Deutsches Eishockey-Team im Halbfinale: Einhändig am Goalie vorbei
Nach dem Sieg über die Schweiz fiebert das DEB-Team dem Showdown gegen Finnland entgegen. Moral, Kampf- und Teamgeist stimmen.
Wahrscheinlich wird der Berliner Eishockey-Profi Marcel Noebels eines Tages seinen Enkeln von seinem Forsberg-Penalty berichten. Von seinem Schuss bei der Weltmeisterschaft 2021 in Riga zum 3:2 n. P. gegen die Schweiz, vom Einzug ins Halbfinale. Noebels täuschte am Donnerstag links auf der Vorhandseite an, irritierte den Schweizer Goalie Leonardo Genoni – und schob den Puck dann auf der rechten Seite einhändig an ihm vorbei.
Ähnlich wie es der große Schwede Peter Forsberg 1994 in Lillehammer tat, als er im olympischen Finale gegen Kanada den entscheidenden Penalty zum schwedischen Sieg verwandelte. Noebels berichtete später, ihm sei vor dem Penalty „das Herz tiefer gerutscht“ – eventuell sogar bis in die Hose. Davon war bei dem großartigen Schuss allerdings nichts zu sehen. „Das war ein Tor, von dem man eine Briefmarke macht, ein unglaublicher Move“, sagte Bundestrainer Toni Söderholm – in Anspielung darauf, dass Forsbergs Treffer auf einer Briefmarke verewigt wurde.
Dergleichen ist in Deutschland zwar noch nicht in Planung, die deutschen Spieler träumen aber in Riga aber von großen Taten, zumal sie im Halbfinale am Samstag (17.15 Uhr) auf Titelverteidiger Finnland treffen. Ein Team, gegen das sie in der Gruppenphase knapp mit 1:2 verloren und dem Gegner dabei auf Augenhöhe begegneten. Als das DEB-Team 2010 bei der Heim-WM ebenfalls durch einen Erfolg gegen die Schweiz in die Runde der letzten Vier einzog, war Russland ihr Gegner, mit Spielern wie Jewgeni Malkin und Pawel Datsjuk.
Die Deutschen verloren es mit 1:2. „Ich denke, sie haben sehr gute Chancen gegen Finnland“, meinte Uwe Krupp, der 2010 die Mannschaft coachte. „Das erste Spiel gegen Finnland war sehr eng, wir konnten läuferisch und spielerisch mithalten. Ich glaube deshalb, die Ausgangsposition ist sehr gut, um Finnland zu schlagen.“
Verständliches Zwischentief
In Riga ist eingetreten, was viele Beobachter vor der WM vermutet hatten: Da bei dem Turnier in der lettischen Hauptstadt, das unter einem strengen Pandemieregiment stattfindet, die großen Stars aus Nordamerika fehlen, ist das Niveau ausgeglichener als in anderen Jahren. Eine Mannschaft aus dem gehobenen internationalen Mittelfeld wie die deutsche könnte tatsächlich die Gunst der Stunde nutzen und einen historischen Coup landen. Im Jahr 1953 holte das DEB-Team zuletzt eine WM-Medaille, und zwar die silberne. Es war allerdings eine Veranstaltung, an der nur vier Mannschaften teilnahmen.
Wie es auch ausgeht, die DEB-Auswahl hat in Riga wieder ihre außerordentlichen Fähigkeiten gezeigt. Seit ihrer olympischen Silbermedaille von 2018 werden die Eishockey-Nationalspieler zu Recht liebevoll als „Mentalmonster“ tituliert. Es sind zwar nur sechs Profis von Pyeongchang dabei, der kämpferische Teamgeist hat aber überlebt. Die Vokabel „aufgeben“ kennen die Nationalspieler nicht.
Nach dem 3:1 gegen Kanada im dritten Gruppenspiel hatte die Mannschaft in Riga ein Zwischentief – verständlicherweise: Die Profis waren emotional ein wenig ausgelaugt, denn es war der erste Sieg bei einer WM gegen Kanada seit 25 Jahren. Es folgten Niederlagen gegen Kasachstan, Finnland und die USA – die deutsche Mannschaft spielte jeweils nicht schlecht, es fehlte ihr in den engen Partien aber Glück.
Beim 2:1 gegen Lettland zwang sie es wieder auf ihre Seite und zog in die K.-o.-Runde ein. Gegen die Schweiz holte sie einen 0:2-Rückstand auf, glich 44 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit aus und entschied das Spiel schließlich im insgesamt zehnten Penalty. Es war nichts für schwache Nerven.
„Manchmal verdienen sich Mannschaften so etwas“, sagte Kapitän Moritz Müller von den Kölner Haien. „Wenn du so viel Herz und Emotion in ein Spiel steckst, dann verdienst du einen solchen Sieg. Ich bin so stolz auf dieses Team.“ Und er brach im englischen Interview mit der internationalen Presse vor Stolz in Tränen aus.
Müller wies außerdem darauf hin, dass eine WM immer eine gute Gelegenheit sei, in der Heimat Werbung für den Sport zu machen, der im Schatten des Fußballs steht. Diese Chance haben er und seine Teamkollegen genutzt. Die Spiele der Nationalmannschaft in Riga taugen als TV-Events, bieten Action und beste Unterhaltung. Aber natürlich geht noch mehr, ein deutsches Eishockeywunder im Juni – das gab es noch nie. Söderholm: „Die Reise geht noch weiter, zu dieser Geschichte kommen noch Kapitel hinzu, das ist der allgemeine Wille.“ Müller fügte hinzu: „Wir sind hier noch nicht fertig.“
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