Koalitionspartner SPD ist man hingegen bereit, neue Töne anzuschlagen – und zeigt Verständnis für die Entscheidung vieler westlicher Demokratien zur Anerkennung Palästinas.“ Der außenpolitische Sprecher der Fraktion Adis Ahmetovic nennt dies einen „konsequenten Schritt in der eigenen Nahostpolitik.“ Als SPD habe man auf dem jüngsten Parteitag beschlossen, „dass die Anerkennung nicht zwingend am Ende stehen muss.“ Europa benötige eine geschlossene Position – „die auf einen neuen Prozess zur Zweistaatenlösung setzt.“ Nur so könne dauerhafter Frieden in der Region entstehen.

Auffordung an Deutschland

Das ist eher als Aufforderung an Deutschland zu verstehen. Denn innerhalb der EU steht Deutschland gemeinsam mit Italien zunehmend isoliert da. Nachdem Schweden 2014 Palästina anerkannte, folgten im vergangenen Jahr weitere europäische Länder, darunter Spanien. Aktuell hat sich auch Portugal dazu entschlossen.

Frankreich verkündete ebenfalls die Absicht und reiht sich somit in die Reihe jener ein, die Israels Regierung auf diese Weise zwingen wollen, die Annexion des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes zu beenden. Premierminister Benjamin Netanjahu erteilte einer Zweistaatenlösung am Wochenende erneut eine Absage. „Es wird keinen palästinensischen Staat westlich des Jordans geben.“

Ehemalige hochrangige deutsche Diplomaten wandten sich am Sonntag erneut schriftlich an den Außenminister und forderten ihn auf, nicht nur den Ton gegenüber Israels Regierung zu verschärfen, sondern auch konkrete Sanktionen, wie sie die EU vorgeschlagen hat, zu unterstützen. Im Gespräch mit der taz sagte Mitinitiator Sven Kühn von Burgsdorff, die Anerkennung Palästinas als Staat sei ein symbolischer, aber notwendiger Schritt, um das Ungleichgewicht zwischen Israel und Palästina auf internationaler Ebene ein wenig zu nivellieren. „Dies kann aber nur ein erster Schritt sein, dem konkrete Sanktionen folgen müssen.“

Kühn von Burgsdorff und rund 300 Kol­le­g:in­nen aus dem In- und Ausland fordern, Zollvergünstigungen für Israel zu streichen und Sanktionen für Israels Finanzminister und den Minister für Nationale Sicherheit vorzusehen. Auch gegen gewalttätige israelische Siedler und Mitglieder des Politbüros der Hamas sollten weitere Sanktionen erfolgen. „Ohne externen Druck wird sich Israels Regierung nicht bewegen“, ist der ehemalige EU-Botschafter überzeugt. „Die Netanjahu-Regierung weist eine Zweistaatenlösung kategorisch zurück.“

Mit Deutschlands Weigerung, den Druck auf Israel zu erhöhen und Palästina als Staat anzuerkennen, sieht Kühn von Burgsdorff auch deutsche Interessen gefährdet. Deutschland bewirbt sich derzeit um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für 2027 und muss zwei Drittel der UN-Mitglieder, nämlich 129 Staaten, von sich überzeugen.

„Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Mehrheit der UN-Mitgliedsländer Deutschlands Kandidatur für einen Sitz im Sicherheitsrat unterstützen wird“, glaubt Kühn von Burgsdorff. „Deutschland ist in der wichtigen Palästina-Frage auf der Seite der USA und Israel weitgehend isoliert und kann nicht erwarten, dass der globale Süden mehrheitlich der Bewerbung zustimmt.“

Isoliert sich Deutschland?

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte dagegen am Montag in der Bundespressekonferenz, Deutschland sei nicht isoliert. Was die Aussichten auf einen Sitz im Sicherheitsrat angehe, sei man optimistisch. Aus Kreisen des Amtes heißt es, die Frage der Anerkennung spiele kaum eine Rolle bei der Bewerbung. Auch Österreich und Portugal bewerben sich um einen Sitz. Österreich teilt die deutsche Position.

Eine Anerkennung Palästinas als Staat ist auch nicht Teil des Forderungskatalogs verschiedener Organisationen, die am Samstag in Berlin zur Kundgebung unter dem Motto „All eyes on Gaza – Stoppt den Genozid!“ aufrufen. Unter den verschieden Unterstützer:innen, darunter auch palästinensische und israelische Gruppen, ist man unterschiedlicher Meinung, wie realistisch eine Zweistaatenlösung noch ist.

„Für uns steht im Vordergrund, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen als Menschen mit gleichen Rechten behandelt werden, ob nun in einem binationalen oder in zwei Staaten“, sagt Tsafrir Cohen von der Menschenrechtsorganisation medico international, die mit zur Kundgebung aufruft. Dennoch sei es bedauerlich, dass Deutschland den Schritt anderer Länder nicht mitgehe und Palästina als Staat anerkenne. „Das ist ein symbolischer Akt, um Israels Regierung zu zwingen, den Genozid zu beenden, die Menschenrechte zu achten und die Annektierung palästinensischer Gebiete zu stoppen.“

An einer von Frankreich und Saudi-Arabien organisierten Konferenz zur Zweistaatenlösung während der UN-Vollversammlung am Dienstag nimmt auch die deutsche Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) teil. „Auch Gaza ist integraler Teil eines zukünftigen palästinensischen Staates“, teilte Radovan in einer Pressemitteilung mit. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit werde einen Beitrag zum Wiederaufbau in Gaza leisten, „sobald die Lage vor Ort dies zulässt.“

Deutschland ist nach wie vor einer der größten Geber in den palästinensischen Gebieten. Auf Anfrage erklärte eine Sprecherin, dass das BMZ für die Jahre 2023 und 2024 rund 125 Millionen Euro für die palästinensischen Gebiete zugesagt hatte. Geld, das unter anderem in Wirtschaftsentwicklung, Ausbildung und Beschäftigung fließe. Darüber hinaus stellte das Entwicklungsministerium für UN-Organisationen rund 56 Millionen Euro zur Verfügung und förderte zudem die Zusammenarbeit mit NGOs, Kirchen, politischen Stiftungen, dem Zivilen Friedensdienst und kommunalen Partnerschaften mit rund 14 Millionen Euro. Die nächsten deutsch-palästinensischen Regierungsverhandlungen sind laut BMZ für Ende Herbst 2025 geplant.

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